FDP-Wahlerfolge Erst feiern, dann Gratwanderung

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Nur ein bisschen den Ampelmann machen

Nun zu den Farbenspielen. Den Mut zur neuen Eigenständigkeit hat die FDP nicht erst in der Pandemie entdeckt. Es war eine der Lehren aus der Apo-Zeit, dass eine liberale Partei in Deutschland mehr sein muss als das wirtschaftsfreundliche Anhängsel der Union. Mit Volker Wissing als Generalsekretär, bislang auch Vize-Ministerpräsident in der rot-gelb-grünen Regierung von Rheinland-Pfalz, hat Lindner dieser Eigenständigkeit im vergangenen September ein glaubwürdiges Gesicht gegeben. Wissing profilierte sich auf Kosten der Unionsparteien, das „Handelsblatt“ taufte ihn „Schrecken der CSU“.

Auf die nach den Landtagswahlen nun folgenden Ampel-Debatten ist die FDP dementsprechend gut vorbereitet. Lindner, der an der Politik die strategischen Spielchen besonders mag, ist auf einen Mehrfronten-Wahlkampf eingestellt. Er wird stets darauf verweisen, dass es immer darum geht, ob seine Partei liberale Inhalte durchsetzen kann. Dass er in Niedersachsen 2017 eine mögliche Ampel-Koalition ablehnte, weil er genau dafür keine Chance sah. Dass Rheinland-Pfalz da eine ganz andere Tradition sozial-liberaler Zusammenarbeit kennt. Und dass auch in Baden-Württemberg mit einem grün angehauchten Konservativen wie Winfried Kretschmann eine konstruktive Zusammenarbeit möglich sei.

Auch auf Bundesebene ist die Partei der Freiheit endlich frei von Festlegungen. Wissing verortet das bürgerliche Lager längst im Haus der Geschichte. Er und Lindner wissen jedoch, dass sie es mit den Avancen an SPD und Grüne nicht übertreiben dürfen. Es bleibt eine Gratwanderung. Nur ein Buchstabe trennt den Ampelmann vom Hampelmann.

Und so war die FDP zuletzt bemüht, ihr gutes Verhältnis zur Union zu betonen. Da passte es, dass erst Armin Laschet und kurz danach Markus Söder die Liberalen als Wunschpartner lobten. Lindner wiederum lobt Laschet ohnehin gerne. In NRW regiert man schließlich ziemlich geräuschlos zusammen. Also alles gut?

Nun ja. „Die Gefahr eines Linksrutsches bei der Bundestagswahl ist nicht gebannt“, twitterte CSU-Generalsekretär Markus Blume am Sonntagabend. Die FDP müsse Farbe bekennen, ob sie „Steigbügelhalter von Grün-Rot“ sein wolle. Es ist dieses Gelbe-Socken-Narrativ, dass von der Union nun öfter zu hören sein wird: Wer FDP wählt, wacht am Ende mit Olaf Scholz oder Annalena Baerbock im Kanzleramt auf!

Linder kann die Sorge vor einem Linksrutsch mit der FDP eigentlich leicht kontern: Das Jamaika-Aus von 2017 verleiht ihm ausreichend Glaubwürdigkeit, wirklich nur dann einer Koalition zuzustimmen, wenn er echte eigene Herzensprojekte durchsetzen konnte.



Schwerer schaden könnte der Vorwurf der Beliebigkeit im Wahlkampf allerdings, wenn sich eine weitere aktuelle Entwicklung fortsetzt: die Krise der Union. Sollten das Masken-Debakel und die verkorkste Coronapolitik noch weit in den Wahlkampf hineinstrahlen, wächst innerhalb der FDP der Druck, gezielter ein Angebot an enttäuschte und wirtschaftsliberale Unionswähler zu formulieren. Es ist nicht schwer vorstellbar, welcher – Vorsicht: verbotenes Wort – Flügel der Partei darauf drängen könnte.

Noch immer sind weite Teile der Basis der FDP wesentlich konservativer, als es die eigene Programmatik in gesellschaftspolitischen Fragen vermuten lässt. Politikwissenschaftler weisen regelmäßig darauf hin. Und noch immer gibt es einige in der Partei, die unterscheiden zwischen klassisch-liberalen Wirtschaftsinhalten und jenem Mitfühlliberalismus, der sich für Aufstieg, Einwanderung und Minderheitenrechte einsetzt, zwar ganz sympathisch daherkomme – aber doch keinen echten FDP-Wähler an die Urne hole. Nicht liberal sei, sondern liberalala. Rainer Brüderle sprach mal von „Säuselliberalismus“.

Im Wahlkampf in Baden-Württemberg ließ sich die klassische Wähleransprache dort besonders gut beobachten, wo aus voller Überzeugung die Rettung des Verbrennungsmotors propagiert wurde – häufig hart an der Grenze des noch wissenschaftlich nachvollziehbaren. Manch anderer FDP-Politiker konnte da aus der Ferne nur mit dem Kopf schütteln ob der Ignoranz klimapolitischer Realitäten.

Nicht wenige in der FDP werden sich nun genau anschauen, ob es der Kampf für den Verbrenner war, der im Ländle den Stimmenzuwachs brachte. Oder ob Aufstiegsversprechen und freiheitlich-progressives Gesellschaftsbild die Erfolge vor allem bei jungen Wählern erklären. Vermutlich ist es am Ende ein bisschen von allem. Wer aber die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Partei als verschiedene Politikstile verharmlost, verkennt die Herausforderungen der strategischen Lage, in die sich die Liberalen begeben haben.

Die selbst auferlegte Eigenständigkeit muss sich daher vor allem an der Frage messen lassen, welchen Stellenwert die eigenen Inhalte im Wahlkampf wirklich bekommen – und mit welcher Ernsthaftigkeit sich die Liberalen den Debatten stellen. Wer sich verschiedene Koalitionsoptionen offenhält, um die eigenen Ziele endlich umsetzen zu wollen, muss umso besser erklären können, was er eigentlich erreichen will.

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Da hilft es wenig, sich kulturkämpfend an einer „Verbots“-Politik der Grünen abzuarbeiten. Als deren Fraktionschef Anton Hofreiter kürzlich kritisch über Eigenheime sprach, über Zersiedelung und hohen Ressourcenverbrauch, da war von FDP-Politikern schnell zu hören: Hilfe, der Sozialismus kommt, Deutschland drohen DDR-Plattenbauten!

Liberale Vorschläge hingegen, wie sich Aufstiegswille, Stadtentwicklung und Klimaschutz in Einklang bringen lassen, waren kaum zu vernehmen. Dieses Muster ließe sich für verschiedenste Politikfelder durchdeklinieren: verzerrende Zuspitzung statt konstruktiver Kritik plus Gegenvorschlag. Es gibt viele gute Ideen, wie man die Krisen unserer Zeit marktwirtschaftlich lösen könnte. Von der FDP hört man sie leider, trotz neuer Eigenständigkeit, immer noch zu leise.

Mehr zum Thema: In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben nicht so sehr die Grünen oder die SPD gewonnen, sondern Winfried Kretschmann und Malu Dreyer. Was das für den Bund bedeutet? Dass alles möglich ist.

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