Außenhandel bremst Die deutsche Wirtschaft schrumpft

BIP zurückgegangen: Deutsche Wirtschaft schrumpft Quelle: dpa

Handelskonflikte und eine schwächere Weltkonjunktur haben die exportabhängige deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal schrumpfen lassen. Die Aussichten sind eingetrübt. Die Eurozone konnte hingegen beim Wachstum zulegen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Internationale Handelskonflikte und die Abkühlung der Weltkonjunktur haben die exportorientierte deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal ausgebremst. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Daten am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte. Zum Jahresanfang war Europas größte Volkswirtschaft noch um 0,4 Prozent gewachsen.

Gebremst wurde die Entwicklung den Angaben zufolge vom Außenhandel. Die Exporte von Waren und Dienstleistungen sanken im Vergleich zum Vorquartal stärker als die Importe. Die privaten Konsumausgaben stiegen dagegen, die Unternehmen investierten mehr. Die Bauinvestitionen waren allerdings nach einem kräftigen Anstieg zum Jahresbeginn wegen des vergleichsweise milden Winters rückläufig.

Vor allem die Kauffreude der Verbraucher stützt Europas größte Volkswirtschaft. Die Menschen sind angesichts niedriger Arbeitslosigkeit in Konsumlaune. Zudem wirft Sparen wegen der Zinsflaute kaum mehr etwas ab. Zuletzt wurden die Verbraucher nach Angaben der GfK-Konsumforscher beim Geldausgeben allerdings vorsichtiger. Meldungen über Personalabbau und die Einführung von Kurzarbeit ließen die Angst vor Jobverlust wachsen, sagte GfK-Konsumklimaexperte Rolf Bürkl jüngst. Dem will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit veränderten Regeln für konjunkturbedingte Kurzarbeit entgegenwirken.

Die Abkühlung der Weltwirtschaft, die Unsicherheiten wegen des Handelskonflikts zwischen den USA und China sowie die Unwägbarkeiten des Brexits belasten die deutsche Industrie. Hinzu kommt der Strukturwandel in der Autoindustrie durch die Elektromobilität.

Die für das dritte Quartal erhoffte Konjunkturerholung steht nach zuletzt eher schwachen Daten Ökonomen zufolge zunehmend in Frage. „Deutschlands Konjunktur steht auf der Kippe“, sagte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung. Die Chancen für eine raschen Erholung der Wirtschaft und insbesondere der Industrie im zweiten Halbjahr seien deutlich gesunken.

Schrumpft die Wirtschaft im laufenden Sommerquartal erneut, sprechen Experten von einer „technischen Rezession“. Zwei Minus-Quartale in Folge gab es zuletzt um den Jahreswechsel 2012/13. Die Gefahr einer Rezession beziffert das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) derzeit auf 43 Prozent. „Fakt ist: Die deutsche Wirtschaft kommt seit einem Jahr nur noch im Kriechgang vorwärts“, sagte der Deutschland-Chefvolkswirt von UniCredit, Andreas Rees. Für die zweite Jahreshälfte und auch für 2020 gebe es viele Unsicherheiten. „Neben Brexit ist das vor allem der Handelsstreit USA-China und mögliche US-Zölle auf europäische Autos“, warnte Rees.

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang, mahnte: „Es liegen trübe Monate vor uns, die drohen, zu Jahren zu werden - wenn die Politik nicht kräftig gegensteuert.“ Die Politik müsse rasch kräftige Impulse für die öffentliche und private Investitionstätigkeit setzen.

„Nach dem guten Jahreseinstieg sind die Unternehmen in der harten konjunkturellen Realität angekommen“, kommentierte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben die Ergebnisse. „Dabei ist derzeit keine Wende in Sicht.“ Auch in der DIHK-Konjunkturumfrage berichten die Betriebe laut Wansleben von einem deutlich verdunkelten Ausblick. Die Geschäftserwartungen gingen in allen Branchen zurück, heißt es in der Umfrage. Die Erwartungen an das Auslandsgeschäft seien so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. „Die Unternehmen geraten am Standort Deutschland wegen der Belastung mit Steuern und Bürokratie immer mehr unter Druck. Wenn wir hier nicht gegensteuern, wird die deutsche Wirtschaft bei nachlassender Konjunktur regelrecht in die Zange genommen“, sagte Wansleben.

Mittelstandspräsident Mario Ohoven sprach von einer „hausgemachten harten Landung der Konjunktur“. Der wesentliche Grund für die drohende Rezession liege in der falschen Prioritätensetzung der Bundesregierung. „Statt endlich die notwendigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu treffen, um das Schlimmste zu verhindern, wird über neue Steuern und die Grundrente diskutiert. Daher fordern wir das Sofortprogramm Investitionsimpulse mit einer Reduzierung der Arbeitslosenbeiträge, einem Freibetrag bei der Bemessung der Sozialabgabe, kürzeren Abschreibungsfristen, einer Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf 14 Prozent sowie einer vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags“, sagte Ohoven. „Mit diesen Maßnahmen wird der Wirtschaftsstandort Deutschland wieder attraktiv für Investoren aus dem In- und Ausland.“

Experten zum Schrumpfen der deutschen Wirtschaft

Auch Claus Michelsen, Konjunkturchef des Deutsche Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hält die Zeit reif für einen Kurswechsel: „Der Staat sollte mehr Geld ausgeben, um beispielsweise Projekte der Energie- und Mobilitätswende, im Bereich der Digitalisierung, aber auch auf dem Wohnungsmarkt voranzubringen.“ Die Gelegenheit sei dank historisch niedriger Zinsen günstig wie nie zuvor, um die deutsche Wirtschaft mit wichtigen Investitionen zukunftsfest zu machen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht aktuell hingegen keine Notwendigkeit für Konjunkturpakete. Zwar gehe die Wirtschaft in eine „schwierigere Phase“, hatte die CDU-Politikerin am Dienstag bei einem Leserforum der „Ostsee-Zeitung“ gesagt. Merkel warnte aber davor, die wirtschaftliche Lage schlecht zu reden. „Wir werden situationsgerecht agieren.“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will die Regeln für konjunkturbedingte Kurzarbeit rasch ändern. „Wir sind im Moment in einer massiven Konjunkturabkühlung“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in Berlin. „Ich würde aber nicht von einer Wirtschaftskrise sprechen.“ Zu Risiken wie Handelskonflikten und Brexit komme ein erheblicher Strukturwandel durch die Digitalisierung hinzu. Er wolle daher bei der Kurzarbeit Vorsorge für den Krisenfall treffen und zudem Anreize schaffen, dass konjunkturbedingte Kurzarbeit stärker mit einer Qualifizierung verbunden werde. Heil will in der Koalition durchsetzen, dass die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitgeber bei den Sozialbeiträgen entlastet, wenn deren Beschäftigte konjunkturbedingte Kurzarbeit mit Weiterbildung verbinden. Zudem soll der Bundestag ihm die Befugnis geben, im Krisenfall kurzfristig per Verordnung den Bezug von Kurzarbeitergeld auszuweiten, um damit Entlassungen zu verhindern. Der Minister kündigte an, er werde nun Eckpunkte seiner Vorschläge ausarbeiten und dann mit Gewerkschaften und Arbeitgebern wie auch mit dem Koalitionspartner Union darüber reden.

Eurozone wächst trotz Schrumpfung in Deutschland

Wegen der deutschen Konjunkturschwäche hat sich das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone im zweiten Quartal halbiert. Das Bruttoinlandsprodukt legte von April bis Juni nur noch um 0,2 Prozent zum Vorquartal zu, wie das Statistikamt Eurostat mitteilte. Es bestätigte damit eine frühere Schätzung. Zum Jahresauftakt hatte es noch zu einem Plus von 0,4 Prozent gereicht. Von den großen Euro-Ländern schnitt Deutschland am schlechtesten ab. „Aus dem einstigen Musterknaben ist ein Sorgenkind geworden“, sagte der Chefvolkswirt des Bankhauses Lampe, Alexander Krüger.

Die Nummer zwei Frankreich wuchs hingegen um 0,2 Prozent, während die Nummer drei Italien stagnierte. Spanien und die Niederlande schafften sogar jeweils ein Plus von 0,5 Prozent. Besonders hohe Wachstumsraten wiesen in der Europäischen Union Ungarn, Rumänien, Finnland und Litauen auf. Rückläufig war die Wirtschaftsleistung neben Deutschland in Großbritannien und Schweden.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%