Freytags-Frage
Quelle: dapd

Vor welchen Herausforderungen steht die Geldpolitik?

Befindet sich Deutschland auf dem Weg in die Zombie-Wirtschaft? Erste Anzeichen dafür sind nicht zu übersehen. Das macht einen positiven Realzins umso wichtiger.

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Die Europäische Zentralbank (EZB) steht vor einigen Neuerungen. Zum 1. November hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde ihr Amt angetreten und damit den zur Reizfigur gewordenen Mario Draghi abgelöst. Unter Draghi hat die EZB in zuvor ungekannter Weise die Zentralbankgeldmenge ausgedehnt und die Staatsfinanzierung vorangetrieben; dass er dafür nur bedingt Verantwortung trägt, spielt für die Beobachtung keine Rolle. Diese Politik wurde immer intensiv diskutiert.

Lagardes Problem ist allerdings nicht nur diese Debatte und die Erwartungen an die neue Leitung, die Geldpolitik wieder zu normalisieren. Sie tritt ihr Amt zu einer Zeit an, in der sich die konjunkturelle Lage verschlechtert und aus konjunkturpolitischer Perspektive eine relativ permissive Geldpolitik durchaus angemessen zu sein scheint. Das geldpolitische Pulver scheint allerdings verschossen zu sein.

Das am Mittwoch veröffentlichte Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) beschreibt die wirtschaftliche Lage in Deutschland in der Tat als einen Abschwung, der jedoch nicht in eine Rezession münden wird. Auch in Europa schwächt sich die Wirtschaft ab, so der Rat. Als Konsequenz sieht der SVR aber weder fiskal- noch geldpolitischen Handlungsbedarf. Die automatischen Stabilisatoren würden wohl ausreichen. Die Schuldenbremse sollte bestehen bleiben, zumal sie ja durchaus Potential für Mehrausgaben böte. Auch die EZB sollte ihre Instrumente nicht noch intensiver anwenden, sondern im Gegenteil wieder den Weg zur Normalität suchen.

Damit ist aber nicht gesagt, dass es keine drängenden Probleme gibt. Der SVR weist gleich auf zahlreiche strukturelle Schwächen der Bundesrepublik hin. Da sind zunächst die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu nennen. Unsicherheiten über die Klima- und Umweltpolitik, die Wohnungspolitik sowie die internationale Handelsordnung hemmen private Investitionen. Auch durch die zu geringen öffentlichen Investitionen werden private Investoren abgeschreckt. Darauf verweist nicht nur der Sachverständigenrat seit Jahren. Auch über die seit Jahrzehnten überaus komplizierte Steuerpolitik, die nicht nur die Anreize zur Arbeitsaufnahme massiv verzerrt, muss man nicht mehr viel sagen. Und die ständig zunehmende Bürokratie ist ebenfalls ein Dauerbrenner.

Außerdem sinkt das Produktivitätswachstum seit einigen Jahren. Die Anzahl der Unternehmensneugründungen ist ebenfalls rückläufig, das gleiche gilt für Schließungen. Der SVR diagnostiziert eine abflachende Unternehmensdynamik. Damit einhergehend kann man zusätzlich eine Innovationsschwäche konstatieren.

Hier kann, nein muss man eine Schnittstelle zur Geldpolitik sehen. Denn die Niedrigzinspolitik hat nicht nur den Staaten erlaubt, sich günstig zu verschulden; sie hat auch dafür gesorgt, dass die Ertragslage der Banken sich abschwächt. Dies wiederum könnte dazu beitragen, dass die Unternehmensdynamik sich verlangsamt. Denn neue Unternehmen haben zu wenig Zugang zu Kapital, weil sie ein hohes Risiko für die Bank darstellen. Da scheint es doch aus Sicht der Banken sicherer zu sein, Geld in alte Unternehmen zu stecken. Man nennt solche Unternehmen Zombie-Unternehmen. Alte Unternehmen haben vermutlich auch ein geringeres Produktivitätswachstum als junge.

Dadurch wird der Strukturwandel unterdrückt. Dann neigen Regierungen dazu, sich aktiv in die Wirtschaft einzuschalten; sei es durch eigene wirtschaftliche Tätigkeit (zum Beispiel im Wohnungsmarkt) oder durch Subventionen für Unternehmen (zum Beispiel der Autoindustrie). Insgesamt verändert sich die Wirtschaft durch diese Aufweichung der Grenzen zwischen Staat und Wirtschaft: Marktwirtschaftliche Akteure haben es zunehmend schwerer, und rentensuchende Interessengruppen finden leichter Gehör bei den Regierungen. Die Folgen gerade für eine alternde Bevölkerung sind dramatisch. Nebenbei bemerkt: Die politische Landschaft kann dadurch auch erheblich durcheinandergewirbelt werden.

Noch ist Deutschland auf dem Weg in diese Zombie-Wirtschaft nicht weit fortgeschritten. Anzeichen sind aber – wie beschrieben – unübersehbar. Deshalb ist es so wichtig, dass neben der nationalen Wirtschaftspolitik auch die supranationale Geldpolitik gegen die strukturellen Verwerfungen vorgeht (zumal die konjunkturelle Delle ja nur schwach ausgeprägt sein wird). Sie muss mittelfristig dafür sorgen, dass der Zins seine Funktion als Preis für die Zeit (der Kapitalüberlassung) wieder erfüllen kann. Ein positiver Realzins (als der Nominalzins abzüglich der Inflationsrate) sorgt auch dafür, dass aus Sicht der Kapitalgeber sich unrentable von rentablen Anlagemöglichkeiten unterscheiden lassen. Dies ist wichtig, damit die Zombie-Unternehmen aus dem Markt ausscheiden können und neue, produktive Unternehmen eintreten können. Dies ist nicht nur ein deutsches Problem und deshalb eine Notwendigkeit der Geldpolitik aus Sicht aller Mitgliedsländer der Eurozone.

Dies ist nicht der einzige Vorteil einer normalisierten Geldpolitik. Staaten verschulden sich dann auch nicht mehr so leichtfertig, weil Regierungen wieder Zinszahlungen leisten müssen. Sichere Anlagen bekommen ebenfalls wieder einen Preis. Und schließlich werden die durch die Niedrigzinspolitik geschaffenen Ungerechtigkeiten beseitigt. Damit kann auch die Zustimmung zur Währungsunion in den Mitgliedsländern wieder gesteigert werden.

Es ist klar, dass die EZB den unter Draghi eingetretenen Irrweg nicht von heute auf morgen verlassen kann. Aber es ist durchaus möglich, heute schon anzukündigen, dass die Niedrigzinsphase mittelfristig ausläuft und die Geldpolitik dann ebenfalls die Monetarisierung der öffentlichen Haushalte beenden wird. Je länger die EZB damit wartet, desto schwieriger wird es politisch und desto mehr Zombie-Unternehmen werden in der Eurozone geschaffen. Das kann keiner wollen!

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