Freytags-Frage
CDU-Vertreter, hier Gesundheitsminister Jens Spahn (li.) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier gehören der künftigen Bundesregierung wohl nicht an. Doch nicht nur personell dürfte sich die Besetzung am Kabinettstisch stark verändern. Quelle: dpa

Wie sieht ein problemorientierter Kabinettzuschnitt aus?

Um ineffiziente Dopplungen zu vermeiden, sollten die künftigen Koalitionäre die inhaltliche Ausgestaltung der Ressorts genauestens durchdenken. Die Ministerien müssen sich viel besser abstimmen.

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Die Partner der wohl wahrscheinlicheren zukünftigen Koalition, der Ampel-Konstellation aus SPD, Grünen und FDP, haben sich gestern erstmals zu dritt getroffen. Sie wollten den Spielraum für eine Koalition ausloten. Trotz substanzieller Unterschiede gibt es vermutlich genug Gemeinsames, um dann in wenigen Wochen eine Koalition zu bilden.

Aber sogar unabhängig von der Farbkonstellation der neuen Regierung, also Ampel oder Jamaika (eine GroKo wird es wohl mit Sicherheit nicht geben), warten auf die Koalitionäre sehr große Herausforderungen: Klimaschutz, Digitalisierung, Bürokratieabbau, Strukturwandel, Bildungspolitik sowie Modernisierung der Sozial- und Gesundheitspolitik, um die wichtigsten zu nennen. Diese Diagnose wird wohl von allen vier politischen Parteien weitgehend geteilt; die Therapievorschläge divergieren (noch).

Um die Herausforderungen zu meistern, wird es nicht nur darauf ankommen, die richtigen Ideen zu haben. Die Akteure müssen sich in die Lage versetzen, diese Ideen umzusetzen. Der Ressortzuschnitt, mit dem die Ziele mit möglichst geringem Aufwand erreicht werden, könnte entscheidend sein. Die Politik sollte also effektiv und effizient sein.

Zu oft war zu beobachten, wie sich Ressorts gegenseitig blockiert haben. Oft war es unerheblich, ob die Minister derselben Couleur oder unterschiedlichen Parteien angehört haben. Ebenso beobachten wir in Berlin, dass viele Ministerien sich überlappend mit denselben Themen befassen. Gegenwärtig haben elf Ministerien (einschließlich Bundeskanzleramt) eigene Afrikastrategien. Das ist ineffizient und macht uns nicht nur in Afrika zum Gespött.

Deswegen macht es Sinn, schon beim inhaltlichen Ressortzuschnitt die potenziellen Reibungsverluste gering zu halten. Dies geschieht am einfachsten in zwei Schritten, die logisch getrennt durchgeführt werden sollten. Erstens müssen für inhaltliche Schwerpunkte jeweils führende Ressorts definiert werden, die die Aktivitäten sammeln, ohne den Wettbewerb der Ideen deswegen abzuwürgen. Im Bundeskanzleramt muss dazu der Begriff Richtlinienkompetenz wieder mit Leben gefüllt werden. Dort müssten Ziele und Strategien abgestimmt und dann gemeinsam mit den Fachministern beschlossen werden, die dann in den Ministerien umgesetzt werden.

Kein Bayer im Verkehrsministerium

Zweitens geht es um den inhaltlichen Zuschnitt der Ressorts. Relativ klar und vermutlich kaum zu ändern dürften dabei die Zuständigkeiten des Verteidigungsministeriums, des Justizministeriums, des Innenministeriums, des Familienministeriums und des Verkehrsministeriums sein. Letzteres sollte nur nicht länger von einem Bayern oder einer Bayerin geleitet sein. Die bisherigen Amtsinhaber aus dem Freistaat haben unverhältnismäßig viel Geld zuhause ausgegeben. Angesichts der Infrastrukturprobleme im gesamten Bundesgebiet ist das nicht akzeptabel.

Bei allen anderen Ministerien kann man sich Änderungen beziehungsweise eine Pflicht zur gegenseitigen Abstimmung vorstellen. Das Sozialministerium sollte sich mit dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) abstimmen, damit endlich die restriktiven Zuverdienstregeln für Empfänger von Arbeitslosengeld II gelockert werden. Sozialpolitik greift in die Wirtschaft genauso ein, wie Wirtschaftspolitik soziale Auswirkungen hat.

Das Landwirtschaftsministerium könnte schlicht abgeschafft werden, denn es ist nicht einzusehen, dass ein einzelner Sektor ein eigenes Ministerium hat, das zudem noch vornehmlich aus Vertretern dieses Sektors besteht. Die Aufgaben dieses Ministeriums können in Wirtschafts-, Finanz- und Umweltministerium erledigt werden, die um die entsprechenden Abteilungen ausgeweitet werden können.

von Sonja Álvarez, Sophie Crocoll, Daniel Goffart, Max Haerder, Christian Ramthun, Cordula Tutt

Gleiches gilt für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dessen Aufgaben sollten abgetreten werden, und zwar ans Auswärtige Amt (AA), ans BMWi, ans Bildungsministerium (BMBF) und ans Umweltministerium (BMU). Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) sollte erstens zunehmend strategisch begriffen werden, weswegen sie im AA bestens aufgehoben wäre; Dänemark hat diesen Schritt vorgemacht. Die wirtschaftliche Komponente der EZ sollte entsprechend ins BMWi verlagert werden. Dort würde dieser Schritt die außenwirtschaftliche Kompetenz erhöhen. Da EZ zunehmend auch umwelt- und bildungspolitisch bedeutsam ist, sollte sich diese Bedeutung in der Kompetenz von BMU und BMBF niederschlagen.

Schließlich bleiben das BMWi und das BMU. Angesichts der großen Bedeutung des Klimaschutzes ist eine enge Abstimmung zwischen diesen beiden Ressorts unabdingbar. Denn es sollte klar sein, dass Klimaschutz in Deutschland nur erfolgreich ist, wenn er nicht gegen die wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung gerichtet ist. Anders gewendet: Wir müssen den Klimaschutz effizient organisieren. Deshalb sind diese Ressorts so etwas wie „natürliche Verbündete“ im Kampf um das Klima. Sie sollten deshalb auch so aufgestellt werden.

Das BMWi, das zuletzt eher schwach und unbedeutend wirkte und vor allem mit dem Durchwinken von Subventionen befasst zu sein schien, sollte zudem gestärkt werden, indem es die Kompetenz bekommt, politische Maßnahmen aus anderen Ressorts, die wirtschaftliche Konsequenzen aufweisen, auf ihre Konsistenz mit der marktwirtschaftlichen Ordnung hin zu überprüfen und dazu eine Stellungnahme abzugeben. Dies ist im Grunde die traditionelle Aufgabe des BMWi und kommt darüber hinaus dem Vorschlag eines Klimaministeriums mit Vetorecht insofern recht nahe, als dass die zukünftige wirtschaftliche Ordnung ohne Berücksichtigung des Klimas kaum vorstellbar ist. Im Unterschied zum originären Vorschlag aus dem Grünen-Wahlkampf wird hier auf ein Veto bewusst verzichtet, um keine Totalblockaden zu initiieren. Es würde schon helfen, wenn im Bundeskabinett über zielführende Maßnahmen diskutiert werden kann.

Dieser Vorschlag zielt darauf ab, Umwelt-, Sozial-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik konsistenter und besser abgestimmt zu gestalten, als dies in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war. Politisch keine leichte Aufgabe. Aber es sollte doch jedem in der künftigen Bundesregierung bewusst sein, dass die Herausforderungen, vor denen wir stehen, wohl nur mit innovativen Ideen auch in organisatorischer Hinsicht zu lösen sind. Da die Dringlichkeit der Aufgabe in der Gesellschaft wahrgenommen wird, besteht eine gute Chance dafür!

Mehr zum Thema: Wer sagt, dass der Nachwuchs nichts von Politik versteht? Dass Erwachsene vernünftig wählen? Das Land wird älter. Höchste Zeit, den Jüngsten das Wahlrecht zu geben – und damit Einfluss auf ihre eigene Zukunft.

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