EU-Kommissionspräsident Weber chancenlos – Zweikampf zwischen Vestager und Timmermans

Frans Timmermans in der Favoritenrolle im Rennen um die EU-Kommissionspräsidentschaft. Quelle: imago images

Im Rennen um den Chefposten der EU-Kommission kommt es auf den letzten Metern zu einer Überraschung: Das Spitzenkandidatenprinzip ist zurück. Manfred Weber hat aber keine Chance mehr. Frans Timmermanns ist der Favorit.

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Vor einer Woche war das Prinzip Spitzenkandidat tot. Nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Deutschen Manfred Weber aus dem Rennen um die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geworfen hatte, pochte Bundeskanzlerin Angela Merkel darauf, dass auch die beiden anderen Spitzenkandidaten, der Sozialdemokrat Frans Timmermans und die Liberale Margrethe Vestager, nicht zum Zuge kommen.

Doch vor dem EU-Sondergipfel zu Personalfragen am Sonntag hat sich die Situation radikal gewandelt. Nachdem das Europäische Parlament Druck ausgeübt hat, sind die beiden Kandidaten mit den besten Chancen der Niederländer und die Dänin. Manfred Weber dagegen kann sich keine Hoffnungen machen. Macron hatte zu verstehen gegeben, dass er ihn für unqualifiziert hält. Nun sieht es so aus, als könne Manfred Weber Präsident des Europäischen Parlaments werden. Eine Position mit wenig Macht und von der ihm Kanzlerin Merkel ausdrücklich abgeraten hat. Aber Weber will sein Gesicht wahren.

Warum hat sich die Konstellation so stark verändert?

Timmermans ist es offenbar gelungen, im Europäischen Parlament eine Mehrheit für sich zu organisieren. Genau das hat Weber, der immerhin die stärkste Fraktion anführt, nicht geschafft. Zudem bekannte sich der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez zum Spitzenkandidatenprinzip. Sánchez kommt im Poker eine Schlüsselrolle zu, weil eine Vertraute von ihm die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament führt. Der spanische Premier versteht sich zudem gut mit Merkel.

Indem Weber im Parlament keine Mehrheit gebildet hat, bewies er, dass er nicht der gewiefte Machtpolitiker ist, den die EU-Kommission an ihrer Spitze braucht. Macrons Kritik an seiner mangelnden Erfahrung ist durchaus gerechtfertigt. „Mit seinem Lebenslauf hätte er bei uns nicht einmal Referatsleiter werden können“, sagt ein EU-Beamter. Eine Behörde mit 30.000 Mitarbeitern zu führen und gleichzeitig die EU fit für die Weltpolitik zu machen – Weber hat dafür nicht die Voraussetzungen mitgebracht.

Merkel wusste das, hat Weber aber aus innenpolitischen Gründen gewähren lassen. Sie wollte Streit mit der CSU schlicht vermeiden. In Berlin kam schlecht an, dass Macron Weber so offen attackiert hat, obwohl Macron wusste, dass Merkel ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt würde fallen lassen. Ein wenig mehr Diplomatie aus Paris hätte nicht geschadet, heißt es. Macrons Unterstützer rechtfertigen sein Vorgehen damit, dass er geradeheraus agiert habe. Dass er in den letzten Tagen die deutschen Minister Ursula von der Leyen und Peter Altmaier ins Spiel brachte, sollte beweisen, dass Macron nicht prinzipiell einen deutschen Kandidaten ablehnt. Beide sind freilich völlig chancenlos.

Wie stehen die Chancen für die beiden verbleibenden Kandidaten?

CDU-Quellen zufolge sollen sich Angela Merkel Annegret Kramp-Kartenbauer und Manfred Weber bei ihrem Treffen am Mittwoch auf Vestager geeinigt haben. Die Kanzlerin schätzt die machtbewusste Wettbewerbskommissarin, weil sie Themen intellektuell durchdringt und sie strategisch besetzt. Im Vorfeld der Europawahl war viel darüber spekuliert worden, dass Vestager für Macron die ideale Kandidatin sein müsste. Sie hatte sich in ihrer Amtszeit in Brüssel furchtlos mit US-Konzernen angelegt. Mit ihrer nahbaren, zupackenden Art könnte sie zudem glaubhaft einen Aufbruch der EU verkörpern. Allerdings stand sie vor der Wahl nicht im engen Kontakt mit Macron – was den Eindruck erweckt, dass sie wahrscheinlich nicht Macrons Favoritin war.

Vestager hat aber noch mit einem weiteren, weitaus größeren, Problem zu kämpfen: Sie hat zwar Wahlkampf geführt und sich an den Fernsehdebatten der Kandidaten beteiligt. Gleichzeitig lehnte sie aber das Prinzip Spitzenkandidat ab, um sich dann nach der erfolgreichen Wahlnacht selbst zur Kandidatin auf den Kommissionsposten zu erklären. Vielen Europaabgeordneten hat ihre Taktik missfallen. Bundeskanzlerin Merkel hat beim G20-Treffen in Osaka anklingen lassen, Vestager sei wegen ihrer unentschlossenen Kandidatur keine echte Spitzenkandidatin.

Das rückt ihren Kontrahenten Frans Timmermans in die Favoritenrolle. Der hatte in seiner Heimat, den Niederlanden, bei den Europawahlen einen unerwarteten Wahlsieg eingefahren. Der frühere Außenminister seines Landes ist ein erfahrener Diplomat, der zuletzt fünf Jahre erster Stellvertreter des EU-Kommissionspräsidenten war. In dieser Position verantwortete er das Thema Rechtsstaatlichkeit – weshalb er sich in Osteuropa viele Feinde gemacht hat. Lange sah es so aus, als ob er für Regierungen in Osteuropa inakzeptabel sei.

Sollte Weber den hauptsächlich repräsentativen Topjob als Präsident des Europäischen Parlaments bekommen, dann würde das die Frage aufwerfen, welchen Job Frankreich reklamieren kann. Denn das fragile europäische Gleichgewicht verlangt, dass entweder beide größten Staaten einen Topjob übernehmen oder keiner von ihnen. In CDU-Kreisen kursiert auch schon ein Name: der französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau, der Nachfolger von Mario Draghi als Präsident der Europäischen Notenbank werden könnte. Gerüchten zufolge hatte Merkel den Job dem Finnen Erkki Liikanen versprochen. Aber weil sich das Tableau radikal verändert hat, ist vieles im Fluss.

Kommt es also tatsächlich so, dass Weber zum EU-Parlamentspräsident gewählt wird und ein französischer Kandidat an die Spitze der EZB rückt, wäre dies ein klarer Sieg für Macron. Dann hätte er bewiesen, dass er auch das komplexe Spiel der Personalpolitik perfekt beherrscht.

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