Jamaika-Gespräche Merkel warnt vor Neuwahl-Gerede

Bei den Jamaika-Gesprächen geht's ans Eingemachte. Zum Start der heißen Verhandlungsphase werden Kompromisssignale laut. Doch besonders beim Klimaschutz sind die Gräben tief.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt am Montag zu einer Fraktionssitzung der CDU in Berlin. Quelle: dpa

Kurz vor dem Start in die entscheidende Phase der Sondierungen von Union, FDP und Grünen für eine Jamaika-Koalition hat CDU-Chefin Angela Merkel davor gewarnt, immer wieder Neuwahlen für den Fall des Scheiterns ins Spiel zu bringen. Auch die CDU müsse ein Jamaika-Bündnis nicht um jeden Preis eingehen, sagte sie am Montag nach Angaben von Teilnehmern in einer Sitzung des CDU-Vorstands.

Es sei aber nicht klug, ständig öffentlich das Stichwort Neuwahl zu nennen. Schließlich hätten alle Partner auch die staatspolitische Verantwortung, eine stabile Regierung zustande zu bringen.

FDP-Chef Christian Lindner hatte am Wochenende den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt, seine Partei habe „keine Angst vor Neuwahlen“. Am Montagabend wollte Merkel mit den Parteivorsitzenden Horst Seehofer (CSU), dem Grünen-Spitzenduo Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir sowie Lindner und dem FDP-Vize Wolfgang Kubicki zusammenkommen, um eine Basis für die heiße Phase der Beratungen zu schaffen.

Von Dienstag an sollen die Beratungen zu Fachthemen fortgesetzt werden. Angestrebt werden bis Mitte November konkretere Ergebnisse, damit die vier Parteien über die Aufnahme formeller Koalitionsverhandlungen entscheiden können.

Merkel betonte zum Start in die konkrete Sondierungsphase ihren Einigungswillen mit FDP und Grünen. Sie gehe in die Verhandlungen mit dem Vorsatz, dass es gelingen könne, sagte Merkel am Montag nach Angaben von Teilnehmern in einer Sitzung der Unionsfraktion. Sie wurde mit den Worten zitiert: „Ich will das.“ Sie könne zwar nicht sagen, ob die Verhandlungen am Ende gelingen könnten. Man müsse aber den Anspruch haben, die Gespräche zum Erfolg zu führen, sonst könne man es gleich sein lassen. Merkel betonte demnach, die Frage, wo die Verhandlungen tatsächlich stünden, hänge nicht von der Zahl der Interviews oder der einen oder anderen Drohung ab.

In der Union wird befürchtet, eine vorgezogene Bundestagswahl bei einem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen könnte zu einer weiteren Stärkung der Rechtspopulisten von der AfD führen. Nach einer am Montag veröffentlichten Forsa-Umfrage im Auftrag der Mediengruppe RTL würde sich das Ergebnis bei einer Neuwahl kaum vom Resultat der Bundestagswahl vom 24. September unterscheiden.

von Elisabeth Niejahr, Christian Schlesiger, Max Haerder

SPD-Chef Martin Schulz warf den vier Parteien vor, respektlos mit dem Wählervotum umzugehen. Das Nicht-Wahrnehmen des Regierungsauftrages sei nicht in Ordnung. Huldvolles Winken vom Balkon sei zu wenig: „Das kenne ich von den Royals in London.“ Man könne nur hoffen, dass sich die Unterhändler nun zusammenrauften. „Sonst werden die Wähler das Wort haben“, sagte Schulz mit Blick auf Neuwahlen.

Die Jamaika-Gespräche würden diese Woche in eine „wichtige Phase“ gehen, kündigte Unions-Fraktionschef Volker Kauder am Montag an. „Es ist von allen Seiten viel guter Willen notwendig, und es ist notwendig, in dieses Projekt zu investieren.“ Kauder appellierte hat an die Unterhändler, sich ihrer Verantwortung zu stellen.

Zu den strittigen Themen bei den Sondierungen zählt vor allem die Klima- und Energiepolitik - ein zentrales Streitthema zwischen Liberalen und Grünen. Am Montag plädierte die FDP erneut dafür, die deutschen Klimaschutzbemühungen zu verlangsamen. Generalsekretärin Nicola Beer erklärte, die FDP wolle die international vereinbarten Klimaziele für die Jahre 2050 und 2030 einhalten, aber sie stellte das deutsche Ziel für 2020 in Frage.

Das sorgte für Widerstand bei Grünen und CDU. Anders als die FDP stehe die Union nach wie vor zum nationalen Klimaschutzziel, die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu verringern, sagte Kauder. Er könne sich „beim besten Willen nicht vorstellen, dass wir in einer Koalition mit den Grünen hinter den Zielen zurückbleiben können, die wir in der großen Koalition schon formuliert haben.“

Grünen-Parteichefin Simone Peter sagte am Montag, die FDP müsse den Klimaschutz mittragen - „sonst sind die Sondierungen schnell am Ende.“ Peter kündigte „knallharte und beinharte Verhandlungen“ an. Die Grünen-Chefin kritisierte zudem die „Unernsthaftigkeit“ der FDP in den Verhandlungen. „Mit Flip-Flops den steilen Berg besteigen macht keinen Sinn.“ Es sei zudem vollkommen falsch, jetzt die „Keule Neuwahlen oder Scheitern zu schwingen“.

Grünen-Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter deutete im Streit über den Kohleausstieg Kompromissbereitschaft an. Er sagte der „Passauer Neuen Presse“, die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke müssten schnellstmöglich vom Netz, damit Deutschland das Klimaziel 2020 erreiche. „Entscheidend ist aber vor allem, dass insgesamt weniger Kohle verfeuert wird, um die CO2-Minderungsziele zu erreichen. Wir können den Klimaschutz auch durch strengere CO2-Grenzwerte oder die Drosselung der Produktion von schmutzigem Strom verbessern.“

Nach dem Pariser Klimaabkommen müssen die Teilnehmerstaaten unter anderem Einsparziele für Treibhausgase für das Jahr 2050 formulieren. Das deutsche CO2-Sparziel für 2020 gilt nach aktuellem Stand als nur noch schwer erreichbar. Parallel zu den Jamaika-Sondierungen begann am Montag die Weltklimakonferenz in Bonn. Die nach Teilnehmerzahl bisher größte Konferenz auf deutschem Boden soll in den nächsten zwei Wochen einheitliche Regeln dafür erarbeiten, wie die einzelnen Länder ihren CO2-Ausstoß messen und angeben.

Bis vergangenen Freitag waren in einer ersten Sondierungsphase zwölf Themenkomplexe grob auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht worden. Dabei wurde klar, dass einige brisante Themen nur separat auf Chef-Ebene zu klären sind. Dazu gehören die Flüchtlingspolitik, der Klimaschutz und die Verkehrspolitik mit Weichenstellungen zur Zukunft von Autos mit Verbrennungsmotor.

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