BAMF-Affäre Seehofer geht in die Offensive

Die Mitarbeiter des BAMF nimmt Bundesinnenminister Horst Seehofer in Schutz. An anderer Stelle ist er deutlich mit seiner Kritik. Quelle: dpa

Der Bundesinnenminister kündigt glaubhaft eine Qualitätsoffensive im Innenausschuss an. Das BAMF soll mehr Personal erhalten, die Verfahren könnten künftig länger dauern. Trotzdem bleiben viele offene Fragen.

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Zum Ende einer langen Sitzung des Innenausschusses platzte es aus dem Innenpolitiker Gerold Reichenbach heraus: „Seit zwei Jahren erzählt man uns hier in diesem Ausschuss, dass demnächst alles besser wird“, sagte er zu der BAMF-Chefin Jutta Cordt, die ihm gegenüber saß. „Das erinnert mich ein bisschen an diesen Witz: Sei fröhlich und lächele, es könnte schlimmer kommen, und es kommt dann schlimmer.“ Reichenbach sprach diese Worte am Morgen des 17. Mai 2017. Der Innenausschuss kam damals zusammen, um die Affäre um den Bundeswehrsoldaten Franco A. aufzuklären, der sich als syrischer Flüchtling ausgab – und einen Schutzstatus erhielt.

Damals sagte der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder, der für das Bundesinnenministerium vor dem Ausschuss erschienen war, man sei zu der Erkenntnis gekommen, „dass Geschwindigkeit nicht alles ist, sondern, dass wir vor allen Dingen auf die Qualität innerhalb der Entscheidung zu achten haben.“

Dass das damals nur ein Lippenbekenntnis war und es auch nach dem Fall Franco A. lediglich darum ging, möglichst viele Bescheide in möglichst kurzer Zeit abzuarbeiten – koste es, was es wolle – zeigten Dutzende Mails und Weisungen, die der WirtschaftsWoche vorliegen.

Der SPD-Politiker Reichenbach sitzt heute nicht mehr im Bundestag, sonst hätte er BAMF-Chefin Jutta Cordt vielleicht an diesem Dienstagnachmittag in Raum 2300 im Paul-Löbe-Haus darauf angesprochen, dass es nun das dritte Jahr ist, in dem alles besser werden sollte – und sich wenig getan hat. Aber zu erst einmal spricht der Bundesinnenminister Horst Seehofer persönlich. 30 Minuten trägt er vor. „Der Minister hat eine relativ gute Figur gemacht“, sagt einer, der in der Sitzung dabei war und dem Minister sonst nicht allzu wohlgesonnen ist. Seehofer gab, wie auch schon der frühere Staatssekretär Ole Schröder, das Motto aus: Qualität geht vor Quantität.

Allerdings untermauerte er dieses, sodass es diesmal nicht nur wie ein reines Lippenbekenntnis wirkt. Dass das BAMF 1300 neue Stellen erhält, ist nahezu sicher. Zudem kündigte Seehofer an, die Qualitätssicherungsmaßnahmen würden dazu führen, dass der Bestand an anhängigen Asylverfahren wieder massiv anwachsen werde. Die aktuell befristet angestellten Mitarbeiter sollen entfristet werden, das habe er telefonisch mit dem Finanzminister Olaf Scholz geklärt, heißt es aus Teilnehmerkreisen. Es scheint dem Minister also ernst zu sein mit der Qualitätsoffensive.

Seehofer räumte auch ein, dass die Rechts- und Fachaufsicht des BMI gegenüber dem BAMF bisher nicht zufriedenstellend war – und zielte damit auf seinen Vorgänger Thomas de Maizière. Die Mitarbeiter des BAMF nahm Seehofer dagegen in Schutz. Das BAMF habe die politische Rückendeckung aller Parteien gehabt – die beschleunigten Verfahren waren 2015 von den Ministerpräsidenten aller 16 Bundesländer mitgetragen worden. Zudem kündigte er an, dass alles, was er in der Causa Bremen erfährt, auch dem Parlament vorgelegt werden soll. Dieser Ankündigung war er wenige Stunden vor der Sitzung bereits nachgekommen und verschickte einen 200-seitigen Bericht an die Mitglieder des Innenausschusses.

Und Jutta Cordt? Die BAMF-Chefin geriet in der Causa Bremen in Erklärungsnot. Mancher glaubt, sie steht kurz vor dem Rausschmiss. Nach eigener Aussage will sie erst am 25. Oktober 2017 die entscheidenden Hinweise zum Fall Bremen erhalten haben. Allerdings hatte einer ihrer engsten Vertrauten im BAMF, Rudolf Knorr, bereits im Juni 2017 eine detaillierte Schilderung der Vorgänge in Bremen per Mail erhalten.

Entsprechend verwunderlich wirkt es auch, dass Cordt in der Innenausschusssitzung im April noch sagte, sie habe im Dezember 2017 die Forschungsabteilung des BAMF darauf angesetzt, herauszufinden, wie die unterschiedlichen Schutzquoten in verschiedenen Außenstellen zusammenkommen. Am Dienstag räumte sie ein, dass das schon im Herbst geschehen war.

Jutta Cordt im Fokus

Der Hintergrund: Dank parlamentarischer Anfragen der Linken war es schon seit Jahren bekannt, dass in Bremen überdurchschnittlich viele Asylsuchende einen Schutzstatus erhielten, während etwa Bayern und Sachen weit unter Bundesschnitt lagen, und das obwohl für alle Außenstellen eigentlich die gleichen Regeln gelten. Die Bundesregierung antwortete stets, dass das Zufall sei.

Mittlerweile werden mehrere Außenstellen untersucht, in denen es Unregelmäßigkeiten gegeben habe. Zwar scheint es in keiner dieser Außenstellen so krasse Verstöße gegeben zu haben wie in Bremen – aber auch hier schuf die mangelnde Aufsicht durch das BMI große Spielräume.

Die BAMF-Chefin verwies auch diesmal wieder auf das neue Qualitätssicherungskonzept aus dem September 2017. Der Personalrat bezichtigt Cordt in diesem Punkt der Lüge. „Ihre Behauptung, seit Ende 2017 sei zwecks ‚Qualitätskontrolle' nun das Vier-Augen-Prinzip erstmals eingeführt worden, ist falsch und setzt die Kolleginnen und Kollegen dem Verdacht aus, bis dahin habe Willkür geherrscht.“ Richtig ist: Es gibt das Vier-Augen-Prinzip seit Mitte 2015, allerdings war den Mitarbeitern damals freigestellt, wie es genau ausgeführt werden soll. Weder war vorgegeben, in welchem Umfang die Entscheide nachgeprüft werden sollten, noch wie diese Prüfung dokumentiert werden sollte. Seit September 2017 sei dies nun klar geregelt, heißt es aus Kreisen des Innenausschusses.

Offen bleiben aber weiterhin einige Fragen. Bereits Mitte 2014 soll es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in Bremen gegeben haben. Zuletzt im Mai 2018 soll sich noch einmal ein Referatsleiter in der BAMF-Zentrale gemeldet haben und auf diese Hinweise von vor vier Jahren verwiesen haben. Warum den Hinweisen damals nicht nachgegangen worden ist, ermittelt man im BAMF jetzt intern – die Ergebnisse sollen in drei Monaten vorliegen. Offen bleibt auch, wann Horst Seehofer von dem Fall Bremen erfahren hat. Dass seine engsten Mitarbeiter Hinweise nicht an ihn herangetragen haben und ein Handywechsel verhindert haben soll, dass er nicht schon im März über den Fall informiert worden sein soll, erscheint hanebüchen.

Erstmals hat sich nun auch die ehemalige Leiterin der Bremer-Außenstelle, Ulrike B., öffentlich zu dem Fall geäußert. Gegenüber der „Bild“-Zeitung sagte sie, ihr sei es stets darum gegangen, Menschen in Not zu helfen und nicht blanke Zahlen zu produzieren. Sie betonte, niemals Geld angenommen zu haben, der Vorwurf der Korruption sei lächerlich. Außerdem erhebt auch Ulrike B. schwere Vorwürfe gegen Jutta Cordt – und deren Vorgänger Frank-Jürgen Weise. Mit dem Amtsantritt Weises sei es nicht mehr um die menschlichen Schicksale gegangen, sondern nur noch um Fallzahlen und Bearbeitungszeiten. Dass sei mit den vorhandenen Mitarbeiterzahlen aber nicht ordnungsgemäß möglich gewesen. Auch unter Weises Nachfolgerin Jutta Cordt habe sich daran nichts geändert – obwohl Cordt von dem Systemversagen wusste.

Ob Ulrike B. sich schuldig gemacht hat oder nicht, muss die Staatsanwaltschaft herausfinden. Fest steht: Der Stuhl von Jutta Cordt wackelt gewaltig.

Die Akteure in der BAMF-Affäre
Ein Blick auf das Gebäude der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Bremen. Quelle: dpa
Bundesinnenminister Horst Seehofer Quelle: dpa
Jutta Cordt, Chefin des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), ist auf dem Weg zu einem Krisengespräch im Gebäude des Senator für Inneres Bremen. Quelle: dpa
Bremen: Das Schild an der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Quelle: dpa
Josefa Schmid (FDP), Bürgermeisterin von Kollnburg Quelle: Kollnburg
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium (BMI), Stephan Mayer (CSU) Quelle: dpa
Thomas de Maizière (CDU) war in der vergangenen Legislaturperiode Bundesinnenminister. Quelle: dpa
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