Es würde kein rauschendes Ergebnis werden, diese Wiederwahl des Vorsitzenden Volker Kauder in der Fraktion aus CDU und CSU im Bundestag. Das war seit Tagen klar. Aber nun das: Der Baden-Württemberger war seit 13 Jahren im Amt, er ist enger Vertrauter der Kanzlerin und strenge Führungskraft seiner 246 Abgeordneten. Immer wieder muckten die Wirtschaftspolitiker oder die Konservativen in der Fraktion gegen den offiziellen Kurs in der Eurokrise oder bei den Flüchtlingen auf.
Doch so lange es genug Posten gab und die Macht im Kanzleramt bei der Union war, so lange hofften die Regierenden darauf, dass der Satz von der Union als Kanzlerwahlverein schon stimme. Wer die Macht hat, hat die Unterstützung der Seinen. Außerdem hatten sich alle, die etwas für die ganze Fraktion zu sagen haben, direkt vor der geheimen Wahl für Kauder ins Zeug gelegt: Kanzlerin und Parteichefin Angela Merkel selbst, CSU-Parteichef Horst Seehofer und der erste Stellvertreter von Kauder, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.





Der Verweis auf Zwänge und der Aufruf, stabile Verhältnisse zu wahren, zünden spätestens seit Dienstag nicht mehr in der Union. Der bisherige Fraktionsvize und Finanzexperte Ralph Brinkhaus schlug den bisherigen Fraktionschef Volker Kauder. Die Abwahl in der mit Abstand größten Fraktion im Bundestag war ein ähnliches Beben wie am Morgen aus der deutschen Wirtschaft zu vernehmen war. Der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, hatte die Regierung in drastischen Worten, wie sie sonst nie in Richtung der wirtschaftsfreundlichen Union fallen, kurz und klein kritisiert. „Ständiger Selbstgesprächemodus“, „Stillstand“ und Untätigkeit, dass es gegenüber der Wirtschaft schon „unterlassene Hilfeleistung“ sei, grantelte Kempf.
Die Etablierten – die Finanz- und Wirtschaftspolitiker, aber auch die Verbandsvertreter der Wirtschaft – stehen nun offen und in einer bisher unbekannten Härte gegen Merkels Kurs. Sie wollen kein Moderieren mehr, kein Bedeckthalten und Lavieren der Regierung. Sie verlangen einen anderen Politikstil und andere Inhalte.
Es ist nun nicht mehr unbedingt zu erwarten, dass diese geschrumpfte und schwache „große“ Koalition aus Schwarzen und Roten eine volle Amtszeit durchhält. Kanzlerin Merkel dürfte unter diesen Bedingungen keine geordnete Übergabe der Macht rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl mehr hinbekommen. Die Macht entgleitet ihr zusehends.
Ihre Art zu Regieren hat sich überlebt. Das zeigte sich bei den desaströsen wie verdeckten Kämpfen mit CSU-Chef Horst Seehofer um die Zuwanderungs- und Integrationspolitik. Das zeigte sich beim Schlamassel und gravierenden Fehleinschätzungen um den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. Das zeigte sich beim wenig überzeugenden Umgang mit der rechtsextremen Alternative für Deutschland ebenso wie nach den Ausschreitungen in Chemnitz, wohin die Kanzlerin noch immer nicht gereist ist. Das zeigte sich letztlich in einer Arroganz der Macht, wenn Regierende die Sorgen und Themen der Regierten nicht mehr genug wahrnehmen.
Nicht nur von den Rändern droht dieser Demokratie Gefahr, weil die extremen Parteien stärker werden. Auch aus der Mitte, von den Etablierten, fehlt inzwischen wichtiger Beistand für eine Regierung, die einmal weite Schichten der Bevölkerung vertreten wollte.
Diesem Land geht es gut. Doch haben viele das Gefühl, dass es ungerecht zugeht und Chancen zunehmend ungleich verteilt sind. Diese Regierung und Kanzlerin Merkel haben genau ein Jahr seit der letzten Bundestagswahl noch nicht gezeigt, wohin sie mit dieser Gesellschaft wollen und wofür es lohnt, diesen Kurs zu unterstützen.
Welchen Kurs eigentlich? Statt einer Politik der ewigen Schadensbegrenzung ist nun ein Neuanfang notwendig. Dieses Beben im deutschen Bundestag ist ein erstes Zeichen dafür.