Anschlag in Berlin Sind wir wirklich erschüttert?

Politiker reagieren mit emotionalen Phrasen auf Terroranschläge. Doch tatsächlich gewöhnen sich die Menschen an die Bilder des Terrors. Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig.

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Streife auf Frankfurter Weihnachtsmarkt. Quelle: dpa Picture-Alliance

Sie sei „entsetzt, erschüttert, tief traurig“, sagte Angela Merkel am Dienstag nach der Gewalttat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Das Land sei in tiefer Trauer mit den Opfern vereint. Von „uns allen“ spricht sie. Ähnliche Worte sprach Joachim Gauck. Eine Bundeskanzlerin und ein Bundespräsident pflegen so etwas zu sagen, wenn ein Terroranschlag erfolgt. Viel Gefühl und viel wir.

"Kampf gegen Terror ist auch ein Kampf für Freiheit"
Frank-Walter Steinmeier Quelle: REUTERS
Klaus Bouillon Quelle: dpa
Horst Seehofer Quelle: dpa
Andreas Scheuer Quelle: dpa
Julia Klöckner Quelle: dpa
Thomas Strobl Quelle: dpa
Heiko Maas Quelle: dpa

Aber sind die Deutschen tatsächlich mit ihrer Kanzlerin und ihrem Präsidenten erschüttert? Oder sind die merkelschen und gauckschen Gefühlsbekundungen nur ein Teil einer längst eingeübten medialen Anti-Terror-Routine?

An der Börse, die einmal als Indikator für Stimmungen galt, ist nicht der geringste Ausschlag zu erkennen. Den Börsianern vorzuhalten, sie seien besonders abgebrüht, empfindungslos oder abgestumpft, ist unsinnig. Denn die nicht an der Börse handelnden Deutschen benehmen sich ähnlich.

Schon gestern Abend unter dem unmittelbaren Eindruck des Anschlags wirkten die Menschen in Berlin gelassen und besonnen, wie unser Berliner Kollege Florian Willershausen aus eigenem Erleben berichtet. Die Polizei tat ruhig ihre Arbeit, die Straßen waren und sind nicht leergefegt, keine überschäumenden Emotionen. Ebenso routiniert, wie die Kanzlerin vor der Presse auftritt, informieren sich die Deutschen, was passiert ist. Aber schon beim dienstäglichen Mittagessen in einem Düsseldorfer Schnellrestaurant blickt keiner mehr auf die Fernsehübertragung der Berliner Pressekonferenz, man unterhält sich über den Job, Weihnachtsgeschenke, Fußball. Wie immer.

Der Berliner Terroranschlag war, so könnte man sagen, vermutlich nicht nur an der Börse sondern auch im Alltagsleben der meisten Deutschen längst eingepreist. Man hatte so etwas schon lange erwartet. Nun ist es eingetreten.

Große Terroranschläge in Europa

Vor wenigen Tagen erst schrieb die Chefin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher, in der WirtschaftsWoche, dass sich in der Bevölkerung ein latentes Gefühl der Bedrohung breit gemacht habe: „Mittlerweile fürchten 80 Prozent, dass der Terrorismus weltweit zunimmt, 70 Prozent, dass es zu einem größeren Anschlag in Deutschland kommen wird.“ Zudem hätten 77 Prozent der Bürger „auch abseits von Terroranschlägen den Eindruck, dass Gewalt und Kriminalität generell zunehmen“.

„Keep calm and carry on“ – Die britische Regierung verzichtete 1939 darauf, bereits gedruckte Poster mit dieser Botschaft aufzuhängen. Es scheint auch 2016 unnötig. Die Menschen bleiben auch im Angesicht von Leiden und Schrecken ruhig – und führen ihr Leben weiter.

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