Die Bundesregierung gestattet Polen die Weitergabe von fünf MiG-29-Kampfflugzeugen aus DDR-Altbeständen an die von Russland angegriffene Ukraine. Ein erst am Donnerstag in Berlin eingegangener Antrag wurde binnen weniger Stunden positiv beschieden. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) begrüßte den Beschluss in einer Mitteilung. „Das zeigt: Auf Deutschland ist Verlass!“, erklärte er. Es handelt sich um Flugzeuge, die Deutschland 2003 Polen überlassen hatte. Die Bundeswehr hatte sie aus früheren Beständen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR übernommen.
Pistorius bestätigte am Nachmittag am Rande eines Besuchs bei deutschen Soldaten im westafrikanischen Mali zunächst, dass der Antrag Polens eingegangen sei. Das Bundeskanzleramt sei gerade in der Abstimmung mit dem Verteidigungsministerium und anderen Beteiligten. „Und die Zusage steht, dass eine Antwort an unsere polnischen Partner im Laufe des Tages ergehen wird“, sagte der Verteidigungsminister.
Er wollte sich im fernen Mali allerdings zunächst nicht dazu äußern, ob er eine Zustimmung zum Antrag Polens befürwortet. Er habe dazu eine Meinung. „Aber nicht jede Meinung, die man hat, muss man öffentlich verkünden. Sie können sich meine Meinung denken“, sagte Pistorius. Der SPD-Politiker gilt als entschiedener Befürworter einer Unterstützung der Ukraine mit allen möglichen Mitteln.
Wie Kampfjets der Ukraine im Krieg gegen Russland helfen würden
Die Ukraine hat im Gegensatz zu der klaren Forderung bei Kampfpanzern keine einheitliche Linie, wenn es um die Kampfjets geht. Vizeaußenminister Andrij Melnyk erwähnte faktisch alle bekannten Flugzeugtypen wie die US-amerikanischen F-16, F-35, die europäischen Entwicklungen des Eurofighters und der Tornados, die französischen Rafale und schwedische Gripen. Vor allem aber dürfte es um die F-16 gehen.
Die USA haben umfangreiche und überzählige Bestände an älteren Kampfflugzeugen - inklusive eines großen Flugzeug-Schrottplatzes auf der Luftwaffenbasis Davis-Monthan in Arizona, wo Militärmaschinen ausgeschlachtet werden. Bei den älteren Flugzeugtypen wie F-15 oder F-16 sowie F-10 („Warzenschwein“) könnte es wohl möglich sein, die Instandsetzung auf dem freien Markt einzukaufen. Ersatzteile sind in großer Zahl vorhanden. Grundvoraussetzung ist die Ausbildung.
Kriegsziel der Ukraine ist die komplette Befreiung des von Russland besetzten Staatsgebiets – einschließlich der bereits 2014 annektierten Halbinsel Krim. Für einen effektiven Vormarsch der demnächst von westlichen Kampfpanzern gestärkten Bodentruppen müssen diese idealerweise von der Luftwaffe unterstützt werden. Aufgrund der weiter funktionierenden ukrainischen Flugabwehr setzt Russland eigene Jets nur begrenzt in Frontnähe für Bombardements ein.
Im Krieg gelingt es beiden Seiten immer wieder, gegnerische Flugzeuge abzuschießen. Berichte über direkte Luftkämpfe zwischen ukrainischen und russischen Kampfjets gab es nur in den ersten Kriegstagen. Westliche Jets könnten hier vor allem Lücken schließen helfen. Doch die Rückerlangung der Lufthoheit wäre auch nach der Lieferung Dutzender Kampfjets aus dem Westen nicht zu erwarten. Das wäre nur möglich, wenn die russischen Flugabwehrsysteme komplett ausgeschaltet werden.
Vor dem Krieg hatte die Ukraine den Londoner Analysten des International Institute for Strategic Studies zufolge etwa 110 einsatzfähige Kampfflugzeuge. 70 davon Jagdflugzeuge des sowjetischen Typs Mig-29 und Suchoi 27. Dazu noch 45 Suchoi 25 und 24 zur Bekämpfung von Bodenzielen. Während des Krieges soll Kiew den Waffenanalysten der Investigativgruppe Oryx zufolge weitere 18 Suchoi 25 aus verschiedenen Quellen erhalten haben. Polen lieferte zudem Medienberichten nach bereits Mig-29 in Einzelteilen, und auch die Bundesregierung steuerte Mig-29-Ersatzteile bei. Das russische Militär will dabei bereits mehr als das Dreifache aller real vorhandenen ukrainischen Flugzeuge abgeschossen haben.
Die westlichen Unterstützer der Ukraine haben inzwischen umfangreiche und schwere Waffen für den Kampf am Boden und zur Flugverteidigung geschickt. Abwehrsysteme wie Patriot und Iris-T wirken überaus effektiv gegen feindliche Flugzeuge, Raketen und Drohnen und dies 24 Stunden am Tag - und schützen doch nur auf einen gewissen Umkreis des eigenen Standortes. Anders Kampfflugzeuge, die zum Schutz großer Regionen geeignet sind, wenn auch nur für beispielsweise eineinhalb Stunden pro Flug.
Mehr noch als zur Überwachung und dem Schutz gegen Angriffe können Kampfflugzeuge als sogenannte Luftnahunterstützung in Kämpfe am Boden eingreifen. Und mehr noch: Sie ermöglichen es, die Kraftquellen („center of gravity“) des Gegners anzugreifen. Die Ukraine wäre befähigt, Nachschubwege, Aufmarschgebiete, Treibstofflager und strategische Ziele Russlands zu zerstören. Spätestens da – so befürchten einige – wird politisch gefährlich, was im Sinne der Selbstverteidigung nicht verboten scheint.
Russland würde die Lieferung von Kampfjets als weiteren großen Schritt sehen für die von Moskau ohnehin seit langem behauptete direkte Beteiligung des Westens an dem Konflikt in der Ukraine. Der für Rüstungsfragen zuständige russische Diplomat Konstantin Gawrilow sagte im russischen Staatsfernsehen, dass die Jets das Kampfgebiet geografisch vergrößern würden. Das bedeute „nichts Gutes“ für Russland, sei aber auch keine Katastrophe.
Mehrere Länder, darunter die USA und Polen, schließen die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine nicht aus. In der Bundesregierung will man dieses Signal nicht setzen. Weder als Vorhaben noch als Option akzeptieren derzeit Politiker der Ampel-Koalition diesen Schritt, ganz vorn Kanzler Olaf Scholz (SPD). Aber auch die Vorkämpfer der Leopard-Lieferung, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und der Grüne Anton Hofreiter, machten deutlich, dass sie gegen eine Lieferung von Kampfjets sind.
Russland hat zwar schon jetzt keine Luftüberlegenheit über der Ukraine – allerdings auch seine Kampfjet-Verbände noch nicht im vollen Umfang im Einsatz. Das russische Staatsfernsehen zeigt fast täglich voller Stolz die zerstörerische Kraft russischer Raketen, die von Flugzeugen abgeschossen werden. Der General und Militärpilot Wladimir Popow sagte in einem Interview der Moskauer Zeitung „MK“, dass Russland die Kampfjets mit Luft-Luft-Raketen abschießen würde. Wenn das nicht gelinge, müssten sie auf den Luftwaffenstützpunkten durch Hochpräzisionswaffen zerstört werden.
Dabei wies auch das Verteidigungsministerium in Moskau zuletzt Angaben des Westens zurück, Russland könnten die Raketen und die Munition ausgehen. Von ihren Zielen der Besetzung der vier ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson will Russlands Machtführung nicht ablassen. Kremlchef Wladimir Putin hat immer wieder betont, dass die Atommacht Russland ihre Interessen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzen werde.
Wesentlich unverblümter äußerte sich die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die den Verteidigungsminister auf seiner Afrika-Reise begleitet. „Das sollten wir auf alle Fälle genehmigen“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags. Sie rechnete mit einer Zustimmung der Bundesregierung. „Ich gehe mal davon aus, dass das Bundeskanzleramt da keine Herzrhythmusstörungen bekommt. Und wenn, werden wir sie unterstützen, dass das Herz wieder ruhig schlägt.“
Anfang der 2000er Jahre hatte Deutschland 22 MiG-29-Kampfjets, die die Bundeswehr nach dem Fall der Mauer von der NVA übernommen hatte, an Polen veräußert. Der Sicherheitsberater des polnischen Präsidenten Andrzej Duda, Jacek Siewiera, hatte Ende März gesagt, die polnische Luftwaffe habe heute noch etwa ein Dutzend davon. Im Vertrag zur Überlassung der Flugzeuge war festgeschrieben, dass eine Weitergabe an Dritte einer schriftlichen Zustimmung Deutschlands bedürfe. Daher nun der Zwang zur Entscheidung in Berlin.
Dass diese so schnell getroffen wurde, dürfte auch daran liegen, dass sich die Bundesregierung wohl nicht schon wieder die im ersten Kriegsjahr gerade bei östlichen Verbündeten zu hörende Kritik zuziehen wollte, zu lange zu zaudern. „Too late, too little“ (zu spät, zu wenig) lautete ein gängiger Vorwurf an die Adresse Berlins.
Polen hatte im März die Lieferung von MiG-29-Kampfflugzeugen an die Ukraine angekündigt, um das Land im Kampf gegen den russischen Angriff zu unterstützen. Zunächst wurden aber keine Maschinen aus früheren DDR-Beständen geliefert, das ändert sich nun.
Präsident Duda hatte vergangene Woche bekanntgegeben, sein Land habe inzwischen acht MiG-29 an die Ukraine geliefert. Vier der Maschinen habe man Kiew „im Verlauf der vergangenen Monate“ überlassen, sagte er nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Warschau. Vier weitere MiG-29 seien dem von Russland angegriffenen Nachbarland „kürzlich“ geliefert worden. Darüber hinaus würden derzeit noch sechs MiG-29 für die Übergabe vorbereitet.
Weitere MiG-29 blieben vorerst noch im Dienst der polnischen Streitkräfte, sagte Duda weiter. Erst wenn sie sukzessive durch moderne Kampfjets ersetzt würden, die Polen bereits in Südkorea und den USA bestellt habe, könnten auch diese Maschinen der Ukraine überlassen werden.
Duda sagte bei der Gelegenheit auch: „Wir geben den anderen Ländern ein Beispiel und brechen ihre Sturheit und ihren Widerstand, was die Lieferung von Waffen angeht.“ Den Vorwurf der Sturheit konnte Berlin jetzt mit der MiG-29-Blitzentscheidung erst einmal entkräften.
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