WirtschaftsWoche: Herr Johnson, seit 40 Jahren geben Sie jedes Jahr in kurzen Notizen einen Überblick über die besten Weingüter der Welt. Was hat sich in dieser Zeit in Weinwelt geändert?
Hugh Johnson: Wenn sie Wein mit anderen Dingen des Lebens wie Reisen oder IT oder Autos und deren Entwicklung der vergangenen vier Dekaden vergleichen, dann sicher nicht so viel. Aber auch im Weinanbau wie in der Vinifizierung haben sich viele wichtige Dinge geändert. Es gab einen Generationenwechsel, verbunden mit einer anderen Art, den Beruf auszuüben. Die Winzer von heute reisen, sie treffen sich an der Universität, sie reden miteinander, tauschen sich aus. Vorige Generationen der wichtigsten Weinregionen Europas wären nicht auf die Idee gekommen, in eine andere Region oder auch in einen anderen Kontinent zu reisen, um dort etwas zu lernen. Die Kellertechnik hat sich überproportional schnell weiterentwickelt. Der biodynamische Anbau – das sind Phänomene der jüngeren Vergangenheit.
Hat sich das für die Verbraucher gelohnt?
Der Markt für Qualitätswein hat sich etwa verzehnfacht in der Zeit – nicht der Gesamtmarkt, wohlgemerkt. Wein war mal ein Alltagsbegleiter, heute möchte jeder Wein mit einer Herkunft, einer Geschichte, einer Identität und irgendeiner Garantie, woher der Weinherkommt. Es ist nicht so lange her, dass die Mehrheit des Weines gar nicht in Flaschen abgefüllt wurde, sondern über große Gebinde seinen Weg ins Glas fand.
Zur Person
Johnson, 77, wuchs als Sohn eines Anwalts in London auf und arbeitete zunächst für die Sunday Times. 1971 verfasste der begeisterte Gärtner seinen ersten Weinatlas, 1977 erschien erstmals "Der kleine Johnson", ein schmaler Band mit den wichtigsten Infos über empfehlenswerte Weingüter aus aller Welt. Er wird jährlich mit einem Team von 30 Korrespondenten erarbeitet und inzwischen in 14 Sprachen übersetzt.
Was war der Auslöser?
Der Einstieg der Supermärkte in den Verkauf von Wein Anfang der 80er. Das markiert einen weiteren entscheidenden Unterschied zu früher, auch wenn es uns heute selbstverständlich erscheint. Dadurch haben Menschen begonnen, Wein als normalen Einkauf wahrzunehmen im Gegensatz zu vorher, wo man in ein spezielles Geschäft gehen musste. Es ist eine andere Welt.
Haben wir heute in der Summe also besseren Wein als in der langen Tradition, die die Weingüter selber immer beschwören?
Bis auf ein paar kleinere Rückschläge ist es sicher so, dass die Qualität gestiegen ist.
Die Weinwelt hat sich dramatisch verändert, Länder, die vor 20 Jahren noch keine Rolle spielten, sind heute sehr gut vertreten, wie Chile oder Australien.
Daran ist auch nichts auszusetzen.
Viele dieser großen Weinproduzenten tun dies mit industriellen Methoden, mit dem Kampf um beste Qualität notfalls per Handarbeit hat das wenig zu tun. Stört sie das nicht?
Die meisten deutschen, italienischen und französischen Weine wurden im 20. Jahrhundert mehr oder weniger mit industriellen Methoden hergestellt. Die Kooperativen, wie die Winzergenossenschaften, sind nichts anderes als der Versuch, die Produktion für die Weinbauern zu vereinfachen. Es gab aber zu jeder Epoche und natürlich auch heute, Weinbauern, die versuchen, ihren eigenen höheren Standard umzusetzen. Und genau so ist es den Ländern der sogenannten Neuen Welt auch. In der Tat ist dort Individualität und Ambition ist dort teils stärker, eben weil sie ohne die jahrhunderte alte Tradition eher bereit sind, neue Wege zu gehen. Und – sie haben mehr Geld, dass sie dort investieren können.
Sie schreiben in der jüngsten Ausgabe, dass im Wein wie in der Architektur oder Bekleidung Moden entstehen. Welche waren besonders einflussreich?
Zum Beispiel alle Weine mit dem Aroma von Holz zu versehen. Sobald ein reicher Mensch beginnt, ein Weingut aufzubauen, möchte er, dass sein Wein als fein und edel gilt. Und für eine lange Zeit haben Menschen edel in Verbindung gebracht mit dem Duft von Holz. Sie haben gedacht, der Duft, der an Vanille erinnert, sei ein Zeichen von Qualität. Selbst beim deutschen Riesling wurde dies teilweise versucht – diese Rebsorte bringt das aber um. Zum Glück führte die Kombination mehrere Faktoren dazu, dass die Phase „Jeder versucht es“ ein Ende fand.