Koalitionsverhandlungen Drei Gründe warum Jamaika wackelt

Die Sondierungen stocken, die Stimmung ist angespannt, Jamaika gibt ein maximal ernüchterndes Bild ab. Aber Union, FDP und Grüne sind daran selber schuld. Woran es hakt.

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Kanzlerin Angela Merkel trifft am 17.11.2017 zur Weiterführung der Sondierungsgespräche ein. Quelle: REUTERS

Natürlich: Die Chancen, dass die Parteispitzen von Union, FDP und Grünen schon bald in die kühl-herbstliche Berliner Nacht heraustreten werden, um mit Augenringen zu verkünden, dass sie nach Wochen der Sondierungsverhandlungen doch in Koalitionsverhandlungen einzutreten gedenken, sind immer noch recht hoch.

Und doch: Wer in die Runde hineinhört, mit Verhandlern spricht, ihre Auftritte beobachtet – der muss erkennen, dass Jamaika ein Problem hat. Genauer gesagt: gleich drei. Diesem Anfang wohnt kein Zauber inne – und dass dem so ist, haben die Parteien in allererster Linie sich selbst, ihrer Taktik und der Vorbereitung zu verdanken.

1.       Die Parteien: Schwach mal schwach mal willig gleich Chaos

Vier Parteien verhandeln miteinander, die entweder mit sich selbst zu kämpfen haben oder aber ein Übermaß an Ambition mit sich herumtragen. Zusammen ergibt das eine komplizierte, kaum händelbare Mischung. Fangen wir mit der CDU an: Sie wird von  Angela Merkel angeführt, die zu schwach ist, um wirklich ernsthaft zu führen – und doch zu stark, um gestürzt zu werden. Verbunden mit der schon traditionellen programmatischen Schwachbrüstigkeit der Konservativen fällt der natürliche Antreiber einer solchen Koalition aus.

Die CSU wiederum doktert auf offener Bühne am Trauma des September-Wahlschocks herum und demontiert dabei wonnevoll ihren Vorsitzenden Horst Seehofer. Auch weil sie bis heute nicht weiß, ob das Wahldesaster in Bayern einem Profil geschuldet ist, dass zu rechts war oder noch gar nicht rechts genug. Die FDP hingegen kann vor Kraft kaum laufen, hofft aber inständig, dass sie niemand zum Armdrücken auffordert. Neuwahlen könnten die triumphale Wiederauferstehung gleich wieder zerstören. Der Gang in eine Regierung allerdings würde offenbaren, ob die neuen Liberalen überhaupt schon wieder gereift genug sind für den Ernst des exekutiven Alltags.

Jamaika: Perspektiven, Probleme und Unklarheiten

Bleiben noch die Grünen. Sie sind am besten vorbereitet, am ernsthaftesten, am willigsten. Das Problem ist nur: Die verhandelnde Parteispitze, die ganze politische Generation Özdemir/Göring-Eckardt, ist deshalb auch zu (fast) jedem Kompromiss bereit. Allerdings ist keine Basis kompromissloser als die grüne. Eine ganz schlechte Kombination.

2.       Die Strategie: Unser Erfolg ist Eure Niederlage

Was wurde zu Beginn der Sondierungen nicht alles vom Vorbild Schleswig-Holstein geschwärmt: Wie gut und pfleglich die dortige Jamaika-Koalition zusammengefunden hatte!  Wie man es geschafft hatte, dass alle Partner Prestige, Projekte, Punkte sammeln können. Und so weiter und so fort.

Es sei dahingestellt, ob sich Lehren aus den Ländern überhaupt  auf den Bund übertragen lassen – so viel komplexer die Materien, so viel ausgeleuchteter das Arbeiten. Doch die Jamaika-Verhandlungsführer in Berlin haben sich am norddeutschen Vorläufer nicht nur kein Beispiel genommen, sie haben quasi das Gegenteil versucht. Niemand in der Hauptstadt unternimmt auch nur den Versuch zu glänzen, indem man auch den anderen glänzen lässt. In den Sondierungen gilt als Erfolg, wenn man dem anderen eine programmatische Niederlage zufügt. Also werden nach Herzenslust Obergrenzen aufgeweicht, Steuerentlastungen torpediert und Klimaschutzziele lächerlich gemacht. Jamaika denkt im Modus Entweder-oder. Von politischem Mehrwert hat noch keiner etwas gehört.

3.       Der Sinn: Wieso, weshalb, warum

Apropos Mehrwert. Vier Wochen sind die Sondierungen nun alt. Und offenbar hat sich in dieser Zeit kein Parteistratege auf keiner der Seiten tiefere Gedanken darüber gemacht, welchen Sinn man der neuen Koalition einhauchen, welches Leitmotiv man ihr geben könnte. Diese intellektuelle Arbeit ist eben keine politische Esoterik oder nur lyrisches Geplänkel, um dem Klein-Klein des Vertrages mit ein wenig Bedeutung aufzuladen. Sie ist elementar.

Schwarz-Gelb-Grün könnte  – nur zum Beispiel - versuchen, die kommenden vier Jahre unter den Dreiklang „Ordnung, Nachhaltigkeit, Zukunft“ zu stellen. Ordnung, das wäre eine kluge, aber gleichermaßen harte Einwanderungspolitik ebenso wie marktwirtschaftliche Ordnungspolitik, die Grenzen zieht und Freiheiten fordert. Nachhaltigkeit wiederum würde die schwarze Null des Haushaltes und einem ökologischen Umbau des Industrielandes einschließen. Und unter Zukunftsfähigkeit ließe sich alles fassen, was die kommende Regierung in Sachen Investitionen und  Bildungsoffensive  ja durchaus Richtiges zu tun gedenkt.

Weil dieser übergeordnete Wille aber bis heute nicht formuliert wurde, fehlt es den Verhandlern an einem gemeinsamen Fluchtpunkt, an dem sich alle immer wieder orientieren können, wenn das große Bild mal außer Sicht geraten sollte. Anders gesagt: Es fehlt der Glaube an etwas Größeres, dass überdeckt und tröstet, wenn man im Detail Zugeständnisse machen muss.

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