Tauchsieder

Zwangsehe im Spätkapitalismus

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Grundeinkommen für den arbeitslosen, digitalisierten Konsummenschen?

Google hat bereits vor zehn Jahren mit dem Testen autonomer Fahrzeuge begonnen – und mittlerweile haben Waymo-Autos zehn Millionen Meilen (16 Millionen Kilometer) im autonomen Modus auf öffentlichen Straßen zurückgelegt, davon 15,5 Millionen in Stadtgebieten – Fahrten, die wegen der Vielzahl an Verkehrsteilnehmern und -situationen besonders komplex und anspruchsvoll sind. Was nichts anderes bedeutet, als dass die deutschen Hersteller, die nicht mal eine Million kontrollierte Kilometer, also vorzugsweise auf immer gleichen Landstraßen und Autobahnen, auf die Straße gebracht haben dürften, dem Technologieführer nicht „ein, zwei Jahre“ hinterherfahren, sondern mindestens drei, vier Jahre.

Und der Vorsprung wird nicht leicht aufzuholen sein, weil die Exponentialgesetze der Digitalökonomie gelten: Der (größere) Datenschatz von Waymo verdoppelt sich unter gleichen Bedingungen genauso schnell wie der (kleinere) Datenschatz der deutschen Konkurrenz. Und die Bedingungen der Datenaggregierung sind in den USA, auch in China, besser – sonst würden hierzulande mehr autonome Testfahrzeuge in Städten unterwegs sein.

Gewiss, ein wirtschaftliches Wettbewerbsrennen ist, schlag nach bei Schumpeter, nie verloren, weil nie zu Ende. Und das selbstfahrende Auto von Übermorgen muss Kunden nicht nur als funktionaler Transportbehälter gefallen, sondern auch als Erlebnisraum – Daimler und BMW haben da viel zu bieten. Aber zum bloßen Zulieferer von mobiler Hardware degradiert, der Google, GM oder auch chinesischen Anbietern das wertschöpfungsprimäre Software-Geschäft samt Unterhaltungsangebot überlässt, fielen Daimler und BMW in Deutschland nicht zuletzt auch als Premiumarbeitgeber aus.

Anders gesagt: Die Kooperation von Daimler und BMW in einem Teilgeschäft – das wäre vor zehn Jahren noch eine betriebswirtschaftliche Randnotiz, eine Nachricht für Spezialinteressierte gewesen. Und ist heute eine Frage von national- und globalpolitischer Dimension, die alle angeht: Es geht um nicht weniger als die (Neu-)Verteilung des Wohlstands von morgen. Wir werden Zeuge, wie die Karten des Kapitalismus (einmal mehr) neu gemischt werden. Und wer weiß – vielleicht wird 2019 mal als das Jahr in die Geschichtsbücher eingehen, in der auch die Deutschen das, wenn auch spät, verstanden haben.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat eine „Nationale Industriestrategie 2030“ veröffentlicht, in der von „Industrie-Führerschaft“ die Rede ist, von „Größe zählt“ und von „starken Akteuren“, die fähig sind, „Wettbewerbern aus den USA oder China auf Augenhöhe“ zu begegnen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt in einem Grundsatzpapier vor der „Dimension der staatlichen Innovationslenkung“ in China, vor „hohen Asymmetrien im Marktzugang“ und dem „zunehmenden Kontrollanspruch“ der Partei – kurz: vor der Abwesenheit eines level playing fields. Und für den ehemaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) entscheidet sich derzeit schlicht, ob „wir noch etwas zu sagen haben in dieser Welt“, ob Europa vom rule maker zum rule taker absteigt oder nicht – ob das europäische Modell einer regelbasierten Marktwirtschaft im Systemwettbewerb mit einer venture-kapitalistischen USA und einem staatskapitalistischen China bestehen kann.

Das größte Problem: Politische Innovationsbremser und Wirtschaftsprotektionisten, vor allem in den Reihen der Union, die Digitalisierung, Klimawandel und Mobilitätswende nicht als technologieinduzierte Innovationspeitsche verstehen. Die ordnungspolitische Rahmensetzungen (etwa eine CO2-Steuer, verbindliche Klimaziele oder feste Termine für das Ende des Benzinmotors) mit Planwirtschaft verwechseln – und die unter Hinweis auf die Gelbwesten-Proteste in Frankreich auch noch vor einer sozialen Apokalypse warnen, um ihren mangelnden Tat- und Aufbruchswillen zu camouflieren. Sie riskieren denselben Wohlstand, den sie zu verteidigen meinen. Und behindern mit dem Hinweis auf eine Marktwirtschaft, die schon alles regeln werde, eine Entwicklung, die rahmengesetzlich zu gestalten wäre. Sie meinen, den westlichen Kapitalismus in seinem Lauf, halten weder Google noch China auf. Und träumen von einem KI-Airbus, statt an einer Dateninfrastruktur zu arbeiten, auf deren Grundlage etwa regionale Anbieter miteinander konkurrierende Mobilitätsdienste entwickeln könnten.

Schumpeter wusste natürlich, dass der Kapitalismus alter Prägung den Keim seiner Zerstörung in sich selbst trägt. Und vor allem, dass nichts bleibt, wie es ist. Nicht nur Digitalisierung (Netzwerkeffekte) und Globalisierung (Systemkonkurrenz) verändern die Wirtschaft fundamental, sondern auch die Automatisierung: Erstmals in der Menschheitsgeschichte geht es darum, Arbeit überflüssig zu machen. Hat die Politik es schon mitbekommen? Der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft ging einher mit einem ungeheuren Produktivitätsplus, mit einem ungeheuren Zuwachs an besser bezahlten Jobs: Die Menschheit kletterte eine imaginäre Wertschöpfungsleiter empor.

In der Digitalökonomie geht es nicht mehr um bessere Jobs, sondern nur noch um deren Wegfall. Das wird die Mittelschichten in den Industrieländern treffen, vielleicht noch mehr die Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern – mit nicht absehbaren Folgen, was die globale Migration anbetrifft. Hat die Politik es schon mitbekommen?

Sie setzt vorerst Fehlanreize: Die Anschaffung von Maschinen lohnt sich für Unternehmen, dank Steuernachlässen und Sonderabschreibungen. Die Einstellung von Mitarbeitern dagegen schlägt in Firmen als hoher Kostenfaktor zu Buche. Google und Facebook wissen schon sehr genau, welche Konsequenzen sie daraus ziehen wollen: Der Staat soll ein Grundeinkommen zahlen, damit auch der arbeitslose, digitalisierte Konsummensch, rundum werbeversorgt, die kapitalistische Maschine in Schwung halten kann.

Wie wäre es stattdessen mit einer Wertschöpfungsabgabe? Noch so eine Idee, die so wenig fertig ist wie der Kapitalismus. Aber die aus den Diskussionsforen der politischen Stiftungen endlich rüberwandern muss in Bundestag und Kanzleramt. Sonst gehen am Ende nicht nur Daimler und BMW ins Risiko. Sondern auch noch Parlamentarismus und Demokratie.

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