Der US-Präsident klatschte einige Male in die Hände, als die letzte TV-Debatte des Wahlkampfs um das Weiße Haus in Nashville, Tennessee, beendet war. Er legte einen Arm um First Lady Melania Trump, die zu ihm auf die Bühne gekommen war, dann schaute er in das spärliche Publikum, dass in sicherem Abstand verteilt im Auditorium der Belmont University saß. Donald Trump wirkte zufrieden mit sich in diesem Moment, zwölf Tage vor der Wahl am 3. November. In den vorangegangenen 90 Minuten hatte er sich mit seinem Gegner, Ex-Vizepräsident Joe Biden, eine harte, aber halbwegs zivilisierte Auseinandersetzung geliefert.
Für Trump hätte der Abend dennoch besser laufen können. Nein, müssen. Der Präsident liegt in Umfragen weit hinter seinem Herausforderer zurück. Die Coronakrise und ihre Auswirkungen haben Trumps Ansehen in der Bevölkerung spürbar beschädigt. Beliebt war das Staatsoberhaupt nie, doch traute ihm ein großer Teil der Amerikaner durch sämtliche Krisen, Skandale und Affären seiner bisherigen Amtszeit stets zu, das Land zumindest wirtschaftlich auf Erfolgskurs zu halten.
Doch selbst diesen Vorteil hat Trump in den vergangenen Wochen angesichts erneut stark steigender Covid-Infektionszahlen und anhaltend hoher Arbeitslosigkeit verspielt. Die Debatte bot ihm nun weniger als zwei Wochen vor der Wahl die Chance, die Bevölkerung doch noch davon zu überzeugen, die Vereinigten Staaten wieder in die Spur zu bringen. Doch Trump nutzte die Chance nicht.
Anstatt über die erfolgreiche Wirtschaftslage während der ersten drei Jahre seiner Amtszeit zu sprechen, rutschte der Präsident immer wieder in Verschwörungstheorien über die angeblichen Wirtschaftsbeziehungen der Biden-Familie oder Spionagevorwürfe gegen die Obama-Administration ab – Themen, die im Ökosystem der Trump-freundlichen Medien durchaus virulent sind, die aber nicht in den Mainstream der Debatte durchgebrochen sind. Wechselwählern, das zeigen die Umfragen der vergangenen Wochen, erreicht der Präsident damit nicht. Eine kohärente Agenda für die kommenden vier Jahre legte er nicht vor. Wie er Amerika nach dem Corona-Absturz erneut „great again“ machen will, behielt er für sich.
Für Herausforderer Joe Biden bot sich damit die Gelegenheit, den Präsidenten wegen des Managements der Coronakrise anzugreifen. „Jemand, der für den Tod von 220.000 Amerikanern verantwortlich ist, sollte nicht Präsident bleiben“, so der Demokrat. Trump hingegen versuchte die Auswirkungen der Pandemie erneut herunterzuspielen. „Wir werden lernen, mit dem Virus leben zu müssen“, so Trump. „Wir leben nicht damit, wir sterben damit“, so sein Herausforderer.
Trotz der heftigen Vorwürfe blieb die Debatte zunächst höflich – insbesondere im Vergleich zum ersten Aufeinandertreffen der Kandidaten. Damals hatte Trump sein Gegenüber und den Moderator satte 128 Mal unterbrochen. Diesmal wurden den Kombattanten deshalb zu Beginn jedes inhaltlichen Segments das Mikrofon für zwei Minuten abgedreht, während der Kontrahent sprach. Trump hatte sich bereits im Vorfeld über die Maßnahme beschwert und auch gegen Moderatorin Kristen Welker geschossen. Am Ende nahm er trotzdem Teil. Angesichts seiner schwachen Umfragewerte könnte er auf den Auftritt nicht verzichten.
Und er bemühte sich, weniger aggressiv aufzutreten. Zumindest zu Beginn. Trump ließ Biden meist ausreden, beschwerte sich nicht über die Moderation. Hitzig wurde es dennoch – insbesondere, als die Kandidaten über ein neues Corona-Hilfspaket aneinandergerieten. Biden warf Trump vor, dass die Republikaner im Senat seit Monaten Rettungsmaßnahmen behindern. Der Präsident wiederum warnte, Bidens wirtschaftliche Agenda werde Kleinunternehmer die Existenz kosten. Auch beim Thema Gesundheitssystem schenkten sich beide nichts. Biden versprach, auf Obamacare und eine staatliche Krankenversicherungsoption aufzubauen. Trump kritisierte das Gesetz seines Vorgängers erneut und versprach Ersatz, sollte der Oberste Gerichtshof es für verfassungswidrig erklären. Einen konkreten Plan blieb er – wie bereits in den vergangenen vier Jahren – schuldig.
Für Trump ist dieser Ausgang ein Risiko. Die Debatte war das letzte Großereignis des Wahlkampfs, die letzte Chance, sich noch einmal auf der ganz großen Bühne zu präsentieren und dem Kampf ums Weiße Haus eine neue Richtung zu geben. Doch der Präsident ließ sie verstreichen. Er brauchte einen deutlichen, einen überwältigenden Sieg, doch den konnte Trump ersten Blitzumfragen zufolge nicht erringen. Sie sehen Biden vorne. Die Wende im Wahlkampf, sie fand nicht statt.
Ein Grund: Trump fokussierte sich auf seine treusten Anhänger, nicht auf die Themen, die enttäuschten Republikanern und parteiungebundenen Wählern wichtig sind, die dem Präsidenten mittlerweile die Gefolgschaft versagen. Zwar gelang es ihm immer wieder auch, seinen Herausforderer in die Defensive zu drängen – etwa im Bereich Energiepolitik, wo er Biden die Aussage abrang, er werde die Ölindustrie langfristig auslaufen lassen – ob dies jedoch reichen wird, um den Wettkampf ums Weiße Haus noch einmal eng werden zu lassen, ist eine andere Frage.
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Biden wiederum brannte kein rhetorisches Feuerwerk ab, aber er leistete sich auch keinen großen Schnitzer, der Zweifel an seiner Fähigkeit befeuern hätten können, das Präsidentenamt auszufüllen. Für den Ex-Vize-Präsident dürfte der Einzug ins Oval Office an diesem Abend in Nashville zumindest nicht unwahrscheinlicher geworden sein.
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