Jede heiße Phase eines Bundestagswahlkampfs kennt drei Wellen. Am einfachsten erkennt man ihre Abfolge an den wechselnden Plakaten: Die erste verankert das Leitmotiv im Kopf, die zweite steigert die Lautstärke, die dritte haut bestenfalls rein wie ein Tusch.
Zum ersten Mal in der Geschichte deutscher Wahlkämpfe gibt es 2021 nicht nur drei Wellen, sondern auch drei Fernsehauftritte zwischen drei Kontrahenten: zwei Kanzlerkandidaten und einer -kandidatin – passenderweise werden sie noch „Triell“ genannt (suchen Sie, liebe Leserinnen und Leser, das Wort aber gar nicht erst im Duden…). Das Interessante daran: Womöglich laufen sie sogar nach demselben Drehbuch ab. Es war jedenfalls auffällig, wie sehr Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) bei der Premiere am Sonntagabend vor allem damit beschäftigt waren, ihre persönlich-parteilichen Leitmotive vorzutragen.
Baerbocks Akkord klang nach Klimaschutz-Aufbruch-echtem Leben. Laschet stimmte die Hymne von Stabilität, Standhaftigkeit und Verlässlichkeit an. Und Olaf Scholz trommelte für Respekt und nochmals Respekt. Da spielten drei Bands ihre verlässlich funktionierenden Gassenhauer. Nur lieber (noch) nicht das neue Zeug.
Das ist durchaus bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass alle drei nicht weniger als eine Ära beenden und eine neue einläuten wollen. Dass keine Wahl so wichtig ist wie diejenige, die ansteht, gehört zwar zur ewig-wiederkehrenden Folklore politischer Auseinandersetzungen. Diesmal aber ist tatsächlich seit Langem wieder etwas dran: Angela Merkel hinterlässt ein bemerkenswert offenes, vielfach unbestelltes Feld; ein Land, einerseits noch immer stark und doch seiner (ökonomischen) Verletzlichkeit und (digitalen) Defizite sehr bewusst.
Vielleicht werden die „Trielle“ zwei und drei diesen (und anderen) drängenden Fragen tiefer auf den Grund gehen – zu wünschen wäre es.
Zum Beispiel spielte das Thema Gendern – in Bezug auf die dafür konsumierte Zeit – grob geschätzt eine zehnmal wichtigere Rolle als die Rente. Und das, obwohl die alternde Gesellschaft wohl keine andere Sozialversicherung in den kommenden zehn Jahren derart unter Stress setzen wird. Auch die Bildungs- und Forschungsrepublik hatte nur als Installations-Standort für Luftfilter ihren kurzen Auftritt. Und Digitalisierung wiederum kam tatsächlich nicht mal an Rande vor. Sondern gar nicht.
Nur zwei Themenblöcke waren es, in denen die Wirtschaftspolitiker(innen) überhaupt in Umrissen sichtbar wurden: Steuern und Klima. Bei Letzterem hatten sich Laschet und Scholz offenbar still auf einen Nichtangriffspakt zulasten von Peter Altmaier geeinigt. Der SPD-Kandidat zieht schon seit Kurzem genüsslich über Altmaiers jüngste Kehrtwende in Sachen Stromverbrauch her. Die Botschaft: Wer jahrelang behauptet, wir bräuchten in Zukunft nicht mehr Erneuerbare Energien, dem ist nicht mehr zu trauen. Laschets geradezu zornig vorgetragenes „Wir müssen jetzt mal anfangen, Tempo zu machen“ im selben Zusammenhang dürfte da nicht gerade als Jobgarantie für den CDU-Wirtschaftsminister zu verstehen gewesen sein.
Die Grüne wiederum nutzte ihr Kernthema natürlich zur Profilierung. Sie wurde konkret – und wenn nötig, hatte sie auch den Mut, Unpopuläres auszusprechen (etwa ein Verbrennerverbot ab 2030). Man kann jetzt wissen, warum man sie wählt. Oder eben nicht.
Laschet war es allerdings, der an einem Punkt der Debatte Klima- und Standortpolitik geschickt zu einer Spitze gegen Baerbock verdichtete: Sie lege mit ihren Belastungsplänen der Industrie „Fesseln“ an und sage dann „lauft mal schneller“.
Wenn das einstudiert war, dann gut. Überhaupt könnte das kurze, aber energische Plädoyer Laschets für Mittelständler und Unternehmer, die man nicht einfach als „die Reichen“ abkanzeln dürfe, die zweifelnde Söder-Merz-Fanbase zuhause in den Ohrensesseln ein bisschen in Wallung gebracht haben. Sogar ein „töricht“ konnte der CDU-Mann den Steuererhöhungsplänen von Baerbock und Scholz noch hinterherröhren. Die beiden Angesprochenen tönten zurück.
Routinierte Greatest Hits auf allen Seiten also. Fehlt jetzt nur noch ein bisschen das Herzklopfen.
Mehr zum Thema: Erst hieß es: Schwarz gegen Grün. Jetzt heißt es: Scholz gegen Laschet. Aber was, wenn die Union nicht aufhört, sich zugrunde zu richten? Und die Welt plötzlich merkt, dass Olaf Scholz SPD-Mitglied ist?