Stell dir vor, es ist Globalisierung, und alle gehen hin. So lässt sich seit Jahren das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos auf einen Satz bringen. 3000 Anführer der internationalen Wirtschaft pilgern in den Schweizer Schnee, um sich manchmal doch etwas zu selbstverständlich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. So war das. Und war doch in diesem Jahr anders. Irgendwer hat den Gästen ihr Förmchen aus dem Treibsandkasten strudelnder Zuversicht geklaut. Es tun sich Risse auf im Anstrich der herrschenden Meinung, die da lautete: Unsere Zukunft liegt in der Globalisierung, denn sie schafft Wachstum und Wohlstand.
Vielleicht werde Davos ja in diesem Jahr wieder richtig bedeutsam, weil letztes Jahr alle mit ihren Prognosen so richtig falsch lagen, ätzte ein amerikanischer Mediendienst. In Davos 2016 galt: Der Brexit kommt nicht, Donald Trump wird nicht US-Präsident, und Freihandel bedeutet Zukunft.
In dieser Woche hat die britische Premierministerin Theresa May den harten Brexit annonciert, Trump ist als US-Präsident vereidigt, und der Protektionismus ist neues Programm. Ausgerechnet der chinesische Staatspräsidenten Xi Jinping musste in Davos dafür werben, Freihandel nicht zu verdammen, sondern neu auszubalancieren.
Es ist sehr einfach, als Begründung für diese Fehlwahrnehmungen in die Kerbe zu schlagen, die Populisten überall auf der Welt längst ins Selbstbewusstsein des internationalen Managements gefräst haben: alles abgehobene Vertreter der oberen Zehntausend, die nicht mehr wissen, was in der Welt wirklich vor sich geht. Vielleicht ist es komplizierter. In den bilateralen Gesprächen, die man am Rande des WEF führen kann, kristallisiert sich ein Gefühl heraus: Verunsicherung. Verbunden mit dem Bewusstsein, dass wir einen wichtigeren Wettbewerb zu bestehen haben als den nationaler Produktionsstandorte. Es ist der Wettbewerb zwischen Liberalismus und Protektionismus.
In einem „Bericht über inklusives Wachstum und Entwicklung“ zeichnet das WEF ein bedenkliches Bild: Unser Wachstumsmodell und seine Messinstrumente müssen dringend überholt werden. Über die vergangenen Jahre betrug das Pro-Kopf-Wachstum in den Industrienationen durchschnittlich weniger als ein Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen ist im selben Zeitraum in den Industrieländern im Jahresmittel sogar um durchschnittlich 2,4 Prozent zurückgegangen.
Wachstum durch Globalisierung stockt also nicht nur, Globalisierung bedeutet für die Mittelschicht Rückschritt.
Im Gespräch mit der WirtschaftsWoche hat der österreichische Bundeskanzler Christian Kern seine Pläne erläutert. Er will den Mittelstand stärken, zum Beispiel durch eine Reparaturprämie, um Wertschöpfung im Land zu halten. Reparieren statt wegschmeißen – das könnte nicht nur für Waschmaschinen eine gute Idee sein, sondern auch für die Weltwirtschaftsbeziehungen. Die sind gerade im Schleudergang, und niemand findet den Ausknopf.