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  4. Neue BSI-Chefin: Claudia Plattner kann jederzeit in den Ruhestand entlassen werden

Neue BSI-Chefin startet auf SchleudersitzJetzt ist die Willkür an der Spitze der deutschen Cyberabwehr amtlich

Eigentlich wollte die Regierung ihre Cyberabwehr unabhängiger aufstellen. Nach dem Fiasko um Arne Schönbohm vollzieht Innenministerin Faeser jetzt die Kehrtwende und ändert das Beamtengesetz, um die neue BSI-Präsidentin jederzeit in den Ruhestand versetzen zu können.Thomas Kuhn 29.06.2023 - 11:58 Uhr

Claudia Plattner übernimmt am 1.7. das Amt der Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik.

Foto: ECB

Nach langer Vakanz an der Behördenspitze tritt Claudia Plattner am 1. Juli ihr Amt als neue Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) an. Damit hat Deutschlands wichtigste und bisher von Vizepräsident Gerhard Schabhüser seit Herbst 2022 nur interimistisch geführte Cybersicherheitsbehörde zumindest wieder eine komplette Führungsriege.

Doch das Amt, das Plattner – bisher Generaldirektorin für Informationssysteme, Cybersicherheit und Digitalisierungsprozesse bei der Europäischen Zentralbank – übernimmt, ist nicht mehr das, das es in den vergangenen Jahren war. Auch Plattners Rolle selbst wird eine andere sein als die ihres Ende 2022 von Bundesinnenministerin Nancy Faeser unter zweifelhaften Umständen zur Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV) abgeschobenen Vorgängers Arne Schönbohm.

Denn Plattner wird (anders als zuletzt Schönbohm) nicht als ordentliche Beamte beschäftigt, sondern auf Basis eines „außertariflichen Vertragsverhältnisses“, erklärte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums (BMI) der WirtschaftsWoche. Sprich: Sie übt ihr Amt zumindest vorläufig nur als Angestellte aus.

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Weit brisanter aber als das ist das Kleingedruckte ihres Vertrages.

Das nämlich sieht vor, dass Ministerin Nancy Faeser die neue Spitzenfrau des BSI jederzeit ihres Amtes entheben kann. „Dieser Vertrag kann unter den gleichen Voraussetzungen aufgelöst werden, unter denen eine vergleichbare Bundesbeamtin nach § 54 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden kann“, bestätigt die BMI-Sprecherin entsprechende Informationen der WirtschaftsWoche. Diese Regelung gilt für sogenannte „politische Beamte“ und soll es unter anderem erlauben, Chefs besonders exponierter Behörden etwa nach einem Regierungswechsel austauschen zu können. Oder auch bei zunehmender politischer Inkompatibilität, wie das beispielsweise beim Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen der Fall war.

Im Fall der neuen BSI-Chefin bedeutet die Neuregelung, dass Plattner, zu deren Amtseinführung Faeser am 17. Juli zu einem Festakt ins Bonner Maritim-Hotel lädt, unmittelbar von der Gunst ihrer Vorgesetzen abhängig ist. Bei einer allzu selbstbewussten oder politisch problematischen Amtsführung könnte Plattner unverzüglich kaltgestellt werden. Vorgänger Schönbohm hingegen war zuletzt ordentlicher Beamter und als solcher – außer beim Nachweis von schwerwiegenden Verfehlungen – nicht ohne Begründung aus seinem Amt zu entfernen.

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Kenner der Behördenstrukturen berichten denn auch, dass sich Schönbohm unter anderem in sicherheitsstrategischen Fragen mehrfach gegen Ansinnen der BMI-Spitze positioniert habe. So vertrat die Bonner Behörde etwa bei der Frage, ob Hard- und Softwareentwickler in ihre Produkte digitale Hintertüren, etwa für Zugriffe von Ermittlungsbehörden oder Geheimdiensten, einbauen sollten, eine deutlich restriktivere Haltung als das BMI. Und auch den Auftrag zur Öffentlichkeitsarbeit setzte das BSI wesentlich offensiver um als in Berlin offenbar mitunter gewünscht.

Zumindest gehörte die aktive Öffentlichkeitsarbeit des BSI mit zu den Kritikpunkten, mit denen Faeser Ende vergangenen Jahres begründete, warum sie den bisherigen Behördenchef zunächst mit einem Beschäftigungsverbot belegt und schließlich zur BAköV abgeschoben hatte. Auslöser des Bruchs war indes Wochen zuvor ein TV-Bericht des Satirikers Jan Böhmermann, der Schönbohm eine riskante Nähe zu russischen Geheimdienstkreisen unterstellt hatte.

Ein Vorwurf, der sich, wie das BMI inzwischen einräumen musste, trotz monatelanger interner Ermittlungen ebenso wenig erhärten ließ, wie andere zwischenzeitlich erhobene Vorwürfe etwa zu Fehlern bei der Amtsführung. Da hatte Faeser ihren missliebigen Behördenchef aber schon bei der Akademie im rheinischen Städtchen Brühl geparkt und den Präsidentenposten der BAköV extra dafür um zwei Gehaltsstufen hochsetzen lassen.

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Plattners Schleudersitz-Vertrag passt ins Kalkül der Ministerin. Die hatte bereits Mitte Juni die rechtlichen Voraussetzung dafür geschaffen, künftige Chefs des BSI geschmeidiger loswerden zu können als zuletzt Ex-Chef Schönbohm. Die entsprechenden Regelungen hatte die Bundesregierung dem Bundestag im Rahmen eines Gesetzes zur „Änderung des Bevölkerungsstatistikgesetzes, des Infektionsschutzgesetzes und personenstands- und dienstrechtlicher Regelungen“ zur Zustimmung vorgelegt. 

Inmitten von insgesamt 28 Seiten finden sich in der Bundestagsdrucksache 20/6436 sieben brisante Zeilen mit dem Ziel, die „Leitungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik in den Kreis der politischen Beamtinnen und Beamten“ aufzunehmen, „die jederzeit von der Bundespräsidentin oder dem Bundespräsidenten in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können“.

Selbst wenn die neue BSI-Chefin also, etwa nach einer befristeten Probezeit, verbeamtet würde, bliebe sie Dank der Neuregelung des Beamtengesetzes jederzeit kündbar. „Das bedeutet einen erheblichen Verlust an Unabhängigkeit für die Behörde und widerspricht klar dem Koalitionsvertrag“, monieren Kritiker von Faesers Vorgehen aus der IT-Szene. Tatsächlich hatten die Koalitionspartner 2021 beschlossen, „wir stellen das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unabhängiger auf und bauen es als zentrale Stelle im Bereich IT-Sicherheit aus“.

Mit mehr Unabhängigkeit fürs BSI und das Amt, das Claudia Plattner am 1.7. nun formell übernimmt, allerdings nach Einführung der neuen Schleudersitzregeln an der Behördenspitze aber nichts mehr zu tun.

Lesen Sie auch: Statt das Recht auf riskante Hackbacks zu fordern, sollte Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf smarte Schläge gegen Cybergangster setzen. 

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