Datenbrillen: Mark Zuckerberg: „Das übertrifft alles, was wir heute kennen“

Mark Zuckerberg testet Holocake 2, die bislang schlankste VR-Brille seines Konzerns.
Wie sieht der Nachfolger des Smartphones aus? Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage ist längst zu einem Rennen zwischen den großen Hightechunternehmen geworden. Schließlich ist damit neues Milliardengeschäft verbunden, nicht nur für die Unterhaltungselektronikbranche. Sondern auch die Computer- und Softwarebranche, die die nötigen Werkzeuge und Inhalte für diese neuen Geräte erschaffen muss.
Meta-Chef Mark Zuckerberg hat sich in der Frage bereits entschieden: Es werden Datenbrillen sein, die Informationen in die Umwelt spiegeln oder künstliche Welten so realistisch darstellen, dass der Betrachter sie für natürlich hält, rein visuell zumindest. Gelingt die große Illusion, würde sie nicht nur viele Geräte wie Smartphones, Desktopcomputer, Laptops und Fernseher überflüssig machen. Sondern den Alltag verändern, Schule, Heimarbeit, Konferenzen, Reisen, Handel, Wohnen und Freizeit. Seit Jahren schwärmt Zuckerberg davon, „sich an jeden beliebigen Ort der Welt beamen zu können, ohne das Haus zu verlassen.“ Mehr noch: sich in virtuellen Welten mit anderen Menschen treffen zu können und sich trotzdem „körperlich präsent fühlen.“
Oder der Realität mit all ihren Problemen entfliehen, spotten Meta-Kritiker.
Klar ist: Noch sind heutige Datenbrillen wie die Oculus Quest 2 von Meta oder Microsofts Hololens 2 weit davon entfernt, ihre Nutzer zwischen Realität und Simulation zu täuschen. Die Kluft ist so groß wie zwischen den ersten bewegten Bildern und einem Imax-Kino. Zudem sind sie klobig, ein Headset und keine leichte Brille, die man stundenlang tragen kann.
Trotzdem ist man bei Meta, Microsoft, Apple und Google überzeugt, noch in dieser Dekade große Durchbrüche bei Datenbrillen zu schaffen. In den nächsten zwei Jahren könnten die ersten Vorläufer auf den Markt kommen. Wie weit die einzelnen Unternehmen sind, das ist ein großes Geheimnis. Apple arbeitet angeblich mit Zeiss an den sogenannten Apple Glasses. Microsoft forscht an einem Nachfolger für seine Hololens 2. Google, das vor zehn Jahren mit seinen Google Glasses den ersten Aufschlag für die neue Welt machte und mit der Version für normale Nutzer scheiterte, werkelt auf dem Campus in Mountain View an einer revolutionären Neuauflage, dem Projekt Iris. Meta hat sein Projekt Cambria genannt, einer Pro-Version seiner Oculus-Quest 2, die in wenigen Monaten präsentiert werden soll. Der Konzern behauptet, in dem Rennen am weitesten zu sein.
Meta-Chef Zuckerberg hat nun höchstpersönlich den Schleier über seinen Reality Labs gelüftet, zumindest ein bisschen. In der Sparte werden die Technologien für seine Metaversum-Vision entwickelt.
Gemeinsam mit dessen Chefwissenschaftler Michael Abrash beschreibt Zuckerberg, wo die größten Herausforderungen bei den Datenbrillen liegen. Und wie Meta sie anpackt. Warum er sich etwas in die Karten blicken lässt? Das hat vier Gründe.
Erstens: Meta will sich öffentlich an die Spitze setzen, bei einer Entwicklung, „die alles übertrifft, was wir heute kennen“, schwärmt Zuckerberg. Was Apple bei Smartphones gelungen ist, will Meta bei Datenbrillen schaffen.
Zweitens muss Zuckerberg seine eigenen Aktionäre von der Vision seines Metaversums, für das er gleich seinen Konzern umgetauft hat, überzeugen. Denn sie ist umstritten. Auf der jüngsten Hauptversammlung wurde dank Zuckerbergs Mehrheit zwar der Antrag abgeschmettert zu untersuchen, ob seine Metaversum-Fantasie nicht nur technisch, sondern auch ökonomisch Sinn macht. Schließlich will Meta über die nächsten zehn Jahr dort mindestens 100 Milliarden Dollar investieren. Die Zweifel allerdings bleiben - und die muss Zuckerberg ausräumen.
Drittens – und das scheint ihm am wichtigsten – will Zuckerberg Talente überzeugen, an seiner Vision mitzuarbeiten. „Es handelt sich um wirklich neue Technologie“, sagt der Konzernchef. Nicht etwas, was man seit Jahren kenne und nur weitentwickle. „Wir müssen ganz neue Wege beschreiten und dabei erforschen, wie das visuelle System des Menschen die Welt wahrnimmt.“ Bei Microsoft hat er mit seiner Entschlossenheit, seine Ideen mit einer Menge Geld voranzubringen, einige Koryphäen abwerben können. Die nun, angeblich mit großzügiger Antrittsprämie und doppelten Gehalt, für Meta arbeiten.
Viertens: Zuckerberg will seinem Konzern endlich wieder einen modernen Anstrich geben, die miesen Schlagzeilen über Datenschutzskandale und Hass und Hetze bei Facebook verdrängen.
Datenbrillen sind nur eine Herausforderung auf dem Weg. Aber die sichtbarste, muss ihre Leistung, Gewicht und Design doch ihre Träger vom „Internet auf der Nase“ überzeugen.
Intern haben Zuckerberg und Abrash den „visuellen Turing-Test“ zum Gradmesser gemacht. Er ist eine Anleihe an den Test des britischen Mathematikers Alan Turing, ob sich ein Computer glaubhaft als Mensch ausgeben kann. Auf virtuelle Realität übertragen also, ob die dort gezeigte von der realen Welt unterschieden werden kann. „Keine VR-Technologie ist derzeit in der Lage, diesen Test zu bestehen“, räumt Abrash ein.
Der Chefwissenschaftler und sein Geldgeber sehen vier Ansätze, um die große visuelle Herausforderung anzupacken. An ihnen forscht man seit sieben Jahren.
Einmal die Schärfe der Darstellung, die heute noch weit unter dem liegt, was das menschliche Auge leisten kann. Dann deren Farbtiefe und Kontrast, also die Helligkeit und Dunkelheit, die ebenfalls zu wünschen übrig lässt. Drittens die Tiefenschärfe, die es ermöglicht, schnell auf Gegenstände im Blickfeld zu fokussieren. Und schließlich die Verzerrungen, die beim Darstellen von Szenen auftreten können und so schnell wie möglich mittels Software korrigiert werden müssen, damit dem Betrachter nicht schwindlig wird.
So geht Meta vor: Bei der Schärfe beziehungsweise Auflösung des Bildes wollen die Forscher sich mit einem gängigen Trick behelfen. Statt die gesamte Umgebung darzustellen, wird über das sogenannte Eye Tracking nur das berechnet, was der Träger gerade im Blickfeld hat. Was im Zentrum seines Blickes steht, ist höher aufgelöst, der Rand weniger.
Über das Verfolgen des Blickes wird außerdem die Verzerrung dynamisch korrigiert. Dafür hat Meta einen Verzerrungssimulator entwickelt, über den sich die nötigen Algorithmen je nach Headset und verwendeter Optik berechnen lässt.
Die Tiefenschärfe, die für mehr Realismus sorgen soll, will Meta mit der sogenannten Varifocal-Technologie lösen. Bei heutigen VR-Darstellungen wird auf anderthalb bis zwei Metern fest fokussiert. In diesem Raum ist alles scharf - egal, wie weit es entfernt ist. Bei der Varifocal-Technologie agieren die Linsen dynamisch, also wie beim Autofokus einer Kamera. Es wird auf das scharf gestellt, was der Betrachter gerade anschaut, alles dahinter ist etwas verschwommen. Tests, so Abrash, hätten bestätigt, dass dies nicht nur realistischer wirke. Sondern der Betrachter auch nicht so schnell müde wird.
Damit eine Szene plastisch wirkt, müssen bei hellem Licht die Farben kräftig leuchten und im Schatten dunkler sein. Das Optimum bei einem Fernseher, erläutert Abrash, wäre eine Lichtstärke von 10.000 Nits. Hochauflösende Fernseher schaffen heute mehrere Tausend Nits. Bei der Oculus Quest 2, dem derzeitigen Meta-Spitzenmodell, beträgt sie hingegen nur maximal 100 Nits. Es liegen also Welten dazwischen. Lösen will Meta das mit weit stärkeren Lichtquellen, die über Speziallaser erzeugt werden. Abrash gesteht allerdings ein, dass diese erst noch zur Marktreife entwickelt werden müssen und man derzeit noch keinen passenden Hersteller gefunden habe.
Was mit derzeit verfügbarer Technologie möglich ist, zeigt Meta mit seinem Starburst Prototypen. Er erreicht 20.000 Nits, ist aber alles andere als portabel. Zuckerberg muss ihn bei der Präsentation mit beiden Armen hochstemmen.
Die größte Herausforderung ist, all diese Technologien in eine Brille zu verpacken, die nicht zu groß oder allzu schwer ist, nicht zu heiß wird und nicht gleich nach ein paar Minuten aufgibt, weil der Akku leer ist.
Wie schlank solch eine Datenbrille heute sein kann, haben die Meta-Forscher mit dem sogenannten Holocake-2-Prototyp demonstriert. Ihr auf der Nase sitzender Vorbau ist wesentlich flacher, weil über polarisierte Reflexion sowie holografische Linsen der Abstand zwischen Optik und Display verkleinert werden konnte. Genaue Masse und Gewicht nennt der Konzern nicht, aber Holocake 2 soll bereits voll funktionsfähig sein. Abrash glaubt, dass man diese Brille noch wesentlich kleiner machen, also tatsächlich im Bereich Sonnenbrille ankommen kann.
Noch ein Konzept ist hingegen der sogenannte Mirror Lake Prototyp. Hier haben die Meta-Forscher alle vier Forschungsansätze in einem Gerät vereint, das einer Skibrille ähnelt. Wann sie marktreif sein wird, das ist noch ungewiss. Denn die nächste große Herausforderung besteht darin, solchen Datenbrillen zu einem Preis zu offerieren, der normale Konsumenten nicht verschreckt. Zuckerberg will hier wie in der Technologiebranche üblich zunächst Spitzenmodelle für professionelle und gut betuchte Interessenten entwickeln, um sie später in günstigeren Versionen anbieten zu können. Meta plant, noch in dieser Dekade den Massenmarkt zu adressieren. Die ersten wirklich schlanken und leichten Datenbrillen werden für 2024 erwartet.
Einen ersten Vorgeschmack, was derzeit kommerziell möglich ist, wird das Projekt Cambria offerieren. Das Profimodell der Quest 2 soll angeblich mindestens 800 Dollar kosten, wenn sie im Spätsommer vorgestellt wird.
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