USA nach der Wahl Das Ende von Trumps Dolchstoßlegende

Donald Trump macht stets den Rest der Welt für Probleme der USA verantwortlich. Quelle: dpa

Donald Trump machte stets den Rest der Welt für Probleme der USA – vom Handelsbilanzdefizit über Drogen bis hin zu Corona – verantwortlich. Diese selbstgefällige Denke wird künftig nicht mehr vom Weißen Haus aus betrieben. Ein Gastbeitrag.

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Wir Deutsche wissen um den fatalen Charakter von Dolchstoßlegenden: Nach dem Zerfall des deutschen Kaiserreichs bürdeten populistische Nationalisten vorgeblich „unpatriotischen“ Sozialdemokraten die politische Verantwortung für den verlorenen Ersten Weltkrieg auf. Die deutschen Truppen wären „im Felde unbesiegt“ geblieben, so die Legende, wenn nicht Politiker wie Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Matthias Erzberger dem edlen, kampfesmutigen deutschen Volk 1918 in den Rücken gefallen wären. 

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund mutete die Geisteshaltung Donald Trumps, der Rest der Welt sei für viele der in den USA bestehenden Probleme,  vom Handelsbilanzdefizit über Drogen bis hin zum Coronavirus, verantwortlich, geradezu gespenstisch an. Trump, der bei öffentlichen Auftritten gerne die amerikanische Nationalflagge umkost, offenbarte im globalen 21. Jahrhundert, dass sein Denken aus dem 19. Jahrhundert stammt, von üblem Chauvinismus geprägt war. Die aus seiner Sicht hochattraktive Logik: Die anderen sind schuld. Immer. Und an allem. Das Ausland. Oder die Demokraten

Dem materiell schlecht gestellten Teil seines Wahlvolks in der unteren Hälfte der amerikanischen Einkommenspyramide hat er damit eine hocheffektive Art der Satisfaktion verkauft: Es wurde davon abgehalten, die eigentlichen Gründe der eigenen Misere näher ins Auge zu fassen.

In der alttestamentarischen Logik des Kampfes der Nationen ist es eben niemals das eigene Land oder Volk, das zur Verantwortung zu ziehen ist. Das ist schon deshalb unmöglich, weil das amerikanische Volk aus Sicht der christlichen Fundamentalisten zu den auserwählten Völkern auf Erden gehört.

Und schon gar nicht ist es in dieser Betrachtung der amerikanische Kapitalismus, der für irgendetwas die Verantwortung trägt. Die aus dem Lot geratende Einkommensverteilung in den USA? Kein Thema. Das enorm teure und ineffiziente Gesundheitsversicherungswesen des Landes? Hat, obwohl weit überwiegend privatwirtschaftlich organisiert, nur deshalb Probleme, weil die Regierung intervenieren will. Politik als Wille und Vorstellung.  

Die Opioid-Krise ist für Dolchstoßdenker wie Trump nur deshalb wie eine Seuche über das amerikanische Volk hereingebrochen, weil mexikanische und chinesische Drogenmafias insbesondere die amerikanische Landbevölkerung ruchlos in ihre Krallen bekam. Dass es oft der Arbeitsplatzverlust und allzu niedrige Löhne sind, die diese Menschen in die Verzweiflung treiben, bevor sie mit Oxycontin ruhig gestellt werden - für Trump war's kein Thema.

Die Wahrheit über Dolchstöße

Was die Dolchstoßlegende in der Handelspolitik anbelangt, so hat China gewiss auch deshalb einen hohen Handelsbilanzüberschuss mit den USA, weil das Land auch mit politischen Dumpingpreisen die Weltmärkte bespielt. Dennoch ist das Ungleichgewicht im Warenverkehr zwischen den USA und China in erster Linie auf einen Faktor zurückzuführen, für den Peking keine Verantwortung trägt: die rigorose Outsourcing-Politik, die das Top-Management amerikanischer Konzerne seit Jahrzehnten verfolgt hat.

Dass etwa Walmart seit Jahrzehnten in den USA de facto als kommerzieller Absatzarm der KP Chinas agiert, ist der Walton-Familie nicht von der Parteiführung in Peking aufgezwungen worden. Mitglieder des Familienclans aus dem ländlichen Arkansas stiegen dank Peking in den Kreis der allerreichsten Amerikaner auf - zur politischen Flankensicherung, dies nur in Klammern, agierte Hillary Clinton jahrelang im Aufsichtsrat des Konzerns.

So also sehen in Wahrheit Dolchstöße aus. 

Natürlich, der systematische Abbaus der Beschäftigung im Inland hat dem amerikanischen Volk auch genutzt: Der Konsum verbilligte sich. Aber das war für die Konzerne nur ein Nebeneffekt des Outsourcing. Ihnen geht es, so wie bei der fortschreitenden Automatisierung der Produktion, vornehmlich immer um die maximale Senkung der eigenen Produktionskosten. Die Folgen für die amerikanische Gesellschaft wegen der im verarbeitenden Gewerbe massiv gestiegenen Arbeitslosigkeit spielen in den Überlegungen, wenn überhaupt, nur eine stark untergeordnete Rolle.  

Zwar wird in den USA seit Mitte der Achtzigerjahre – damals hieß die Bedrohungsquelle noch Japan – davon gesprochen, dass man die Arbeiter des eigenen Landes besser qualifizieren müsse, um sie gegen ausländische Konkurrenz zu schützen. Aber das ist, bis heute, nur Gerede: Umschulung und  Qualifikation kosten ein Unternehmen ja zunächst einmal viel Geld – und dienen jedenfalls nicht den persönlichen Erwerbsinteressen der aktuellen Konzernführung.

Das permanente Kostendrücken wird ja in den US-Chefetagen ungeniert  als gut empfunden, weil es – ungeachtet allen Geredes um „unternehmerische Verantwortung“ – unmittelbare Vorteile für die eigene Vergütung hat (vor allem des variablen Teils der Vergütung, etwa durch das Einlösen von Aktienoptionen). Gerade deshalb sind die CEOs der großen US-Konzerne gerne bereit, die Beschäftigungsinteressen der Arbeitnehmer den Profitinteressen der Konzerne zu opfern.

Diese eigensüchtige privatwirtschaftliche Praxis an den Konzernspitzen ist eine ganz wesentliche Ursache des Fabriksterbens im amerikanischen „Heartland“ und der jenseits der US-Metropolen zu beobachtenden Verödung der Innenstädte landesweit. Und an genau dieser Stelle schließt sich der Kreis vom Outsourcing zur Opioid-Krise.

Auch wenn sich die US-Regierung in der Vergangenheit (wie auch die EU) bei Handelsabkommen von China haben austricksen lassen, sind es in erster Linie die CEOs vieler US-Konzerne, die den amerikanischen Arbeitern aus Eigensucht in den Rücken gefallen sind. Sie waren es, die im Umfeld von Verhandlungen über Handelsabkommen oft für Großzügigkeit gegenüber China votierten, weil sie irreale Hoffnungen auf Absatzmöglichkeiten im chinesischen Markt hegten.

Warum hat Trump trotz allem Erfolg?

Und was ist mit dem Vorwurf des Dumpings? Trump dufte ihn mit Recht gegen China erheben, nicht aber gegen Europa. Europäische Hersteller offerieren ihre Güter im US-Markt, obwohl sie in Europa mit deutlich höheren Lohn- und Sozialversicherungskosten zu kämpfen haben.

Donald Trump focht es nicht an. Ihm war die Wahrheit egal. Er lebte in seiner eigenen Welt, in der Welt seines Wunschdenkens. Wenn Trump nur etwas Ahnung vom Wirtschaften in der Welt und der Warenproduktion hätte, würde er sofort einsehen, dass der Vorwurf, die USA auszubeuten, auf Europa nicht zutrifft.

Die großen europäischen Konzerne haben spätestens seit den Achtzigerjahren Produktionsstätten in den USA aufgebaut - also schon lange so gehandelt, wie Trump es als Initiator einer neuen Handelspolitik für sich in Anspruch nimmt.

Die Konzerne und Mittelständler wollten nicht nur näher an ihren Kunden sein und kürzere Lieferzeiten erzielen, sondern auch ihr Wechselkursrisiko  reduzieren. Diese Zusammenhänge sollten jedem Studenten, zumal wenn er – wie Trump – einen Wirtschaftsabschluss an der Wharton School der University of Pennsylvania erlangt hat, bestens vertraut sein. Eigentlich.

Aber Trump strickte lieber an seiner amerikanischen Dolchstoßlegende - und lenkte mit Blut-und-Boden-Rhetorik von den eigentlich Verantwortlichen ab. Was im Fall Deutschlands im Ersten Weltkrieg die Fehlentscheidungen der deutschen Generalität waren, sind im Fall der USA die Fehlentscheidungen ihrer spezifischen „Generalität“ – inklusive der allmächtigen CEOs des Landes. Die Resonanz des Argumentationsmusters - damals in Deutschland, heute in den USA – basiert wesentlich auf der (wirtschaftlichen) Verunsicherung der Bevölkerungen und auf dem relativen Absinken beider Nationen, was ihre Stellung in der Welt anbelangt.

Warum hatte und Trump damit dennoch Erfolg - bis heute? Für uns Europäer ist die von Trump unablässig propagierte Gleichung „Regierung böse, Privatwirtschaft gut“ nur schwer zu begreifen. In der amerikanischen Bevölkerung gehört sie quasi zur nationalen DNA.

Wir Europäer denken mit Blick auf die amerikanische Geschichte an Expansion („New Frontier“) und kriegerische Episoden (Bürgerkrieg, Vietnamkrieg, Irakkrieg), an die wildweste Gründungsphase des Landes und die Amtszeiten großer, beliebter Staatsmänner von Franklin D. Roosevelt über John F. Kennedy bis Barack Obama.

Doch das waren aber Ausnahmezeiten im politischen Tagesgeschäft der USA. Für die meiste Zeit hat das, was sich in den USA als „Regieren“ begreift, wenig mit dem zu tun, was wir Europäer darunter verstehen: das Verfolgen des öffentlichen Wohls.

In den USA werden Wahlen traditionell als eine Art Beutezug verstanden. Seit dem 19. Jahrhundert gilt, dass sich bestimmte privatwirtschaftliche Interessen zu Zweckbündnissen zusammenschließen und auf einen Kandidaten setzen. Gewinnt dieser die Wahl, werden fortan die Schalthebel der Regierung zur eigenen Bereicherung genutzt.

Das Prinzip dieses „Beutesystems“ - übrigens keine marxistisch inspirierte Interpretation der amerikanischen Politik, sondern in der US-Politikwissenschaft unter dem Begriff „dividing the spoils“ diskutiert: maximale Vorteile aus einer Wahl zu ziehen. Es gilt in den USA nicht als ehrenrührig, sich auf diese Weise gesundzustoßen.

Die historischen Zusammenhänge erklären, warum die Gleichung „Regierung böse, Privatwirtschaft gut“ im amerikanischen Volk noch heute verfängt. Man ist es eben so gewöhnt.

Letztlich hängt die Popularität dieser Gleichung mit dem Grundfehler der politischen Architektur der USA zusammen. In den USA wird Freiheit primär als Befreiung von Zwängen verstanden, die dem Volk von Seiten der Regierungen auferlegt werden. Dieser anti-gouvernementale Impuls wird vom Privatsektor  aus gutem Grund unablässig verstärkt: Er erlaubt es Unternehmen, im Windschatten der „bösen“ Regierungen ungestört ihre Kreise zu ziehen.

Donald Trump hat diesen Trend bewusst auf die Spitze getrieben. Er ist nicht nur die Personifizierung dieser Denkschule, sondern – in perverser Form – auch seine Perfektionierung. Die „Trump Organization“ verstand die Tatsache, den US-Präsidenten zu stellen, als einen Marketingbonus, um fröhlich Geschäfte auf eigene Rechnung zu betreiben. Daneben bediente „The Donald“ seine Milliardärsfreunde eifrig mit Steuergeschenken - was auch seinem eigenen Clan nutzte.


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Insofern hatten Trump und sein Clan stets beste Gründe, auf böse ausländische Mächte zu zeigen, um von ihren eigenen dunklen Manövern abzulenken. Aber das kann nicht bedeuten, Trumps amerikanische Version der Dolchstoßlegende unwidersprochen hinzunehmen. Im Gegenteil. Die Erfahrungen der deutschen Geschichte verlangen von uns etwas anderes: Wir dürfen Trump mit seiner bewusst falschen Darstellung der Ursachen der US-Malaise nicht aus der Verantwortung entlassen.

Mehr zum Thema: Alle News und Hintergründe rund um die US-Wahl finden Sie hier.

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