Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier rechnet bis ins neue Jahr hinein mit Einschränkungen zur Eindämmung der Coronapandemie. In den nächsten vier bis fünf Monaten würde es noch zu erheblichen Vorsichtsmaßnahmen kommen, sagte der CDU-Politiker der „Bild am Sonntag“. Die Infektionszahlen seien nach wie vor viel zu hoch. Sie seien sogar sehr viel höher als vor zwei Wochen als die verschärften Maßnahmen beschlossen wurden. „Trotz aller Anstrengungen ist eine Wende zum Besseren noch nicht erreicht.“ Deshalb sehe er kaum Spielraum für Lockerungen.
Altmaier schlug zudem auch Schul-Unterricht in geschlossenen Gaststätten und Hotels vor, um die Abstandsregeln besser einhalten zu können. „In Klassenräumen ist es oft schwer, den ausreichenden Abstand einzuhalten“, sagte der CDU-Politiker der „Bild am Sonntag“. „Ich würde es begrüßen, wenn der Unterricht deshalb auch zum Beispiel in Gemeindezentren, Kulturhäusern oder in den ungenutzten Räumen von Gaststätten und Hotels stattfinden würde.“ Der Kieler Bildungsforscher und Psychologe Olaf Köller warb dafür, zumindest ältere Schüler digital von zu Hause zu unterrichten. Programme für den Distanzunterricht sollten dabei langfristig bis Ende März angelegt werden und nicht nur bis Weihnachten, sagte Köller, der an mehreren Stellungnahmen der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, zur Coronapandemie mitgeschrieben hat.
Am Montag wollen die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer und Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Zwischenbilanz der Einschränkungen, die den ganzen November über dauern sollen, ziehen. Das Robert-Koch-Institut meldete am Sonntag 16.947 bestätigte Neuinfektionen. Das sind 930 mehr als am vergangenen Sonntag. Am Samstag fiel der Wert mit 22.461 noch deutlich höher aus, blieb aber um gut 1000 unter dem Rekord vom Freitag. Allerdings sind die Zahlen Sonntags häufig niedriger, da am Wochenende meist nicht alle Daten von den Gesundheitsämtern gemeldet werden.
Auch der Städte- und Gemeindebund spricht sich gegen zu frühe Lockerungen aus. Die Schließung von Gastronomie und Kultur sei zwar hart, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“. Aber gerade dies führe zu einer deutlichen Reduzierung der Kontakte zwischen den Menschen. Wichtig sei es, die Notwendigkeit der Maßnahmen zu erläutern. „Nur wenn wir das Vertrauen der Menschen erhalten, werden wir gut durch den Winter kommen.“ Landsberg ergänzte: „Eins steht schon jetzt fest: Ein Weihnachtsfest wie im Jahr 2019 wird es dieses Jahr nicht geben können.“
Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland sprach sich in einer Umfrage allerdings dafür aus, dass im Dezember Restaurants und Kultureinrichtungen wieder öffnen dürfen. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar für die „Bild am Sonntag“ gaben 78 Prozent der Befragten an, dass Restaurants im Dezember wieder öffnen sollten. Eine Öffnung von Kultureinrichtungen würden 68 Prozent begrüßen.
Am Samstag hatten bereits Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) vor zu schnellen Lockerungen der Corona-Beschränkungen gewarnt. Erst wenn es gelänge, die Infektionswelle zu brechen, könne darüber gesprochen werden, wie Weihnachten in diesem Jahr gestaltet werden könne, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann der „Augsburger Allgemeine“ laut Vorabbericht vom Sonntag. „Steigen die Zahlen weiter exponentiell an, wird das zur Überlastung der Krankenhäuser führen.“
Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, warnt ebenfalls vor einer Überlastung der Krankenhäuser in Deutschland. „Wenn es so weitergeht wie gegenwärtig, werden wir mit massiven Personalproblemen und am Schlimmsten Bettenmangel kämpfen müssen“, sagte er der „Augsburger Allgemeine“ (Montagausgabe). Es müsse also eher über weitere Einschränkungen geredet werden als über Lockerungen.
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) fordert, dass in Corona-Hotspots alle verschiebbaren medizinischen Eingriffe in Krankenhäusern abgesagt werden. „Es ist allerhöchste Zeit, die Kliniken vom Regelbetrieb zu nehmen, damit wir uns voll auf die Intensivstationen konzentrieren können - und zwar nicht nur auf Covid-19-Patienten, sondern auf alle Schwerkranken“, sagte DIVI-Präsident Uwe Janssens der „Bild am Sonntag“. Dafür seien die Kliniken aber wie im Frühjahr auf Ausgleichszahlungen durch die Politik angewiesen.
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In Österreich gilt ab Dienstag erneut ein vollständiger Lockdown. Bis zum 6. Dezember soll es eine ganztägige Ausgangssperre geben. Alle Geschäfte, die nicht zur Deckung des täglichen Bedarfs nötig seien, sowie Schulen müssen schließen. „Treffen Sie niemanden“, appellierte Bundeskanzler Sebastian Kurz am Samstag an seine Landsleute. Jeder soziale Kontakt sei einer zu viel.
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