Wer sind in Deutschland die Gewinner und Verlierer der Einwanderung?
Die mittelständische Wirtschaft und das Handwerk haben nicht genug Lehrlinge wegen des Akademisierungsdrucks. Viele Arbeitgeber scheinen zu glauben, dass mit den Flüchtlingen nun die fehlenden Lehrlinge kommen. So euphorisch wie im Sommer ist aber schon jetzt kaum noch jemand, weil klar wird, dass es gar nicht so einfach ist, eine deutsche Lehre zu machen. Die Ansprüche in einer dreieinhalbjährigen Lehre sind sehr hoch – etwas, das Akademiker wegen ihres Akademikerdünkels nicht glauben können. Es gibt aber auch großen Arbeitskräftehunger nach gering Qualifizierten, nach Pflegekräften, Sicherheitspersonal, Paketzustellern, Putzfrauen, Babysittern.
Da werden sich die Neuankömmlinge mit den Deutschen in die Haare kriegen, die sich da durchschlagen, zumal sie bereit sein werden, auch für weniger als den Mindestlohn zu arbeiten. Solche sozialen Konflikte interessieren die Familien, die billige Haushaltshilfen suchen, um sich noch mehr ihren „Karrieren“ widmen zu können, zunächst mal nicht. Auch andere profitieren unmittelbar: die zusätzlichen Lehrer, Polizeibeamten, Sozialarbeiter, Berater alles Art. Die hoffen auf eine Lockerung der „Schuldenbremse“.
Blicken wir mal in die Geschichte der Einwanderung und des Kapitalismus zurück. Werner Sombart, einer der Gründungsväter der Wirtschaftssoziologie, hat das Bild vom Fremden als dem optimalen Unternehmer geprägt. Der Fremde, der sich losgelöst von Traditionen ganz darauf konzentrieren kann, sich Ressourcen anzueignen, sie in Waren und Reichtum zu verwandeln.
Da ist was dran. Der Fremde sieht Dinge, die der Einheimische nicht sieht. Dem Fremden ist das Selbstverständliche nicht selbstverständlich; deshalb muss er genauer hingucken als der Einheimische. Fremdsein schärft den analytischen Blick, und damit beginnt die Kreativität. Trotzdem führt die Fremdheit an sich nicht notwendig zu Unternehmertum. Die klassischen Fremden in der europäischen Geschichte waren und sind die Sinti und Roma. Die haben keine Unternehmen gegründet, vielleicht auch weil man sie nicht gelassen hat. Bei den Juden im europäischen Mittelalter, etwa den Maghribi Traders, war es nicht die Fremdheit als solche, die sie zu erfolgreichen Fernhändlern machte, sondern ihre Verbindungen untereinander, die es ihnen ermöglichten, sich über verschiedene Länder hinweg zu verständigen und dabei frühe Formen des Wechsels zur Erleichterung des Zahlungsverkehrs zu entwickeln.
Entscheidend war nicht ihre „Fremdheit“, sondern das, was man Sozialkapital nennt. Ein anderes Beispiel sind die Diaspora-Chinesen in Südostasien, die nicht auf Banken angewiesen sind, wenn sie Kapital brauchen, weil sie sich auf ein eigenes, an die Familie gebundenes Kredit-System stützen können. Wer einen solchen Kredit nicht zurückzahlt, ist für immer erledigt. Die Familienstrukturen sorgen dafür, dass auf das verliehene Geld gut aufgepasst wird.
Wer sich heute von Einwanderern einen besonderen Unternehmergeist erhofft, denkt vermutlich an die amerikanische Erfolgsgeschichte.
In Amerika, speziell in New York, kann man einiges darüber lernen, wie Einwanderung funktioniert. Entscheidend ist immer die historische Situation, in der eine Einwanderungswelle stattfindet, zusammen mit den jeweiligen institutionellen Bedingungen im Aufnahmeland und wie die Einwanderer dort mehr oder weniger zufällig hineinpassen. Italiener gelten als äußerst unternehmerisch, soweit es um kleine Familienunternehmen geht. Das hat sich auch in den USA grundsätzlich nicht geändert. Hinzu kam aber, dass viele während der Prohibition nach Amerika kamen.
Von dieser waren sie selbst betroffen, weil ihre Kultur eine Wein-Kultur war und ist. Einige steckten dann ihre ganze Energie in diesen sich auftuenden illegalen Markt – mit großem Erfolg, wie übrigens auch einige Iren. Al Capone war ein Unternehmer, und die Mafia war ein Kartell, das sich zur Gewährleistung von Vertragstreue nicht an die staatlichen Gerichte wenden konnte. So musste anders Ordnung geschaffen werden, und das sizilianische Sozialkapital der Omertà leistete dabei gute Dienste. Al Capone konnte deshalb auch nur wegen Steuerhinterziehung vor Gericht gestellt werden.