Kabinett beschließt Kohleausstieg bis 2038 Peter Altmaiers „großer Wurf“

Die Bundesregierung hat den Kohleausstieg beschlossen. Bis 2038 sollen alle Kraftwerke in Deutschland still gelegt werden. Quelle: dpa

Spätestens 2038 soll das letzte deutsche Kohlekraftwerk vom Netz. Für den Weg dahin gibt es jetzt einen Fahrplan. Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist zufrieden. Doch es könnte noch Ärger mit der EU-Kommission wegen Entschädigungen für Braunkohlekraftwerke geben.

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Nach monatelangen Verhandlungen hat die Bundesregierung das Gesetz für den Kohleausstieg auf den Weg gebracht. Das Kabinett verabschiedete den Gesetzentwurf am Mittwoch in Berlin. Er regelt das Ende der klimaschädlichen Stromproduktion aus Kohle in Deutschland bis spätestens 2038. Vor einem Jahr hatte die Kohlekommission dafür ein Konzept vorgelegt. Der rund 200 Seiten umfassende Entwurf muss nun vom Bundestag diskutiert werden, Mitte des Jahres soll das Gesetz verabschiedet sein.

So sollen Betreiber von Braunkohlekraftwerken und Tagebauen für das vorzeitige Abschalten von Kraftwerken Entschädigungen von insgesamt 4,35 Milliarden Euro bekommen, dafür gibt es im Gesetz einen festen Fahrplan. Allerdings könnten die Geldgeschenke bald schon ein Fall für die EU-Kommission werden. Betreiber von Steinkohlekraftwerken kritisieren die Entschädigungen und warnen vor Marktverzerrungen. Sie können sich ums Abschalten gegen Entschädigung erst in den kommenden Jahren bewerben.

Matthias Nordmann, Experte für Kartellrecht und EU-Beihilfenrecht, sagte kürzlich im Gespräch mit der WirtschaftsWoche, dass es nun vor allem darauf ankomme, wie die Braunkohlekraftwerk-Betreiber die Gelder nutzen: „Wenn sie Geld dafür bekommen, dass ihnen durch den Kohleausstieg Gewinne entgehen oder sie für das Geld Anlagen zurückbauen müssen, sind die Auswirkungen auf den Wettbewerb sicher gering. Wenn sie mit dem Geld allerdings hierüber hinaus in die Möglichkeit versetzt werden, neue Anlagen zu bauen, könnte die Kommission das zu Recht beanstanden.“

Zwar müsse die EU-Kommission den Fall nicht automatisch prüfen, könne ihn aber von Amts wegen aufgreifen, so Nordmann. Er vermutet jedoch eher, dass „die Bundesregierung über das Wirtschaftsministerium bereits in Kontakt mit der EU-Kommission ist und beratschlagt, ob sie die Beihilfe zur Prüfung anmeldet oder nicht.“

Unabhängig davon zeigte sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier mit dem Gesetz sehr zufrieden. Er sprach am Mittwoch am Rande einer Bundestagssitzung, von einem „großer Wurf“. Durch die schrittweise Abschaltung aller Braun- und Steinkohlekraftwerke werde ein Drittel aller CO2-Emissionen eingespart. Zugleich wolle die Bundesregierung für eine neue wirtschaftliche Dynamik in den betroffenen Kohleregionen sorgen. Dies erfordere eine gesamtstaatliche „Kraftanstrengung“. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sieht in dem Ausstieg ein wichtiges Signal, auch international, dass Deutschland seine Verantwortung wahrnehme. Sie betonte weiter, dass nun die erneuerbaren Energien ausgebaut werden müssten – vor allem der Ausbau der Windkraft an Land stockt derzeit.

Ein Überblick über die wichtigsten Punkte im Gesetz der Bundesregierung – und das Fragezeichen, das bleibt:

Steinkohle: Steinkohle-Zechen gibt es in Deutschland keine mehr, Kraftwerke schon noch. Deren Betreiber können sich darauf bewerben, gegen Entschädigung abzuschalten. Wer früh vom Netz geht, kann mehr bekommen - in diesem Jahr maximal 165 000 Euro pro Megawatt, dann jedes Jahr weniger und 2026 nur noch 49 000 Euro. Das Ziel ist, möglichst viele Treibhausgase für möglichst wenig Entschädigung einzusparen. Die Versorgung mit Strom und Wärme muss dabei gesichert bleiben. Wer ein Kraftwerk mit Wärme-Produktion freiwillig von Kohle auf Gas umstellt, kann einen Kohle-Ersatz-Bonus bekommen. Ab 2027 wird über Ordnungsrecht und ohne Entschädigung abgeschaltet.

Braunkohle: Zu den Braunkohle-Kraftwerken gehören auch Tagebaue, deswegen wären Ausschreibungen wie für die Steinkohle zu kompliziert. Es gibt stattdessen einen festen Abschaltpfad von 2020 bis 2038. Los geht es in Nordrhein-Westfalen, Ostdeutschland ist später dran. Betreiber wie RWE und der tschechische Betreiber EPH, dem die Leag und Mibrag gehören, bekommen dafür zusammen 4,35 Milliarden Euro. Mit dem Abschaltplan sind Klimaschützer unzufrieden: Zu spät und nicht stetig genug, finden sie.

Überprüfungsjahre: Viermal wird offiziell überprüft, wie es mit dem Kohleausstieg läuft - ob die Stromversorgung gesichert ist, wie der Strompreis sich entwickelt und wie es um den Klimaschutz steht. Das passiert erstmals 2022, dann 2026, 2029 und 2032. Von 2026 an wird auch geprüft, ob der Kohleausstieg um drei Jahre vorgezogen werden kann - also ob schon 2035 statt 2038 Schluss ist.

Hilfe für ältere Kohle-Kumpel: Wer 58 Jahre oder älter ist und seinen Job im Braun- oder Steinkohlebereich durch den Kohleausstieg verliert, kann für die Zeit bis zur Rente für höchstens fünf Jahre ein Anpassungsgeld beantragen. Auch Abstriche bei der Rente werden ausgeglichen. Der Bund rechnet dafür mit Kosten von höchstens 4,81 Milliarden Euro zwischen 2020 und 2043.

Europäischer Klimaschutz: Die deutschen Kohlekraftwerke nehmen an einem Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten auf EU-Ebene teil. Das Gesetz regelt, dass durch den nationalen Kohleausstieg frei werdende Zertifikate gelöscht werden können. Sonst würden die Treibhausgase einfach in Kraftwerken anderer Länder ausgestoßen. Genaueres wird im Lauf der Zeit geregelt, denn die Rechnung ist kompliziert und es gibt auch schon einen Mechanismus, der überflüssige Zertifikate abschöpft.

Entlastung für Stromverbraucher: Ab 2023 kann der Bund Netzentgelte für Übertragungsnetze mit einem Zuschuss senken – das soll es den kleineren Verteilnetzen ermöglichen, ihrerseits Kunden zu entlasten. Dazu kommt die Möglichkeit, Unternehmen mit großem Strombedarf zu entlasten, damit sie im internationalen Wettbewerb mithalten können, wenn die Strompreise steigen. Über das Klimapaket ist zudem eine Senkung der EEG-Umlage vorgesehen, die Bürger über die Stromrechnung zahlen. Wie die Strompreise sich entwickeln, steht noch nicht fest.

Neues Kohlekraftwerk: Es klingt unlogisch, dass der Kohleausstieg damit beginnt, dass ein neues Steinkohle-Kraftwerk ans Netz geht – aber Datteln 4 ist gebaut und genehmigt, es wäre sehr teuer geworden, Betreiber Uniper da herauszukaufen. Die Bundesregierung hat aber versprochen, dass dafür zusätzlich Steinkohle vom Netz geht, so dass keine zusätzlichen Treibhausgase entstehen.

Und was muss jetzt geklärt werden?

Teilweise sollen Gaskraftwerke die Kohle ersetzen, aber möglichst schnell sollen erneuerbare Energien - also Strom aus Sonne, Wind und Biomasse - die Lücke füllen. Derzeit liegt der Ökostrom-Anteil nach Zahlen der Denkfabrik Agora Energiewende bei 42,6 Prozent. Bis 2030 sollen es 65 Prozent sein, zusätzlich steigt der Stromverbrauch, unter anderem weil mehr Elektroautos auf die Straße sollen. Wie das klappen soll, ist offen – Experten sind sich einig, dass dafür Wind und Solaranlagen schneller gebaut werden müssen als bisher.

Doch da hakt es, vor allem bei Windrädern an Land. Planung und Genehmigung dauern lang, oft wehren sich Anwohner gegen die Windräder mit Klagen und Bürgerinitiativen. Regelungen zur Förderung und für mehr Akzeptanz sollten eigentlich ins Kohleausstiegsgesetz mit hinein, aber weil die schwarz-rote Koalition da noch ziemlich zerstritten ist, wurden sie vertagt. Nun soll es bis zum Frühjahr ein Konzept geben.


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