Lira-Krise und Streit mit Trump Der Machtmensch Erdogan fühlt sich herausgefordert

Machtmensch Erdogan vor der Nagelprobe Quelle: dpa

Der Streit mit US-Präsident Trump kommt für die Türkei zur Unzeit: Die Wirtschaft schwächelt, die Währung ist im freien Fall. Erdogan muss nun liefern, um sein Image als Macher zu wahren. Doch das wird schwierig.

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Recep Tayyip Erdogan wähnt sich im Krieg: Der seit seinem Wahlsieg im Sommer mit weitreichenden Vollmachten ausgestattete Präsident der Türkei beschuldigt seinen US-Gegenspieler Donald Trump, einen Wirtschaftskrieg gegen sein Land angezettelt zu haben. Der Konflikt kommt für die Türkei zur Unzeit, da die Wirtschaft nach Jahren des Booms nun schwächelt. Die ausufernde Inflation und eine Landeswährung im freien Fall werden zur Nagelprobe für den Machtmenschen Erdogan, dessen Land zusehends das Vertrauen der Investoren verliert.

Der Präsident, der sich eine in der jüngeren türkischen Geschichte beispiellose Machtfülle mit großem Einfluss auf Justiz und Parlament gesichert hat, muss nun liefern: Angesichts seines sorgsam gepflegten Images als Macher und Bewahrer der Nation steht er unter hohem Erwartungsdruck, das Schwellenland aus der Krise zu führen.

Doch einfach wird das nicht. Es wird bereits darüber spekuliert, dass das Land ein Fall für den Internationalen Währungsfonds (IWF) werden könnte - so wie in der Krise nach der Jahrtausendwende, die letztlich zum Aufstieg der konservativ-religiösen Partei AKP von Erdogan führte. Ankara lehnt eine Hilfe des von den USA dominierten IWF jedoch ab: "Ich brauche den IWF nicht", sagt Finanzminister Berat Albayrak, der Schwiegersohn Erdogans. Eine Person aus dem Umfeld der AKP, die anonym bleiben möchte, erläutert warum: "Sich an den IWF zu wenden, wäre eine sehr große Herausforderung." Schließlich habe Erdogan den Fonds in Wahlkampagnen immer wieder an den Pranger gestellt. Zudem sei die Türkei froh gewesen, die IWF-Auflagen vor Jahren endlich hinter sich gelassen zu haben. Auch in Griechenland waren die Spar- und Reformvorgaben verhasst.

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EU und Deutschland als mögliche Nothelfer?

Der Gewährsmann aus dem Umfeld der AKP hält es für möglich, dass sich Erdogan in der Krise der EU zuwenden wird, obwohl die Bewerbung des Bosporus-Landes um eine Mitgliedschaft ins Leere gelaufen ist. Dabei setze Ankara auch Hoffnungen auf Deutschland, der Türkei finanziell aus der Patsche zu helfen. Erdogan wird Ende des Monats zu einem Staatsbesuch in Berlin erwartet, vorher kommt bereits Finanzminister Albayrak. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) besucht derzeit Ankara. SPD-Chefin Andrea Nahles hat bereits für deutsche Hilfen plädiert.

Die Rating-Agentur Fitch hat ihre Wachstumsprognose für die türkische Wirtschaft deutlich gesenkt. Das Bruttoinlandsprodukt werde in diesem Jahr um 3,8 und 2019 nur noch um 1,2 Prozent steigen. Dem Land setzt der rasche Kursverfall der Lira zu, die seit Jahresbeginn mehr als 40 Prozent an Wert zum Dollar eingebüßt hat. Das hat die Inflationsrate im August auf 17,9 Prozent nach oben getrieben - der höchste Wert seit Ende 2003.

Verschärft wird die Krise durch einen Konflikt mit den USA: Wegen des Streits um den in der Türkei inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson und den im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen haben sich beide Staaten mit Strafzöllen überzogen. Ankara sieht in Gülen den Drahtzieher hinter dem Putschversuch von 2016 und fordert dessen Auslieferung. Brunson soll Kontakte zu Gülen pflegen.

Vize-Parlamentspräsident Mustafa Sentop wirft Trump vor, in Wildwest-Manier die Nahost-Region beherrschen und den Iran kaltstellen zu wollen. Dabei bleibe nur die Wahl, sich zu beugen oder zurückzuschlagen: "Die Türkei wird sich nie beugen", so Sentop. Beobachter halten es jedoch für möglich, dass Trump und Erdogan ihren Streit doch beilegen. Gelegenheit für eine Annäherung bietet die UN-Vollversammlung in New York in diesem Monat.

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Erdogans Aversion gegen Zinsen

Die Zeit drängt, auch wegen der Wirtschaftskrise: Nach Daten der Großbank JP Morgan werden in der Türkei bis Juli 2019 Schuldenpapiere im Volumen von insgesamt 179 Milliarden Dollar fällig - allein 146 Milliarden davon aus dem Privatsektor, besonders von Banken. Angesichts des freien Falls der Währung geraten die Geldhäuser nun in die Bredouille: Sie haben sich vor allem im Ausland in Dollar verschuldet. Weil der Dollar angesichts steigender Zinsen in den USA aufwertet, wird es noch schwieriger, die Auslandsschulden zu begleichen.

Durch die schwache Lira werden auch Importe deutlich teurer, was die Verbraucherpreise in die Höhe treibt. Die türkische Zentralbank will sich gegen die Entwicklung stemmen. Doch noch ist unklar, ob es nächste Woche zu einer Zinserhöhung kommen wird. Denn Erdogan sieht Zinsen als "Mutter und Vater von allem Bösen" und hält sie für die Ursache von Inflation, während Ökonomen zum Straffen der geldpolitischen Zügel im Kampf gegen die Inflation raten.

Aus dem Umfeld der AKP verlautet, die kraftlose Wirtschaft verschärfe die Armut im Lande. Nun räche es sich, dass zu wenig investiert worden sei: "Außer in den Bau und Beton, und den können wir nicht essen." Ein früheres AKP-Mitglied sieht den Stern Erdogans sinken, falls er die Krise nicht in den Griff bekommt: "Ich glaube nicht, dass er bei einem wirtschaftlichen Kollaps weiter großen Rückhalt in der Bevölkerung haben wird."

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