Ukraine-Russland-Konflikt Biden will mehr LNG für Europa, Katar hat es

US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus. Am Montag empfängt er den Emir von Katar – bei dem Treffen wird die Energieversorgung im Zentrum stehen. Quelle: AP

Rohstoff-Diplomatie unter Hochdruck: Der US-Präsident sucht nach Alternativen, um Europa unabhängiger von russischem Gas zu machen – und umgarnt dafür den Emir von Katar.

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Am letzten Tag im Januar wurde dem Emir von Katar eine seltene Ehre zuteil. Als einer von sehr wenigen ausländischen Staatslenkern wurde er von Joe Biden im Weißen Haus empfangen. Angesichts der Covid-Pandemie sind Besuche im Oval Office selten geworden, einen großen Teil seiner Kontakte pflegt der US-Präsident per Videokonferenz. Doch für besonders enge Partner wird immer noch der rote Teppich ausgerollt. Nun eben auch für Katar.

Und das hat seine besonderen Gründe. Dem Emirat kommt angesichts des Konflikts um die Ukraine eine Schlüsselrolle in den Plänen der Vereinigten Staaten zu. Denn der arabische Staat zählt zu den größten Produzenten von Flüssiggas (LNG) – und könnte damit zu einem wichtigen Energieversorger für Europa aufsteigen, sollte Moskau sich dazu entschließen, Europa den Gashahn abdrehen. So überrascht es nicht, dass Biden beim Treffen ankündigte, Katar offiziell als wichtigen Nicht-Nato-Verbündeten einstufen zu wollen. „Ich finde, das ist lange überfällig“, sagte er. Der Status als wichtiger Nicht-Nato-Verbündeter gibt Staaten, die nicht der Militärallianz angehören, zum Beispiel vereinfachten Zugang zu US-Rüstungsgütern. Schon länger versuchen die USA, alternative Quellen für die Versorgung des Kontinents zu erschließen. Bislang jedoch mit wenig Erfolg.

Denn die Abhängigkeit Europas von russischem Gas ist groß. Rund ein Viertel des Energiebedarfs der Europäischen Union wird mit Gas gedeckt. In Deutschland sind es sogar mehr als 30 Prozent. Und mehr als 50 Prozent des benötigten Rohstoffs bezieht allein die Bundesrepublik aus Russland. Auch bei anderen Energieträgern wie Öl oder Kohle ist Moskau der mit Abstand wichtigste Lieferant. Das macht die aktuelle Situation so schwierig – auch sicherheitspolitisch.

Lesen Sie hier: Auch LNG-Tanker können Europas Abhängigkeit von Russland nicht beenden

In Washington warnt man schon lange davor, dass sich Europa – und insbesondere Berlin – zu abhängig von russischen Energieexporten gemacht hat. Der Widerstand gegen Nord Stream 2 hat hier seine Wurzeln. Demokraten und Republikaner fürchten in seltener parteiübergreifender Einigkeit, dass die Europäer gegenüber Forderungen des Kreml einknicken könnten, um die eigene Bevölkerung vor hohen Preisen und kalten Wintern zu schützen – und sei es auf Kosten der Interessen von Staaten in Mittel- und Osteuropa, die vor dem Ende des Kalten Kriegs von der Sowjetunion dominiert wurden.

Zweifel an den Deutschen

Dass trotz des russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine bislang keine härtere gemeinsame Linie der Nato-Partner gefunden werden konnte, bestätigt diese Ängste nun. Insbesondere mit Blick auf Deutschland ist man in Washington nachhaltig verstört. Dass Berlin sich weigert, Kiew besser militärisch auszustatten und lediglich ein paar Tausend Helme schicken will, erklären sich viele in der US-Hauptstadt nicht nur mit der traditionellen Zurückhaltung der Bundesrepublik, sondern auch mit einer vermeintlichen Erpressbarkeit, in die Deutschland sich manövriert hat. Deshalb versucht das Weiße Haus, für die Europäer andere Quellen zu erschließen, um den Bedarf an russischem Gas zu verringern. Doch das ist nicht so einfach.

Denn Katar, das derzeit für rund fünf Prozent der europäischen Gasimporte verantwortlich ist, produziert zwar sehr viel Flüssiggas, doch angesichts des weltweiten Energiebedarfs ist ein großer Teil davon bereits langfristig vergeben. Solche Verträge lassen sich nicht ohne Probleme auflösen. Amerikanischer Druck könnte gleichwohl helfen.

Ohne Katar wird es für Europa schwer, ausreichend Gas auf den Weltmärkten zu finden. Das Emirat liefert sich seit Jahren mit den USA ein Wettrennen um den Titel des Weltmarktführers. Auch die Vereinigten Staaten haben ihre Exporte in die EU bereits jetzt deutlich hochgefahren. Im Dezember gingen rund die Hälfte der US-Gasexporte nach Europa. Einige Monate zuvor waren es noch 37 Prozent gewesen. Auch Australien, ebenfalls einer der größten LNG-Hersteller der Welt, hat angekündigt, mehr nach Europa zu schicken. Und Norwegen, nach Russland der wichtigste Versorger der EU, exportiert bereits mehr.

Doch die steigenden Preise in Asien haben zuletzt wieder dafür gesorgt, dass auch der dortige Markt für LNG-Anbieter zunehmend interessant wird. Im Januar wurden etwa zwei amerikanische LNG-Transportschiffe, die ursprünglich Kurs auf Europa genommen hatten, nach Asien umgeleitet. Im vergangenen Jahr gingen Routenänderungen meist in die andere Richtung. Der Markt ist nicht auf der Seite der Europäer.

Das zeigt, wie schwer es für Biden sein dürfte, Europa – und sei es nur kurzfristig – unabhängiger von russischem Gas zu machen. Somit könnte es für den US-Präsidenten schwierig werden, seine europäischen Verbündeten zusammenzuhalten. Zumal zumindest in der deutschen Öffentlichkeit die Sorge über eine Eskalation überschaubar zu sein scheint.



Einer aktuellen ZDF-Umfrage zufolge glaubt eine deutliche Mehrheit der Deutschen nicht, dass Russland in der Ukraine einmarschieren wird oder dass die Krise Auswirkungen auf russische Gaslieferungen haben wird.

Ob man das im Kanzleramt ähnlich sieht, wird Biden schon bald erfahren. Am 7. Februar, eine Woche nach dem Emir von Katar, kommt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu seinem Antrittsbesuch nach Washington.

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 31. Januar. Wir haben ihn aktualisiert und neu veröffentlicht.

Mehr zum Thema: Deutschlands größter Erdgasspeicher gehört Gazprom– und ist Symbol der dramatischen Abhängigkeit der Deutschen von Putins Gas.

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