Jobwunder Deutschland Warum der Arbeitsmarkt wieder brummt

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Arbeitslose und Kurzarbeiter

Solche Meldungen stabilisieren nicht nur die Laune der Belegschaften, sondern auch die immer noch labile Konjunktur. Die Arbeitslosigkeit ist die größte Sorge der Deutschen und hat in den vergangenen Monaten dazu geführt, dass die Bundesbürger ihre Portemonnaies eng am Körper hielten. Nach einer Umfrage des Forschungsinstituts GfK fürchten sich 66 Prozent der Bundesbürger vor einem Jobverlust – das ist mit großem Abstand Rang eins auf der ökonomischen Sorgenskala. Sinkt nun die Angst um den Arbeitsplatz, könnte auch der zuletzt lahmende Konsum wieder anziehen.

Redet da noch jemand von Krise? Wie kann das alles sein in Zeiten von Schuldendesaster und Inflationsgefahr, von Euro-Siechtum und konjunktureller Unsicherheit? Warum schnellt die Arbeitslosenquote im Nachbarland Frankreich auf über 10 Prozent nach oben, in Spanien gar auf 20 Prozent, während wir bei nur 7,1 Prozent liegen? Ökonomen machen dafür ein ganzes Bündel von Gründen verantwortlich.

„Deutschland fährt jetzt die Ernte der rot-grünen Sozialreformen ein“, lobt der Arbeitsmarktforscher Hilmar Schneider, Direktor beim Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Die Agenda 2010 der Regierung Gerhard Schröder habe ein neues Anreizsystem installiert, das die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit deutlich verkürzte. Hinzu kam eine – von einigen Ausreißern abgesehen – moderate Lohnpolitik der Gewerkschaften, die sich auch in diesem Jahr fortsetzt. Die IG Metall etwa ging 2010 erstmals in ihrer Geschichte ohne Lohnforderung in eine Tarifrunde. Am Ende akzeptierte sie einen bis April 2012 laufenden Tarifvertrag, der für 2010 nur eine Einmalzahlung vorsieht – und erst ab April 2011 ein Lohnplus von 2,7 Prozent, das auf Betriebsebene noch um zwei Monate verschoben werden kann.

Luft für die Betriebe

Die Folge der Lohnmäßigung: Die Lohnstückkosten in Deutschland blieben seit Mitte der Neunzigerjahre nahezu stabil, während sie in vielen anderen Industriestaaten nach oben schossen. „Das schaffte Luft für die Betriebe, in der aktuellen Krise eine Durststrecke mit hochschießenden Lohnstückkosten und sinkender Produktivität zu überstehen“, sagt IZA-Experte Schneider. In früheren Rezessionsphasen, etwa Anfang der Achtziger- und Neunzigerjahre, verschwanden jedes Mal über eine Million Jobs. Selbst während des relativ harmlosen Konjunktureinbruchs 2001 bis 2003 verloren rund 600.000 Menschen ihre Arbeit.

Fachkräftemangel: Demografisch bedingt drängen in diesem Jahr rund 150.000 Menschen weniger auf den Arbeitsmarkt als in den Vorjahren, und in den kommenden Jahren dürfte dieser Effekt weiter anwachsen. Das verbessert die Statistik, ohne dass ein einziger neuer Job entsteht. Das Entscheidende aber: Den drohenden Fachkräftemangel vor Augen, haben viele Firmenchefs nicht den Fehler der Vergangenheit wiederholt, in der Krise zu schnell zu viele Leute auf die Straße zu setzen – Personal, das im nächsten Aufschwung dann mit hohen Such- und Einarbeitungskosten neu rekrutiert werden muss. In der Metall- und Elektroindustrie, Deutschlands wichtigster Branche, gingen 2009 zwar 125.000 Jobs verloren. Die dramatisch einbrechende Jahresproduktion hätten die Betriebe allerdings locker mit 940.000 Mitarbeitern weniger stemmen können, heißt es beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Hauptgeschäftsführer Ulrich Brocker: „Die M+E-Industrie hat trotz drastischer Unterauslastung 815.000 Mitarbeiter über das erste Krisenjahr gerettet.“ Dies sei „eine herausragende Leistung der Betriebe“.

Teuer erkaufter Erfolg

Kurzarbeit: Die massiv ausgeweitete und staatlich subventionierte Kurzarbeit in den Betrieben hat nach Ansicht von Ökonomen zwischen 300.000 und 500.000 Jobs gerettet. Sie ermöglichte es vielen Betrieben, Arbeitskräfte zu halten, für die schlicht keine Arbeit mehr da war. Dieser Erfolg ist freilich teuer erkauft: Allein 2009 kostete die Kurzarbeit die Bundesagentur für Arbeit mehr als 4,5 Milliarden Euro. Unter dem Schock der Rezession hatte die damalige schwarz-rote Bundesregierung dieses Instrument, das im Ausland nahezu unbekannt ist, zur Krisenwaffe Nummer eins ausgebaut. Die große Koalition verlängerte die maximale Zahldauer von 6 auf 24 Monate, vereinfachte die Zugangsvoraussetzungen und erhöhte die staatlichen Zuschüsse. Seither erstattet die BA den Betrieben die Sozialbeiträge, die auf Kurzarbeit entfallen, ab dem ersten Monat zur Hälfte und vom siebten Monat an in voller Höhe. Die neue Bundesregierung verlängerte diese Subvention bis Ende März 2012, was die Steuer- und Beitragszahler weitere 800 Millionen Euro kostet.

Flexibilisierung: Die robuste Konstitution des Arbeitsmarkts allein auf die Kurzarbeit zurückzuführen greift aber zu kurz. Im Krisenjahr 2009 sank das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen in Deutschland um 1,6 Milliarden Stunden – und nur ein Drittel davon ging auf das Konto der Kurzarbeit. Noch stärker federten betriebliche Arbeitszeitmodelle die Krise ab.

Am deutschen Arbeitsmarkt habe sich „eine eigentümliche und weltweit einmalige Mischung aus Flexibilität und Sicherheit herausgebildet“, sagt Ökonom Schneider. Der Kündigungsschutz ist unverändert rigide und das Regelwerk für befristete Arbeitsverträge bürokratisch, dafür aber hat sich die Arbeitsorganisation in den vergangenen zehn Jahren radikal verändert. Schneider: „Der Arbeitsmarkt ist in vielen Bereichen flexibler als in anderen Staaten. Bei der Arbeitszeit geht mittlerweile fast alles.“ 40 bis 50 Prozent aller Arbeitnehmer haben bereits individuelle Arbeitszeitkonten in ihrem Betrieb. Vor allem in der Industrie arbeiten die Belegschaften vielerorts nach ausgeklügelten und anpassungsfähigen Schichtmodellen. Sind die Auftragsbücher voll, arbeiten die Beschäftigten (unbezahlt) mehr und bauen Zeitguthaben auf. In Krisenzeiten feiern sie überzählige Stunden wieder ab.

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