VDMA-Chef „Es wird für uns alle viele unangenehme Überraschungen geben“

Karl Haeusgen ist Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) und sorgt sich um den chinesischen Markt. Quelle: dpa

Karl Haeusgen, Präsident des Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), über die Auswirkungen der Gaskrise auf die Industrie, die neue Bedeutung Chinas und die Verantwortung der europäischen Politik.

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WirtschaftsWoche: Herr Haeusgen, in Brüssel werden die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel am Donnerstag wieder einmal über den russischen Angriff auf die Ukraine sprechen. Wie geht Ihre Branche mit der Gasknappheit um, die aktuell als Folge des Konflikts droht?
Karl Haeusgen: Wir gehen davon aus, dass die nächste Alarmstufe in Deutschland bald ausgerufen wird. Die direkte Abhängigkeit des Maschinenbaus von Gas ist relativ gering. Mein Unternehmen, HAWE Hydraulik, setzt Gas bei Härtungsprozessen ein. Wir sind dabei, uns über eigene Propangastanks für drei bis vier Monate unabhängig zu machen, wie viele andere Unternehmen auch.
Inwieweit wären Sie von einem Gaslieferstopp aus Russland betroffen?
Wenn zum Beispiel die Chemieindustrie stillsteht und keine Granulate mehr für Kunststoff liefert, wird es schwierig. Wir kennen die genauen Folgen nicht. Ich fürchte, es wird für uns alle viele unangenehme Überraschungen geben.

Welche Folgen haben die rasant steigenden Energiepreis für Sie?
Wir sind keine energieintensive Branche, die Energie macht etwa drei bis vier Prozent der Gesamtkosten im Maschinen- und Anlagenbau aus. Wenn sich das auf acht Prozent verdoppeln würde, wäre bei Unternehmen, die keine hohen Gewinnspannen erwirtschaften, die Rendite weg. Die meisten Unternehmen sind heute aber insgesamt sehr viel resilienter als vor der Finanzkrise 2008 aufgestellt und können eintretende Risiken besser abfedern.

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Damals gab es aber keine so hohe Inflation wie heute. Ist das nicht ein Problem?
Darin sehe ich in der Tat ein sehr großes Risiko. Inflation ist wie eine Überflutung, sie sickert in jeden Bereich hinein, alle werden von ihr getroffen. Zudem liegt in der Inflation ein enormer sozialer Sprengstoff. Deswegen gehört für mich die Bekämpfung der Inflation in der Prioritätenliste ganz nach oben.

Zur Person

Was sollte die Politik tun?
Zunächst sind die Zentralbanken zuständig. Wir sind uns vermutlich einig, dass die Europäische Zentralbank früher hätte handeln müssen. Wir sehen an der US-Notenbank, wie ernst das Thema dort genommen wird.

Pessimisten fürchten, dass der Krieg in der Ukraine den Trend zur Deglobalisierung verstärkt. Welche Risiken birgt das für die Wirtschaft?
Ich sehe eine Verlangsamung der Globalisierung, aber noch keine Deglobalisierung. Die Auftragslage des deutschen Maschinenbaus ist immer noch gut. Bei den VDMA-Mitgliedern sichern die Auftragsbestände die Produktion für 11,5 Monate. Die Auslastung ist über die nächsten Monate gesichert. Allerdings erschweren es die Lieferengpässe den Unternehmen, ihre Aufträge rasch abzuarbeiten. Manche Maschinen bekommt man nicht vom Hof, weil einzelne wichtige Teile fehlen.

Diese Länder haben einen Alarm bei der Gaslieferung ausgesprochen

Neben den Problemen in den Lieferketten hat die deutsche Exportwirtschaft mit wachsendem Protektionismus zu kämpfen. Mit welchen Problemen ist ihre Branche in Märkten wie China und den USA konfrontiert?
Die EU ist auch nicht so offen, wie sie sich gerne gibt! Wir sehen überall in den großen Blöcken USA, China und Europa protektionistische Reflexe – und die nehmen zu. Das ist für uns sicherlich eines der größten Abwärtsrisiken.

In einer neuen Studie im Auftrag des VDMA fällt auf, dass auch die USA stark mit Subventionen den Wettbewerb verzerren…
Wir sollten vor allem über China sprechen mit seinem zentral gelenkten und autoritären Wirtschaftsregime. Dort existiert eine fast vollständig staatlich gelenkte Industriepolitik. Immer mehr Teilbereiche der produzierenden Industrie werden vom Staat mit planwirtschaftlichen Vorgaben gesteuert. Wir haben das bei Windturbinen erlebt, wo der internationale Marktanteil in China binnen weniger Jahre von 80 auf 20 Prozent geschrumpft ist. Oder nehmen Sie das Beispiel Tunnelbohrmaschinen: China hat hier viele Unternehmen aufgekauft und gleichzeitig ein heimisches Unternehmen finanziell so unterstützt, dass es den heimischen Markt aufgerollt hat. Das ist nur der erste Schritt: Über den steigenden Marktanteil, den die chinesischen Hersteller im Binnenmarkt besetzen, werden sie befähigt, auch auf dem Weltmarkt durch Exporte mitzumischen. So haben die Chinesen bereits öffentliche Ausschreibungen für Tunnelbohrmaschinen in Italien gewonnen.

Was heißt das für den typischen deutschen Mittelständler?
Für den deutschen Maschinenbau ist das chinesische Modell zu einem ernst zu nehmenden Risiko geworden. Unsere Unternehmen sitzen mit 200 Leuten auf der schwäbischen Alb. Wenn ihr Exportmodell nicht mehr funktioniert, dann haben sie nur wenige Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Wir sollten mit erodierenden Marktanteilen in China rechnen.

Welche Tücken drohen auf dem US-Markt?
Bedauerlicherweise setzte dort schon unter US-Präsident Barack Obama ein protektionistischer Trend ein, der sich unter Donald Trump verschärft hat und unter Joe Biden nicht nachlässt. Der „Buy American Act“ ist ein Plan der aktuellen Regierung, und er wird konsequent durchgezogen.

Neben dem Vorrang für heimische Produkte setzt die Regierung von Joe Biden auch auf das Konzept Friendshoring, also auf Lieferketten, die sich auf befreundete Staaten beschränken. Eine gute Idee?
Wenn wir eine Globalisierung der Willigen wollen, dann wäre ein transatlantisches Bündnis zentral. Ich halte es für sehr wichtig, die Gespräche, die derzeit beim transatlantischen Handels- und Technologierat (TTC) stattfinden, zu intensivieren und zu pflegen. Es ist jetzt eine Aufgabe der Europäer, die Amerikaner zu überzeugen, dass es ihnen innenpolitisch nutzt, wenn sie ihre Märkte offen halten.

Bundesfinanzminister Christian Linder hat bereits Gespräche für ein transatlantisches Freihandelsabkommen angeregt. Kann das funktionieren?
Eine Neuauflage von TTIP ist illusorisch, auf der US-Seite genauso wie auf der europäischen. Deshalb unterstützen wir das TTC Format. Man beschränkt sich auf ein paar Kernthemen, insbesondere technische Handelshemmnisse, was uns sehr helfen würde. Gleichzeitig wäre es aber wichtig, die ausverhandelten Freihandelsabkommen endlich auf den Weg zu bringen. Es wäre nicht viel mehr als eine Fingerübung, Ceta und Mercosur abzuschließen. Ich hoffe sehr, dass es einer der Kollateralnutzen des Angriffs Russlands auf die Ukraine ist, dass wir wieder lernen, wie wichtig es ist, unter gleichgesinnten Ländern Freihandelsabkommen abzuschließen.

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Welche Lektionen gilt es für die Politik aus dem Krieg in der Ukraine zu lernen?
Die aktuelle Situation zeigt uns, wie sehr wir beim Thema Zuwanderung umdenken müssen. Ich habe das persönlich nah miterlebt. Ich habe mit meiner Frau vier junge Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Zum 30. August müssen sie Deutschland wieder verlassen, weil sie die turkmenische Staatsbürgerschaft haben. Es gibt keine Möglichkeit für sie, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Sie überlegen, zurück nach Kiew zu gehen. Dass wir Diplomingenieure wieder ausreisen lassen, kann ich wirklich nicht nachvollziehen.

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