Einblick

Angela Merkel ist erpressbar

Der EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei taugt nichts: ein fauler Kompromiss mit Potenzial zur politischen Erpressung.

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Recep Tayyip Erdogan (l), Angela Merkel (r) Quelle: AP

Es geht nur um die eine Frage: Ist Angela Merkel erpressbar geworden? Die vergangenen Tage zeigen: Ja, das ist sie. Nicht durch den Satiriker Jan Böhmermann, sondern durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Er soll seine Soldaten als Grenzschutzkommando an der türkisch-griechischen Grenze in Stellung bringen, um den Menschenstrom aus Syrien, Libanon, Afghanistan einzudämmen. Er soll uns die Flüchtlinge vom Hals halten, die viele Staaten in der EU längst nicht mehr wollen. Koste es uns, was er wolle.

Uns kostet es zum einen die sechs Milliarden Euro, die vor allem Deutschland sukzessive an die Türkei zahlt. Es kostet uns zum anderen die faire Anwendung des Asylrechts und die Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention, die zwar formell im Abkommen bekräftigt, aber ansonsten mit Gelassenheit, die man alltagspraktisch Gleichgültigkeit nennen würde, behandelt werden. Längst schickt die Türkei Syrer ins syrische Kriegsgebiet zurück.

Da möge man doch jetzt bitte keine juristische Haarspalterei betreiben, wenn alle Energie derzeit für die Auslegung eines verunglückten Gedichts gebraucht wird.

Vor allem aber ist das Abkommen in der ersten Stufe seiner Umsetzung eine Blaupause für Menschenwäsche (und passt damit ganz gut in die Zeiten der Panama Papers). Für jeden Syrer, der aus Griechenland in die Türkei zurückgewiesen wird, darf ein Syrer mit Asylanspruch über legale Verfahren in die EU kommen. Das mögliche neue Geschäftsmodell der Schlepper wäre nun also die Asyl-Kaffeefahrt: 100 arme Flüchtlinge werden nach Griechenland geschippert, festgesetzt und in die Türkei zurückgeführt. Dafür dürfen 100 anspruchsberechtigte Flüchtlinge legal in Europa einreisen. Ein zynisches Geschäft, bei dem sich mithilfe gut bezahlter Flüchtlingsstatisten das Prinzip der Geldwäsche auf Menschen übertragen lässt: Aus schlechten werden gute Flüchtlinge.

Geld, Visafreiheit und Wiedereröffnung der Beitrittsverhandlungen – die Türkei kriegt viel für dieses Sankt-Florians-Abkommen der Flüchtlingsabwehr: „Großer Kalif Erdoğan – verschon unser Land, halt sie in deinem an.“

Darüber könnte man sich aufregen, und das geschieht ja auch. So richtig im Brennglas ist dieser überfaule Kompromiss aber erst, seit Jan Böhmermann den türkischen Präsidenten als der körperlichen Zuneigung zu Weidetieren verdächtig beleidigt haben soll. Jetzt wird aus dem Abkommen zur Menschenwäsche eines zur Gehirnwäsche. Man sollte besser nicht mehr kritisch über Erdoğan denken. Praktischerweise hat Deutschland noch einen Paragrafen zur Majestätsbeleidigung im Strafgesetzbuch, der in seinem ganzen Anachronismus lange übersehen wurde. Wo kein Kläger war, da war kein Richter.

Jetzt gibt es einen Kläger, der die Bundesregierung über den unglückseligen Paragrafen 103 des Strafgesetzbuchs auch noch zum Helfer machen möchte. Er weiß, was er in der Hand hält, und hatte zuvor schon mit der Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens gedroht. In Diktaturen ist das Realpolitik, in Demokratien Erpressung.

Wohin sind wir gekommen, dass eine misslungene Satire als Schmähkritik eine internationale Krise auslösen kann? Dahin, wo man hinkommt, wenn man blind werden muss, um wieder eine Perspektive zu haben.

Die WirtschaftsWoche ist nicht nur lesbar, sondern auch hörbar. Hier können Sie sich den Artikel von professionellen Sprechern vorlesen lassen:

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