Sergej Lawrow Vom Star-Diplomaten zu Putins Handlanger

Sergej Lawrow wird von Vladimir Putin vorgeschickt, um europäische Kollegen vorzuführen und seine Statements zu verteidigen. Quelle: imago images

Russlands Außenminister Sergej Lawrow gilt eigentlich als ein versierter Diplomat und brillanter Intellektueller. Doch in Putins System verkommt der einstige Hoffnungsträger zu einem verbitterten Hardliner.

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Es gibt viele Gründe, warum Annalena Baerbocks Reise nach Russland am Dienstag alles andere als ein Spaziergang sein dürfte. Seit Wochen nimmt Moskau den Westen verbal in die Zange. Auch die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sind so eisig wie schon lange nicht mehr. Erst wenige Wochen ist es her, dass ein Gericht in Berlin den Kreml des Staatsterrorismus beschuldigt hat, nachdem ein russischer Staatsbürger in Berlin einen ehemaligen tschetschenischen Kämpfer umgebracht hatte. Ein weiterer Grund ist Baerbocks Gastgeber und Russlands Außenminister Sergej Lawrow.

Als die deutsche Außenministerin ihren Kollegen Lawrow zu Gesprächen in der russischen Hauptstadt traf, prallten zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite eine Newcomerin in der internationalen Politik. Auf der anderen Seite ein Vollblutdiplomat und Russlands dienstältester Minister, der sein Amt bereits seit 2004 ausübt.

Lawrows einstige Kollegen aus dem Westen, von denen sich viele längst in den verdienten Ruhestand verabschiedet haben, bezeichnen den 71-jährigen Russen in Interviews als einen hochprofessionellen, gebildeten und wortgewandten Verhandlungspartner. Es sind vor allem zwei Rollen, in die Lawrow schlüpft, um sein Gegenüber in den Bann zu ziehen.

Da wäre der Diplomat Lawrow, ein Verhandlungstaktiker der alten Schule, der stets nur die Interessen des eigenen Landes im Blick hat. Ein Mann, der sein Handwerk an einer sowjetischen Elite-Universität lernte und seine Fähigkeiten als Russlands UN-Botschafter zwischen 1994 und 2004 in New York schärfte. Dann gibt es Lawrow, den Lebemann, der gerne raucht und trinkt, derbe flucht, aber auch Gedichte schreibt, perfektes Englisch und Französisch spricht und immer eine passende Anekdote oder ironische Bemerkung griffbereit hat.

Doch dieses Bild des Diplomaten-Phänomens hat längst Risse bekommen. Zuletzt wirkte der Russe oft ungehalten, grimmig und müde. „Unsere Geduld ist am Ende“, sagte er vor wenigen Tagen bei seiner großen Pressekonferenz auf die Frage eines Journalisten, warum Russland gerade jetzt mit ultimativen Forderungen an den Westen herantritt.

(Lesen Sie auch: Was hat der Westen gegen Putin in der Hand? Es gibt sie, die ultimative Waffe.)

In den vergangenen Monaten hat der Kreml Lawrow vorgeschickt, um vor allem Gesprächspartner aus Europa vorzuführen. Vor knapp einem Jahr demütigte Lawrow den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Moskau. Vor Journalisten bezeichnete Lawrow die EU als unzuverlässigen, ja arroganten Partner, während zur gleichen Zeit russische Agenturen die Nachricht über die Ausweisung von drei EU-Diplomaten aus Moskau veröffentlichten. Und das obwohl Borrell offen dafür plädierte, den Dialog mit Russland nicht abreißen zu lassen. Ein weiterer Eklat liegt kaum ein paar Wochen zurück, als Russlands Außenministerium den vertraulichen diplomatischen Briefwechsel mit Deutschland und Frankreich öffentlich machte, um die Schuld für das Scheitern eines geplanten Ukraine-Gipfels im so genannten Normandie-Format mit Kiew, Moskau, Berlin und Paris an einem Tisch von sich zu weisen.

Wie sehr diese diplomatische Eskalation auf Lawrow persönlich zurückzuführen ist, bleibt unklar. Eigentlich zählte Lawrow lange nicht zu den Hardlinern im Kreml. Noch 2019 ließ sich Lawrow in einem Interview mit der Zeitung „Kommersant“ ein Versprechen entlocken, dass Russland keinen Krieg mit der Nato anfangen würde. Auch einen Krieg mit der Ukraine schloss Lawrow immer wieder aus. Zudem verhandelt Lawrow viel lieber bilateral mit einzelnen Regierungen als mit Vertretern der EU, die in Moskau als machtlose Bürokraten gesehen werden. Zu einem ähnlichen Eklat wie mit Borrell dürfte es deshalb nicht kommen.

Gleichwohl hat Lawrow in Putins System nur wenig Spielraum. „Die Rolle des russischen Außenministers gleicht momentan eher der eines Anwalts denn eines Diplomaten“, sagt etwa die russische Politikberaterin Tatjana Stanowaja. Egal, ob beim Mordanschlag auf Alexej Nawalny oder in der Krim-Frage: Immer deutlicher wurde Moskaus Diplomatie in den vergangenen Jahren von der Propaganda-Linie des Kremls vereinnahmt. Immer wieder verteidigt Lawrow, ohne mit der Wimper zu zucken, auch noch so abstruse Erklärungen des Präsidenten Wladimir Putin. Lawrows Religion sei der russische Staat, zitierte die US-Journalistin Susan Glasser einen hochrangigen US-Diplomat.

Dabei gab es auch andere Zeiten. Wer Interviews von Lawrow aus der Zeit kurz nach seinem Amtsantritt liest, wird sich wundern, wie die Situation zwischen Russland und dem Westen überhaupt so eskalieren konnte. Noch 2005 erklärte Lawrow ohne Umschweife, dass alle Staaten das Recht hätten, ihre eigenen Bündnisse zu wählen. Im Bezug auf Europa träumte der Außenminister von einem freien Verkehr für Güter und Menschen zwischen Lissabon und Wladiwostok.

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Lawrow selbst galt damals als der neue Shooting-Star der russischen Diplomatie. Nach der Tristesse der Sowjetjahre und der Krise der Neunziger war Lawrow für viele Russen das menschliche Abbild eines neuen, erstarkten, rational argumentierenden Landes, das seine Interessen selbstbewusst verteidigt.

Längst ist das Selbstbewusstsein in schrille Eskalationsrhetorik übergegangen. Fast vergessen scheinen diplomatische Coups von Lawrow, zum Beispiel als Moskau 2013 einen US-Angriff auf Syrien mit dem Verstoß verhinderte, gemeinsam mit Baschar al-Assad die chemischen Waffen Syriens zu vernichten. Eine Idee, die für viele in Moskau eindeutig Lawrows Fingerabdrücke trägt.

Bei den Gesprächen am Dienstag in Moskau überraschte Lawrow nicht mit neuen Ideen. Man wolle weiterhin über die Sicherheitsgarantien sprechen, ließ das Außenministerium bereits am Montag mitteilen. Baerbock bekannte sich am Dienstag bereit „zu einem ernsthaften Dialog über gegenseitige Vereinbarungen und Schritte, die allen in Europa mehr Sicherheit bringen.“ Lawrow erklärte, dass Russland jetzt auf schriftliche Vorschläge aus dem Westen warte.

Aus russischer Sicht gibt es hier eigentlich nichts zu verhandeln. Zumal die eigentlichen Gesprächspartner für dieses Thema aus Moskauer Sicht jenseits des Atlantiks in Washington sitzen – und nicht in Berlin.

Mehr zum Thema: Außenministerin Baerbock reist nach Moskau, doch der Koalitionsstreit um die Pipeline ist ungelöst. Die Wirtschaft versucht auf allen Ebenen, den Konflikt mit Wladimir Putin zu entschärfen.

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