Wirecard-Skandal „Ohrfeige für die BaFin“: EU-Aufsicht wirft Deutschland Versäumnisse vor

Wirecard war Ende Juni zusammengebrochen, nachdem sich 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz als nicht existent entpuppten. Quelle: dpa

Die EU-Wertpapieraufsicht (ESMA) hat die deutschen Behörden für ihr Handeln im Wirecard-Skandal stark kritisiert. Gleich eine ganze Reihe von Mängeln, Versäumnissen und ineffizienten Abläufen hätte man gefunden.

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Im Wirecard-Skandal müssen die deutschen Behörden und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) harsche Kritik von der EU-Wertpapieraufsicht einstecken. Man habe eine ganze Reihe von Mängeln, Versäumnissen und ineffizienten Abläufen im Umgang mit dem Bilanzbetrug bei dem Finanzdienstleister gefunden, hieß es in dem am Dienstag veröffentlichten Bericht der ESMA. Für die deutsche Finanzaufsicht BaFin habe es „ein erhöhtes Risiko der Einflussnahme durch das Finanzministerium gegeben.“ Das zeigten die vielen Berichte der BaFin an das Ministerium, in einigen Fällen bevor die Behörde tätig wurde. Finanzminister Scholz sagte, die von der ESMA vorgeschlagenen Verbesserungen seien im Großen und Ganzen das, was die Bundesregierung an Reformen bei der Finanzaufsicht plane. „Ich betrachte das also nicht als etwas Kritisches.“ Die BaFin wies die Vorwürfe zum Teil zurück.

„Der Bericht der europäischen Aufsicht ESMA ist eine Ohrfeige für die deutsche Finanzaufsichtsbehörde BaFin“, sagte Fabio de Masi, der für die Linken im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags sitzt. Die Finanzaufsicht müsse dringend reformiert werden, so dass sie Zähne habe. „Der politische Einfluss des Finanzministeriums auf die Finanzaufsicht muss eingeschränkt werden.“ Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber griff SPD-Kanzlerkandidat Scholz direkt an: „Die ESMA kritisiert zurecht, dass die BaFin alles andere als politisch unabhängig ist“, twitterte Ferber. „Der Bundesfinanzminister trägt eine Mitverantwortung an dem Desaster.“

Was die Bundesregierung nach dem Fall Wirecard ändern will
BafinDie Finanzaufsicht kommt bei der Überprüfung von börsennotierten Unternehmen bisher erst spät ins Spiel. Zunächst sind private Wirtschaftsprüfer für die Buchprüfung zuständig, dann die privatrechtliche Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR). Das soll sich nun ändern. Bei Verdachtsfällen soll die Bafin künftig allein für Prüfungen zuständig sein. Quelle: dapd
WirtschaftsprüferAbschlussprüfer sollen künftig auch bei Kapitalmarktunternehmen alle zehn Jahre wechseln. „Das soll verhindern, dass Abschlussprüfer betriebsblind werden, weil sie sich zu lange mit demselben Unternehmen beschäftigt haben“, sagte Lambrecht. Die Prüfer sollen stärker in Haftung genommen werden. Außerdem sollen Wirtschaftsprüfer ein Unternehmen nicht mehr zugleich prüfen und beraten dürfen. Quelle: REUTERS
Härtere StrafenDer „falsche Bilanzeid“, also wenn fälschlicherweise behauptet wird, ein Abschluss vermittele ein zutreffendes Bild der Lage eines Unternehmens, soll zu einem eigenen Straftatbestand werden - mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Quelle: REUTERS
Finanzgeschäfte von Bafin-MitarbeiternPrivate Finanzgeschäfte der Bafin-Mitarbeiter sollen stark eingeschränkt werden, um jeden Anschein eines Interessenkonflikts zu vermeiden. Quelle: dpa

Wirecard war Ende Juni zusammengebrochen, nachdem sich 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz als nicht existent entpuppten. Laut Staatsanwaltschaft sollen die Manager die Bilanz mit Luftbuchungen in Asien aufgebläht und damit Verluste im Kerngeschäft kaschiert haben. Allein Banken und Investoren seien um mehr als drei Milliarden Euro geprellt worden.

Die BaFin hatte die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) mehrfach mit der Prüfung von Wirecard-Finanzberichten beauftragt. Bis zum Kollaps des Dax-Konzerns lagen keine Ergebnisse dieser Prüfungen vor. Die ESMA kritisierte nun, dass die BaFin und die DPR nicht das gleiche Verständnis teilten, welche Rolle und Möglichkeiten die beiden Institutionen hätten. Die Finanzaufsicht sei nicht in der Lage gewesen, die Arbeit der DPR grundlegend zu bewerten und auf dieser Basis zu entscheiden, ob es die Untersuchung von Wirecard-Bilanzen an sich ziehen solle. Der Austausch von Informationen zwischen der BaFin, der DPR und anderen sei durch geltende Vertraulichkeitspflichten behindert worden. Auch innerhalb der BaFin hätten verschiedene Teams sich nicht ausreichend abgestimmt. Geschäfte von BaFin-Mitarbeitern mit Wirecard-Aktien sorgten bei der ESMA ebenfalls für Unverständnis. Dies wecke Zweifel an den Vorkehrungen der BaFin gegen Interessenskonflikte.



BaFin-Exekutivdirektor Raimund Röseler sagte bei einer Veranstaltung des „Handelsblatt“, er kenne den ESMA-Bericht zwar nicht, könne aber den Vorwurf der fehlenden Zusammenarbeit innerhalb der BaFin nicht nachvollziehen. In ihrer in dem ESMA-Bericht enthaltenen Stellungnahme wehrte sich die Finanzaufsicht auch gegen den Vorwurf, sie habe die Staatsanwaltschaft zu spät eingeschaltet. So lange sie keine über die öffentlichen Anschuldigungen hinausgehenden Informationen habe, könne sie auch keinen Bericht an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.

Die ESMA kritisierte auch die DPR scharf. Die Analyse der Bilanzprüfer sei angesichts der von Whistleblowern und den Medien erhobenen schweren Vorwürfe der Bilanzfälschung gegen Wirecard unzureichend gewesen, hieß es in dem Bericht, der von einem Gremium aus Experten anderer Finanzaufseher und der ESMA erstellt wurde. Zudem hätten DPR und BaFin nicht oder nicht rechtzeitig Wirecard-Bilanzen der Jahre 2016 bis 2018 unter die Lupe genommen. In ihrer in dem Bericht abgedruckten Stellungnahme wies die DPR die Vorwürfe zurück. Die Ergebnisse der ESMA-Untersuchung seien nicht durch die Tatsachen gedeckt.


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Die EU-Kommission hatte die ESMA mit der Untersuchung beauftragt. Sie will anhand der Ergebnisse prüfen, ob für die Verhinderung künftiger Bilanzskandale eine stärker zentralisierte Finanzaufsicht in Europa nötig ist. „Der Wirecard-Fall hat einmal mehr gezeigt, dass eine qualitative hochwertige Bilanzierung für das Vertrauen der Investoren in die Kapitalmärkte unentbehrlich ist“, sagte ESMA-Chef Steven Maijoor. Die Regeln müssten in der EU einheitlich und effektiv durchgesetzt werden.

Mehr zum Thema: Neben der BaFin und Vizekanzler Olaf Scholz brillierten auch Beamte aus dem Apparat von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mit Unwissen oder Untätigkeit im Wirecard-Skandal.

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