Für die Entscheider der US-Notenbank Federal Reserve scheint keine noch so gute Nachricht gut genug. Seit der Offenmarktausschuss (FOMC), der die Geld- und Währungspolitik der Vereinigten Staaten regelt, vor sechs Wochen das letzte Mal zusammenkam, zeigen so gut wie alle ökonomischen Indikatoren in den USA nach oben. Der Konjunkturzyklus hat dort eine fortgeschrittene Phase erreicht. Der jüngste Arbeitsmarktbericht fiel überragend aus und die Finanzmärkte tun den Brexit als lokales Ereignis ab.
Bei ihrem nächsten Treffen am Dienstag und Mittwoch (26. und 27. Juli), erwarten deshalb nahezu alle Experten, dass der FOMC tut, was er zuletzt immer getan hat: nichts. Obwohl auch die jüngsten Daten die Erwartungen aller Ökonomen übertroffen haben, wird der Leitzins wohl nicht angehoben werden.
Der Hemmschuh liegt außerhalb der USA. Während die US-Wirtschaft brummt, ist die Lage der Weltwirtschaft weiter angespannt. Die Fed steckt im Dilemma.
Janet Yellen, die Wirtschaftswissenschaftlerin, die als erste Frau die Federal Reserve führt, scheint auf überwältigende Beweise zu warten. Die schwierige Lage in Europa und Japan, der Brexit und die schwächelnde Wirtschaft Chinas lassen Yellen zaudern. Sie traut sich nicht, das Notwendige zu tun. Dadurch setzt sie das Vertrauen in unser Geldsystem aufs Spiel.
Biografische Daten der Fed-Chefin
Janet L. Yellen
Janet Yellen wurde am 13. August 1946 (Alter 71) im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren.
Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften von der Brown University (US-Staat Rhode Island, 1967); Doktor in Wirtschaftswissenschaften von der Yale University (US-Staat Connecticut, 1971)
Seit dem 1. Februar 2014 ist Yellen in der Nachfolge von Ben Bernanke Präsidentin des Federal Reserve Board (FED); von 2010 bis 2014 war sie Vizepräsidentin des FED; von 2004 bis 2010 Präsidentin der Federal Reserve Bank of San Francisco; von 1997 bis 1999 Vorsitzende des Rats der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses (Council of Economic Advisers); von 1994 bis 1997 Mitglied des Federal Reserve Board of Governors; von 1980 bis 1994 Lehrkraft an der University of California, Berkeley; von 1978 bis 1980 Dozentin an der London School of Economics and Political Science; von 1977 bis 1978 Ökonomin bei der Federal Reserve; von 1971 bis 1976 Assistenzprofessorin an der Harvard University.
Verheiratet mit George A. Akerlof, Wirtschaftsnobelpreisträger und Professor an der kalifornischen Berkeley-Universität; ihr Sohn, Robert Akerlof, ist Assistenzprofessor an der University of Warwick.
Arbeitsmarkt gibt Impulse
Die USA schafften allein im Juni netto 287000 neue Stellen – weit mehr als erwartet. Das war der stärkste Zuwachs seit vergangenem Oktober. Volkswirte hatten mit rund einem Drittel weniger gerechnet.
Die Arbeitslosenquote liegt bei unter fünf Prozent - das ist Vorkrisenniveau. Diese Zahlen müssten für Erleichterung bei der Fed sorgen, die Vollbeschäftigung anstrebt.
Es herrscht große Nachfrage nach Fachkräften. Der Arbeitsmarkt ist gesättigt und infolgedessen steigen in einigen Segmenten die Löhne. Damit rechnen die Amerikaner Umfragen zufolge auch. Einige Ökonomen sprechen von Vollbeschäftigung. Das alles sind Impulse, die für eine zunehmende Inflation sprechen. Und damit für eine Anhebung des Leitzinses.
Was die Fed bisher gemacht hat
2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, war die Federal Funds Rate auf ein historisches Tief von 0,0 bis 0,25 Prozent gesenkt worden. Erst sieben Jahre später, im Dezember 2015, hat Fed-Chefin Janet Yellen die Zügel gestrafft und eine Anhebung auf ein Band von 0,25 bis 0,5 Prozent bekanntgegeben. Die Märkte reagierten auf die Anhebung gelassen, die Kurse an der Wall Street legten sogar zu. Die Renditen der US-Anleihen stiegen nur ganz leicht und im Euro-Raum gingen die Renditen gar zurück.
Dr. Thorsten Polleit, Chefökonom der Degussa, sieht Grund zu weiterem Handeln: „Die laufende Inflation liegt in Amerika schon wieder über zwei Prozent. Die Fed muss deshalb zu einer normalen Zinsrate zurückkommen.“
Brexit-Wirren sorgen für Zurückhaltung
Oft werden der Brexit und dessen Nachwirkungen an den Märkten als Grund für die Zurückhaltung der Fed genannt. Schon kurz nach dem Referendum in Großbritannien war aus Fed-Kreisen zu hören, dass eine Zinserhöhung in diesem Jahr damit wohl vom Tisch sei. Dabei ist noch nicht viel passiert. Der erste Schock ist aus den Märkten gewichen und ein tatsächlicher Austritt Großbritanniens wird wohl frühestens 2019 vollzogen.
Nach massiven Verlusten in den Tagen nach dem Referendum hat der Dax sich fast auf das Niveau von vorher zurückgearbeitet. Der Dow Jones hat seitdem sogar 500 Punkte dazugewonnen. Massiv verloren hat das Britische Pfund.
Nach Ansicht von Patrick Harker, regionaler Präsident der Fed in Philadelphia, wird das Votum der Briten das Wachstum der USA nicht dauerhaft belasten: "Brexit steht auf meiner Liste von Risiken unten, und ich erwarte nicht mehr als einen vorübergehenden Wachstumsrückgang von ein paar Zehntelprozent".
Dass die britische Konjunktur auf Dauer leiden wird, glaubt auch Ökonom Polleit nicht. Im Gegenteil. „In langer Frist sehe ich Vorteile, insbesondere was Auslandsinvestitionen nach Großbritannien betrifft“, sagt Polleit. Eine vor wenigen Tagen von vielen erwartete Zinssenkung der Bank of England blieb aus.
Unterschiedliche Ziele
Die Amerikaner haben einen weiteren Vorteil, ist sich Ökonom Polleit sicher. „Ihr Bankenapparat ist weitgehend funktionsfähig und relativ klein. Die Bilanzsumme der US-Banken entspricht ungefähr 85 Prozent des Volkseinkommens.“ Zum Vergleich: im Euroraum beträgt diese Quote etwa 320 Prozent.
Keine Deflation in Sicht
Auch in Jahr acht nach Ausbruch der Finanzkrise ist in Europa und Japan kein Ende der hyperexpansiven Geldpolitik in Sicht. Mit immer neuen Maßnahmen versuchen die EZB und die Bank of Japan, die Wirtschaft zu stimulieren. Im Frühjahr erst senkte EZB-Chef Mario Draghi nicht nur erneut den Leitzins. Auch der Zins für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB liegt seitdem bei minus 0,4 Prozent.
All das sind verzweifelte Versuche, die gefürchtete Deflation zu verhindern. In der Tat liegt die Inflationsrate im Euroraum derzeit bei etwa Null Prozent, unterschritt im April und Mai sogar die Nulllinie. Von einer echten Deflation kann aber trotzdem keine Rede sein. Sie ist durch das Schrumpfen der Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) definiert - und die expandiert wegen der laufenden Druckerpressen um mehr als zehn Prozent. Wir haben eine Geldmengeninflation.
Preisdeflation würde bedeuten, dass die Verbraucherpreise sinken. Die EZB schürt die Furcht vor dieser Art von Deflation seit Jahren. Damit liegt sie jedoch falsch. Verbraucher und Wirtschaft würden von sinkenden Preisen profitieren, erst recht wenn sie mit einer steigenden Produktivität einhergehen.
In Europa sind die Banken seit Jahren kaum noch in der Lage und teils nicht mehr Willens, Kredite zu vergeben. Während in den USA über eine Zinserhöhung diskutiert wird, scheint in anderen Wirtschaftsregionen kein Ende der expansiven Geldpolitik in Sicht.
Helikoptergeld in Japan und Europa?
Im Gegenteil. „Es gibt keine Tabus mehr“, sagt Polleit. Früher oder später muss deshalb Helikoptergeld kommen, glaubt Polleit. Etwa in Japan, das schon lange mit niedrigen Inflationsraten zu kämpfen hat. „Die Probleme werden dazu führen, dass EZB oder die Bank of Japan davon Gebrauch machen werden.“
Milton Friedman, der spätere Wirtschafts-Nobelpreisträger, brachte 1969 die Idee auf, dass Helikoptergeld über einer Stadt abzuwerfen. Genau so wird es nicht kommen. Aber es gibt Alternativen, die den gleichen Effekt erzielen würden.
Zum Beispiel könnte jeder Bürger eine bestimmte Summe frisch gedruckten Geldes bekommen, zum Bezahlen von Schulden, Sparen oder Konsumieren. Denkbar wäre auch, dass ein Land beim Auslaufen einer Staatsanleihe die Anleger ausbezahlt, dazu aber keine neue Staatsanleihe begibt. Das würde den absoluten Schuldenstand des Staates verringern.
In den vergangenen Monaten haben sich einige Experten zu Wort gemeldet, um das Konzept zu vertreten. Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzmarktaufsicht FSA, sagt, die Zentralbanken sollten zu einer "monetären Finanzierung" übergehen.
Im Klartext hieße das: Der Staat soll mehr Geld ausgeben und dieses Mehr direkt von der Notenbank überwiesen bekommen - ohne Rückzahlung.
Unterschiedliche Aufgaben von Fed und EZB
Kritikern geht es im Kern darum, dass der EZB Staatsfinanzierung grundsätzlich verboten ist. Und die Geschichte legt nah, dass das in der Tat keine gute Idee wäre. Staaten, die ihre Schulden und Staatsausgaben mit der Gelddruckmaschine finanzieren wollten, hatten rasch mit Preisblasen oder Hyperinflation zu kämpfen. Und auch die Geldflut der EZB wird die Verbraucherpreise über kurz oder lang nach oben treiben.
Die Aufgaben der EZB und der Fed unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. Die Federal Reserve ist neben der Geldpolitik auch der Vollbeschäftigung und dem Wirtschaftswachstum verpflichtet, während die EZB vorrangig Geldwertstabilität zu sichern hat.
Der Fed stehen dazu verschiedene Instrumente zur Verfügung. So vergibt sie zum Beispiel sogenannte Kredite an Geschäftsbanken und setzt die Mindestreservesätze fest, die eine Geschäftsbank halten muss. Außerdem steuert sie die Geldmenge über sogenannte Offenmarktgeschäfte. Dabei werden Staatspapiere von der Zentralbank angekauft oder verkauft.
Die Kernaufgabe der EZB besteht darin, Preisstabilität zu erreichen. Diese definiert sie mit einer Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent. Insofern kann man durchaus die Meinung vertreten, dass die EZB seit einiger Zeit nicht mehr im Bereich ihres Mandats agiert. Indem sie Staatsanleihen kauft betreibt sie indirekte Staatsfinanzierung, das ist ihr gemäß der EU-Verträge nicht gestattet.
Ohne Zins kann das System nicht überleben
Glaubt man Patrick Harker, wird in diesem Jahr noch zweimal die Federal Fund Rate erhöht. "Ich erwarte, dass dieses Jahr bis zu zwei zusätzliche Zinserhöhungen angemessen sein könnten", sagt der Fed-Mann, der in diesem Jahr bei Zinsentscheidungen aber nicht stimmberechtigt ist. Im Mai hatte Harker noch von bis zu drei Zinserhöhungen bis zum Jahresende gesprochen. Bis Ende 2018 sagt er voraus, dass die Fed die Zinsen in Richtung drei Prozent erhöhen werde.
Obwohl es in der kommenden Sitzung am 26. und 27. Juli allem Anschein nach keine Erhöhung geben wird, stellen die US-Notenbanker diese also immer wieder in Aussicht.
Investoren bei Laune halten
Diese Hinhaltetaktik mag im ersten Moment unsinnig erscheinen, hat aber einen Grund. Das fortwährende Schüren dieser Erwartung begründet sich in den Mechanismen unseres Schuldgeldsystems. Die gefährliche Spirale von Nullzins und steigenden Schulden kann und darf sich nicht ewig fortsetzen.
Für institutionelle Investoren genauso wie für Sparer lautet die Nachricht: Ihr habt bald nur noch Aussicht auf gute Renditen, wenn ihr eure Anlagestrategie überdenkt. Und auch für Versicherungen wird es durch das anhaltend niedrige Zinsniveau immer schwerer, Rendite zu erwirtschaften. Der Flurschaden, den die Zinsarmut anrichtet, ist gewaltig.
Frühere Fed-Chefs (Auswahl) und die neue Chefin
Chef der New York Fed, kontrollierte erstmals die Inflation mittels Zinsen, steuerte die Geldmenge durch Kauf und Verkauf von Wertpapieren und sicherte die Geldversorgung. Mit Kriegsanleihen, „Liberty Bonds“, finanzierte er den Ersten Weltkrieg.
Gegen großen Protest trieb der Zuchtmeister der Märkte 1980 die Zinsen auf bis zu 17,5 Prozent hoch. So bekämpfte er die auf bis zu 13 Prozent gestiegene Inflationsrate. Drei Jahre später stiegen die Preise nur noch um 3,5 Prozent.
Profilierte sich mit niedrigen Zinsen als Schutzheiliger der Märkte. Kurz nach seinem Amtsantritt kam es zum Börsencrash am 19. Oktober 1987 – die superexpansive Geldpolitik blieb und führte direkt in die Immobilien- und Finanzkrise.
Die neue Fed-Chefin steht vor der heiklen Aufgabe, die lockere Geldpolitik ihres Vorgängers Ben Bernanke zu beenden, ohne Schocks an den Börsen auszulösen und die Konjunktur abzuwürgen. Eine harte Kehrtwende ist von ihr nicht zu erwarten.
Um sich ein Bild davon zu machen, reicht ein Blick nach Japan. Schon seit Jahrzehnten wächst die Wirtschaft dort nicht mehr, obwohl die Notenbank seit gut zwanzig Jahren den Zins nahe null hält und Staatsanleihen und sogar Aktien kauft. Genau das erleben wir derzeit auch in Europa. Und die Krisenländer Europas verschulden sich zum Nulltarif noch höher, anstatt endlich einen Weg des Schuldenabbaus voran zu treiben.
Wenn Geld nichts mehr kostet, kann die Folge nur eine gewaltige Kapitalverteilung von Gläubigern zu Schuldnern sein. Es gibt Fehlinvestitionen und Preisblasen.
Zinssteigerungserwartungen müssen am Leben erhalten werden. Würde sich die Erwartung durchsetzen, ewig Zinsen nahe der Nulllinie zu haben, würden Sparer und Investoren sich aus dem Anleihemarkt zurückziehen. „Die Kreditströme würden versiegen, das Schuldgeldsystem geriete in schweres Fahrwasser“, sagt Ökonom Polleit.
Die Investoren müssen bei Laune gehalten werden, denn ohne Zins kann unser Geldsystem nicht überleben. Einer muss jetzt mit gutem Beispiel voran gehen, vielleicht hat auch Mario Draghi dann ein Einsehen. Die Erwartung und Hoffnung, mit Schuldpapieren etwas verdienen zu können, muss aufrechterhalten werden. Diese Hoffnung droht zu versiegen, wenn die Fed nicht endlich Taten folgen lässt.