
WirtschaftsWoche: Meine Herren, in den vergangenen Wochen sind die Renditen von Anleihen kräftig gestiegen. Kurz darauf hat Euro-Notenbankchef Mario Draghi versprochen, die Leitzinsen unten zu halten. Sein US-Pendant Ben Bernanke will der Wirtschaft so viel Geld geben, wie sie braucht. Wo geht die Reise denn nun hin?
Flossbach: Machen wir eine einfache Rechnung. Der natürliche Zins besteht aus Wachstums- plus Inflationsrate, also 1,5 plus 1,5 Prozent für eine lang laufende Anleihe im jetzigen Umfeld. In den USA sind wir schon bei 2,5 Prozent angekommen. In Deutschland noch nicht, aber hier haben wir die Probleme der Euro-Zone.
Das bedeutet?
Flossbach: Wenn die Zinsen hier bei drei Prozent wären, würde das die Südländer killen. Deren Anleihen notieren gut drei Prozentpunkte über deutschen. Sechs Prozent wären weder für Spanien noch für Italien tragbar. Sie haben aber in der Notenbank eine starke Verbündete. Die EZB wird querbeet Anleihen aller Euro-Länder kaufen und so jeden Zinsanstieg abwürgen. Daher kann das Zinsniveau zwar leicht anziehen, wird aber sehr niedrig bleiben.
Bosomworth: Ich erwarte, dass die Zinsen nur langsam nach oben gehen. Die Wirtschaft wächst nur, wenn Produktivität und Bevölkerung zunehmen. Die Bevölkerung altert, also sehen wir niedriges Wachstum.
...und somit weiter niedrige Zinsen.
Mayer: Es ist eine Zeitenwende. In den letzten 30 Jahren war der reale Gesamtertrag von sicheren Anleihen, also nach Abzug der Inflationsrate, im Schnitt sehr positiv. Ich denke, dass dieser Ertrag jetzt deutlich schrumpft. Entweder die Nominalzinsen gehen nach oben, und die Anleihekurse fallen. Oder die Zinsen bleiben unten, und die Inflation frisst die reale Rendite. In beiden Fällen wird sich der reale Ertrag aus Anleihen deutlich verschlechtern.
Herr Bosomworth, Sie arbeiten für den größten Anleihemanager der Welt. Wohin gehen die Zinsen?
Bosomworth: Ganz langsam nach oben. Über die letzten 40 Jahre sind wir von 15 bis 18 Prozent Rendite bei Staatsanleihen runter auf ein Prozent gekommen. Jetzt dürften wir auf dem Boden sein.
Ziehen die Zinsen an, fallen die Kurse. Bleiben sie unten, frisst die Inflation die Erträge. Muss ich Anleihen verkaufen?
Bosomworth: Nicht komplett – es sei denn, Sie halten die höheren Schwankungen bei Aktien aus. Dazu aber braucht man einen sehr optimistischen Ausblick für das Wachstum der Weltwirtschaft, den ich nicht teile. Auf keinen Fall ist jetzt aber die Zeit, schlechteren Schuldnern Geld zu leihen – nur, um höhere Zinsen zu kassieren.
So kommen Staatsanleihen-Anleger durch das Zinstal
Zunächst keine Kursgefahr, neue Papiere haben niedrige Kupons, die Kurse älterer Anleihen mit höheren Kupons orientieren sich daran und bleiben stabil
Erstklassige Emittenten bieten nur Magerzinsen, obwohl selbst bei den USA (Schuldenproblem) und Deutschland (Haftung für schwache Euro-Staaten) Risiken bestehen
Anleihen mit längeren Laufzeiten wählen, aktuell sind zehnjährige Bundesanleihen und US-Staatspapiere mit derselben Laufzeit interessant, weil die einen vergleichsweise
hohen Kupon über eine längere Zeit sichern
Damit eine solche Anlage aufgeht, müssen nicht nur Preise und Zinsen noch über lange Jahre unten, sondern auch die Zahlungsfähigkeit muss erhalten bleiben
Kurse von Anleihen geben nach, denn Papiere, die schon am Markt sind, werden weniger wert, wenn neue Anleihen mit höheren Kupons angeboten werden. Als die Renditen von Mai auf Juni um einen halben Punkt stiegen, verloren solide Bundespapiere binnen sieben Wochen so viel, wie sie in drei Jahren an Gesamtrendite einspielen
Möglichst bis zur Fälligkeit der Anleihe disponieren, Kursverluste haben dann keinen Einfluss auf die Gesamtrendite
Unsolide Emittenten/Pleitekandidaten meiden, damit man nicht in Gefahr kommt, vorzeitig verkaufen zu müssen
Laufzeiten von drei oder vier Jahren bevorzugen, weil dann ein schrittweiser Wechsel in höher verzinsliche Papiere möglich ist
Das allgemeine Zinsniveau spielt logischerweise eine wichtige Rolle. Anleger sollten aber auch den Einfluss von Solvenzrisiken nicht unterschätzen, siehe derzeit etwa Portugal
Was spricht für Anleihen?
Bosomworth: Sie sind liquide, also ständig zu geringen Kosten handelbar. Und Anleihen sind keine Bankeinlagen.
Wer sie hält, muss nach einer Bankpleite nicht auf die Einlagensicherung hoffen?
Bosomworth: Genau. Was für Anleger zählt, ist Diversifikation, auch hier.
Mayer: Wer Anleihen oder Tagesgeld hält, wertet sein Vermögen heute schon ab, weil die Inflation über dem Zins liegt. Wahrscheinlich werden die Zinsen Ende des Jahres nicht viel höher sein als heute, sie werden über Jahre niedrig bleiben. Wir leben in einer zentral geplanten Geldwirtschaft. Es gibt keine Marktkräfte mehr, die die Zinsen frei bestimmen. Der US-Aufschwung trägt sich nicht selbst, er ist von der Notenbank gemacht, durch Kreditvergabe. Dreht die Fed den Geldhahn zu, fängt alles zu wackeln an. Die Realwirtschaft lässt steigende Renditen derzeit nicht zu.