Soziale Marktwirtschaft auf Chinesisch „Die Chinesen wollen von Ludwig Erhard lernen“

China will von Ludwig Erhard lernen – dabei gibt es vieles, was Deutschland inzwischen von China lernen könnte Quelle: Getty Images

Unternehmer Peter Jungen und der Wirtschaftsweise Lars Feld wollen Chinas Elite die Soziale Marktwirtschaft nahebringen. Im Interview spricht Jungen über chinesische Herausforderungen und deutsche Naivität.

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Der Mann, der den Chinesen die Soziale Marktwirtschaft nahebringen will, heißt Peter Jungen und ist unter anderem Ehrenvorsitzender des „Center on Capitalism and Society“ an der Columbia University. Viel Zeit hat der Unternehmer und „Business Angel“, der auch im Alter von 79 Jahren noch viel reist, selten. Auch nicht an diesem Donnerstag im Juni: Am Frankfurter Flughafen wartet bereits sein Flieger nach Peking. Dort will Jungen ein Lehrbuch zur Sozialen Marktwirtschaft vorstellen, das er zusammen mit dem Wirtschaftsweisen Lars Feld konzipiert hat. Ordoliberale Vordenker wie Walter Eucken, Friedrich August von Hayek und Alfred Müller-Armack auf Chinesisch.

Herr Jungen, seit Jahrzehnten holt die chinesische Wirtschaft in hohem Wachstumstempo auf. Warum sollten sie 70 Jahre nach dem deutschen Wirtschaftswunder eine Lektion in Sozialer Marktwirtschaft nötig haben?
Peter Jungen: Eines haben die Chinesen von uns gelernt: Wettbewerb und Marktwirtschaft zu fördern, Staatsintervention zurückzuziehen und den Anteil der Staatsfirmen zu verkleinern. In China sind Millionen Jobs in Firmen entstanden, die es vor zehn, 15 Jahren noch gar nicht gab. Nach 2008 fragte die chinesische Führung deutsche Politiker immer wieder: Wie seid ihr so gut durch die Finanzkrise gekommen? Die Antwort war stets: Wir haben den Markt sozial gemacht. Nichts ist falscher!

Peter Jungen ist Unternehmer und Risikokapitalgeber. Der 79-Jährige war Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Strabag und hat sich in den Neunzigerjahren mit einer Beteiligungsgesellschaft selbstständig gemacht. Jungen hat beispielsweise das Vergleichsportal Idealo mitgegründet und verkauft. Der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes hat sich als Förderer von Start-ups im In- und Ausland einen Namen gemacht. Quelle: Privat

Ein Missverständnis, woher der Begriff Soziale Marktwirtschaft stammt?
Ludwig Erhard hat als Bundeswirtschaftsminister von Konrad Adenauer Wettbewerb und Unternehmergeist eingeführt. Die Gedanken Alfred Müller-Armacks zur Sozialen Marktwirtschaft hat er aufgegriffen, weil ein Wahlkampf allein mit dem Wort Marktwirtschaft damals unpopulär gewesen wäre. Dabei dachten die Leute an Schwarzmarkt, an die Kartelle der Weimarer Republik, an die nationalsozialistische Reichswirtschaftskammer. Aber die Marktwirtschaft ist in sich sozial, weil sie die Konsumentenentscheidung ermöglicht. Aufgrund ihrer Effizienz versetzt sie uns in die Lage, auch denen zu helfen, die nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Der viel zitierte kleine Mann steht im Mittelpunkt des Denkens bei Ludwig Erhard.

Sollen die Chinesen jetzt also offiziell Erhard importieren?
Nein, aber sie möchten an seinem Beispiel lernen, was da passiert ist, wie das möglich war. Die Chinesen laufen nicht mit der Ideologiebrille umher, die haben ein hohes Interesse zu wissen, was wie geschehen ist. Ich habe mal zu Jean-Claude Juncker gesagt: Wenn Sie wissen wollen, wie genau die Sozialsysteme in den Ländern der Eurozone aufgebaut sind, dann fragen sie bei der Chinese Academy of Social Science (CASS), die kennen alle Details.

An wen richtet sich Ihr Buch?
Es ist auf Wunsch der CASS und auf Betreiben der politischen Führung entstanden. 24.000 Professoren und Lehrkräfte sitzen allein an der CASS, mehr als die meisten deutschen Universitäten Studenten haben. Der Präsident der CASS ist Mitglied im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei, Staatspräsident Xi Jinping war Student an der CASS. Die dortigen Ökonomen haben einen enormen Einfluss.

Sind chinesischer Staatskapitalismus und Soziale Marktwirtschaft überhaupt kompatibel?
Große Teile sind kompatibel. Zum Beispiel die Unternehmerkultur, die Entrepreneurship: Bei uns ist die Zahl der Unternehmensgründungen auf 250.000 im Jahr geschrumpft. In China werden nach neuesten Daten 18.000 Firmen pro Tag registriert, hochgerechnet 6,7 Millionen im Jahr.

von Stefan Reccius, Malte Fischer, Jörn Petring, Julian Heißler, Sven Böll, Dieter Schnaas

Mit Blick auf die Einwohnerzahl relativiert sich der Unterschied.
Die Amerikaner kommen auf sechs Millionen. Deutschland kommt auf nicht mal zwei Prozent aller Gründungen weltweit, während unser Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt 4,5 Prozent beträgt. Wir kämpfen unter unserem Kampfgewicht.

Sollten wir dann nicht eher von den Chinesen lernen?
Auf die Idee könnte man kommen. Einige Chinesen haben gesagt: Wir finden die Industriestrategie von Herrn Altmaier ganz toll, das bestätigt endlich, was wir sowieso für richtig halten. Beim China Development Forum habe ich einige Spitzenleute der CASS darauf angesprochen, wie erfolgreich denn die chinesische Industriepolitik sei. Der Präsident der CASS antwortete: Sie war so erfolgreich, dass wir jetzt damit beschäftigt sind, die entstandenen Überkapazitäten abzubauen. Dann lachten alle. Will heißen: Es gibt darüber sehr unterschiedliche Meinungen und Vorstellungen in China und keineswegs eine Einzelposition.

Welches Problem hat die chinesische Volkswirtschaft, das die deutsche nicht hat?
Die Chinesen laufen in ein Problem und das heißt Innovation. Das Buch „Mass Flourishing“ des amerikanischen Nobelpreisträgers Edmund S. Phelps ist in China inzwischen mehr verkauft worden als in den USA, Premierminister Li Keqiang zitiert ununterbrochen daraus. Die haben verstanden, dass viele zum Wohlstand beitragen müssen, was übrigens bis auf Konfuzius' Vorstellung von Wirtschaft und Gemeinschaft zurückgeht. An einem Punkt werden sie erkennen: Wir haben zwar viel aufgeholt, aber wenn wir dem Einzelnen nicht seine Freiheit lassen, bleiben wir in der Falle stecken und können den Weg der Innovation nicht weiter gehen.

Da stößt man an einen Widerspruch: Wie liberal kann eine Volkswirtschaft sein, die ihren Bürgern elementare Freiheitsrechte wie Wahlen oder den Zugang zum World Wide Web vorenthält, sie stattdessen systematisch ausspioniert?
Es ist schwer zu sagen, wie weit das Ausmaß sein muss oder darf. Ich kann nur eines sagen: Wenn man diesen Weg nicht geht, wird man das Ziel, an der Spitze der Welt zu sein, nicht erreichen.

Und das ist die Lehre Ihres Buches?
Es soll einen Beitrag dazu leisten deutlich zu machen, dass eine offene Gesellschaft und die Mitwirkung vieler Voraussetzung für den Erfolg ist. Das kann man von Erhard lernen.

Ist Huawei nicht das beste Beispiel, dass auch unter den Bedingungen in China Weltkonzerne entstehen können?
Die individuellen Rechte sind vielleicht anders, die Eigentumsrechte nicht immer so gewährleistet, aber im Vergleich zu großen Teilen der Welt gibt es in China sehr viel Marktwirtschaft. Die Frage wird jetzt sein, ob sie es aus der „Schwellenländerfalle“ heraus schaffen, und das geht nur über Teilhabe an den Innovationen.

Glauben Sie, dass China das gelingen wird?
Sie haben große Chancen. Aber das wird eine ernsthafte interne Systemdebatte provozieren.

Heute? In fünf Jahren? In zehn?
In den nächsten zwei, drei Jahren.

Wird die jetzige Regierung das überleben?
Das weiß ich nicht, aber ich glaube auch nicht, dass die entscheidende Frage ist, ob das Regime überlebt. Als die Vereinigten Staaten von Amerika gegründet wurden, gab es auch nur eine Partei, die zweite ist später entstanden.

Das würde die Abkehr vom Einparteienstaat bedeuten.
Es gibt chinesische Ökonomen, die das klar sehen und sagen, wir müssen uns anpassen. Und es gibt andere, die sagen, wir müssen uns schützen. Und es gibt die politische Klasse, die sagt, was ist dann mit der Einparteienherrschaft? Darauf habe ich keine Antwort.

Ist China angesichts massiver Investitionen in Zukunftsfelder wie Künstlicher Intelligenz nicht längst enteilt?
China und die USA liegen beim Thema Künstliche Intelligenz an der Weltspitze, 85 Prozent der Investitionen kommen aus diesen beiden Ländern. Wie (der chinesische KI-Experte) Kai-Wu Lee sagt: The race is over. Wir sind inzwischen in einer Situation, in der wir von den Chinesen lernen können. Bei der Debatte um 5G und der Bedeutung von Huawei geht es um die Sorge, dass chinesische Technologie möglicherweise benutzt wird, um Dinge auszuspionieren.

Ist die deutsche Furcht vor Huawei gerechtfertigt?
Man kann es auch mit anderen machen, aber Huawei hat die effizienteste, günstigste Technologie am Markt. Juncker hat mal gesagt: Wir waren naiv. Nein, wir waren nicht naiv, wir waren ignorant. Während wir geglaubt haben, die kupferten ab und lieferten billige Sachen, haben wir nicht zur Kenntnis genommen, dass die Chinesen uns im Technologiebereich weglaufen.

Mehr zum Thema: Bürokratie schlägt Markt? Planung schlägt Wettbewerb? China wettet noch immer darauf. Doch die Realität hält inzwischen dagegen. Die Zeit des grenzenlosen Wachstums ist vorbei. Schulden und Überkapazitäten lähmen das Land – mit problematischen Folgen für die deutsche Industrie.

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