Ukrainekonflikt Und immer stört Nord Stream 2

Olaf Scholz und ein Bild eines Teilstücks der Pipeline des Anstoßes. Quelle: imago images

In einer heiklen politischen Lage empfing Olaf Scholz die baltischen Staats- und Regierungschefs zum Gipfel. Eine gute Gelegenheit für klare Worte gegenüber Russland – und China. Umfragen zeigen jedenfalls: Mehr Härte stößt auf Zustimmung.

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Als Olaf Scholz am Donnerstagabend in Berlin seine Amtskollegen aus Estland, Lettland und Litauen empfing, saß die Irritation mit am Tisch. So sehr der Bundeskanzler seine diplomatischen Bemühungen zur Lösung der Ukrainekrise in den vergangenen Tagen auch intensiviert, seinen Ton gegenüber Russland verschärft hat – Scholz‘ Umgang mit der Gaspipeline Nord Stream 2 hat viele internationale Partner fragend bis zweifelnd zurückgelassen.

Beim Antrittsbesuch in Washington D.C. weigerte sich der Kanzler am Montag ein ums andere Mal beharrlich, das Wort Nord Stream in den Mund zu nehmen. So beharrlich, dass Politiker wie der EU-Parlamentarier Sergej Lagodinsky auf Twitter schon süffisant Harry-Potter-Analogien heranzogen: die Pipeline, deren Namen man nicht nennen darf.

Dabei wird in Koalitions- und Regierungskreisen kein Zweifel daran gelassen, dass die Pipeline nicht in Betrieb gehen kann, sollte Russland tatsächlich den Einmarsch in der Ukraine wagen. „Mir fehlt jede Fantasie, dass wir diese Röhre freigeben, wenn Panzer über die Grenze rollen“, sagt jemand aus der Regierungsmannschaft.

Die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger hätte diese Sanktion ohnehin. Etwas mehr als die Hälfte hielte den Stopp der Pipeline im Falle einer russischen Aggression für richtig, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Civey für die WirtschaftsWoche zeigt:



Von einem „Sanktionsmenü“ ist derzeit in Berlin die Rede; von einem Katalog an Maßnahmen, mit dem die westlichen Partner flexibel auf Eskalationen in der Ukrainekrise reagieren könnten. Ob der Inhalt dieses Menüs schon komplett abgestimmt ist, darf allerdings bezweifelt werden. Das betrifft nicht nur die Frage, wie lange Deutschland und andere EU-Länder ein russisches Abdrehen aller Gaslieferungen (der drohende Kreml-Konter eines Pipelinestopps) durchhalten würden. Ein besonders sensibler Punkt dürfte weiterhin auch der Umgang mit dem Zahlungsverkehrssystem Swift sein. Die Amerikaner würden ihn wohl besser verkraften als die deutsche Exportwirtschaft.

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Scholz‘ baltischer Gipfel bot deshalb die passende Gelegenheit, an anderen Flanken Profil zu zeigen – etwa im geopolitischen Kräftemessen mit China. Den neuen SPD-Kanzler umgibt zwar der Ruf, eine ähnlich pragmatische Haltung gegenüber Peking einnehmen zu wollen wie seine Vorgängerin, gleichwohl ist die Akzentverschiebung der Ampelkoalition unüberhörbar.

Der Blick auf China ist merklich nüchterner und die Ansprache härter geworden. Im Koalitionsvertrag werden beispielsweise Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren und die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong so offen wie nie adressiert. Der Partner im Osten mutiert zunehmend zum Konkurrenten – und zum Rivalen. Noch gilt dieser diplomatische Dreiklang als politisches Maß der Dinge – aber wie lange noch?

Der Umgang wird jedenfalls rauer. Im Dezember startete China seinerseits eine Attacke auf Litauen, weil die dortige Regierung Taiwan die Eröffnung einer eigenen Vertretung erlaubt hatte. Das baltische Land wurde kurzerhand von der chinesischen Zoll-Liste gestrichen, was Handel seitdem praktisch unmöglich macht. Die Ausfuhren nach China brachen um mehr als 90 Prozent ein.

In Berlin wird Pekings Gebaren klar als Wendemarke gesehen: „Die Behandlung Litauens ist eindeutig ein Versuch der Chinesen, den Binnenmarkt und die Einigkeit der EU zu testen. Diesen Test müssen und werden wir bestehen“, sagte die grüne Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner der WirtschaftsWoche.

Mittlerweile hat die EU auch ein Verfahren bei der Welthandelsorganisation WTO angestrengt. Man sei liberal, aber eben nicht naiv, sagt Brantner dazu. „Es geht um eine Balance: Wir bleiben der Welt zugewandt, werden uns aber schützen, wenn es nötig ist.“

Energie- und industriepolitisch könnte er aus den gegenwärtigen Weltkrisen sogar zu Hause noch Nutzen ziehen. Denn im Vergleich zum kurzfristigen Nord-Stream-Stopp stößt das mittelfristige Abkoppeln von fossiler Energie aus dem Ausland bei den Deutschen auf noch deutlich mehr Zustimmung:



Anders gesagt: Die Aggressionen Wladimir Putins liefern Scholz und der Ampel weitere Argumente, die Energiewende zu beschleunigen. Immerhin das.

Mehr zum Thema: Gas aus Russland, Autos für China, Maschinen für die Welt: Kaum ein Land ist weltwirtschaftlich so verflochten – und deshalb so verwundbar – wie Deutschland. Wird eine robuste Ampelaußenpolitik zum Risiko für das deutsche Exportmodell?

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