Lieferdienste Wer wird das Gorillas für Medikamente?

Apotheken-Lieferdienst: Medikamente per Kurier. Quelle: Presse

First A, Phaster und Mayd versprechen Lieferungen aus der Apotheke binnen 30 Minuten. Das E-Rezept könnte die Start-ups beflügeln. Doch beendet ist die Bürokratie damit nicht – und noch etwas bereitet den Newcomern Kopfschmerzen.

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Die Bestellung erfolgt per App, wenige Minuten später steht der Lieferfahrer vor der Tür: Bei First A erinnert vieles an Lieferdienste wie Gorillas, Flink oder Wolt. Doch statt Essen aus dem Restaurant oder Supermarktartikel haben die Fahrradkuriere Medikamente im Gepäck. „Es ist absurd, dass man sich bisher krank in die Apotheke schleppen muss, während man sich sonst alles mögliche nach Hause bestellen kann“, sagt Gründerin Antonie Nissen.

Mit dem Start-up, das sie gemeinsam mit ihrem Bruder Leif Löhde gegründet hat, verspricht sie 30-Minuten-Lieferungen. Mehr als 2000 Artikel umfasst das Sortiment – es reicht von Kopfschmerztabletten über Wundsalben bis zu Kondomen.

Eilig haben es bei First A nicht nur die Kuriere. Das Gründerduo macht kräftig Dampf bei der Expansion. Gestartet war der Dienst im September in Berlin, vor vier Wochen kam München hinzu, vor zwei Wochen Köln, vor einer Woche Düsseldorf. „Alle großen deutschen Städte stehen bei uns auf der Agenda“, sagt Nissen. Unter den Geldgebern des Start-ups sind passenderweise unter anderem Mitgründer von Gorillas.

Die Gründer von First A Quelle: Presse

Der Grund fürs hohe Tempo: First A will Konkurrenten auf Abstand bringen. Denn mit demselben Lieferversprechen sind auch andere Start-ups unterwegs. In Berlin und Hamburg etwa ist bereits Mayd aktiv, am kommenden Dienstag soll München hinzukommen – das Start-up hat in einer Finanzierungsrunde kürzlich 13 Millionen Euro eingesammelt. In den Startlöchern steht Phaster, gegründet von zwei ehemaligen Mitarbeitern des Logistik-Start-ups Sennder. Dessen Gründer sind als Investoren an Bord. Am Nikolaustag soll der Dienst in Berlin starten, sagt Phaster-Mitgründer Lukas Pfaffernoschke. „München wird im Januar folgen, danach geht es in weitere Städte.“

Apotheken erwarten E-Commerce-Boom

Dass der Wettlauf der Start-ups gerade jetzt beginnt, ist kein Zufall. Zu Beginn des kommenden Jahres soll bundesweit das sogenannte E-Rezept eingeführt werden. Und das wird nach Überzeugung von Experten den Markt umkrempeln – weil es die Hürden, auch verschreibungspflichtige Medikamente online zu bestellen, deutlich senkt. „Apotheken, die keinen eigenen Lieferdienst anbieten, werden künftig sehr viele Kunden an die großen Internetversender verlieren“, prognostiziert Horst Blass, bei der Software-Plattform Pillentaxi für die Geschäftsentwicklung zuständig.

Bisher spielen Versandapotheken wie Docmorris und Shop Apotheke kaum eine Rolle bei Medikamenten, deren Kosten die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen. Ihr Anteil am 38 Milliarden Euro schweren Markt lag laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) bei gerade einmal 1,2 Prozent. Ein Grund dafür: Bisher müssen Kunden ihre Rezepte umständlich per Post einsenden. Mit dem E-Rezept fällt das weg.

First A, Mayd und Phaster wollen ihr Angebot dann auf verschreibungspflichtige Mittel ausweiten. Dabei inszenieren sie sich als Retter der lokalen Apotheken. Anders als die Vorbilder aus dem Bereich der Lebensmittellieferungen betreiben die Start-ups keine eigenen Lager. Stattdessen holen sie Medikamente bei Apotheken ab. Die Beratung, die der Gesetzgeber vorschreibt, wollen sie sicherstellen, indem sie Telefonate zwischen Kunden und Apothekern aufbauen. Mayd ist nach eigenen Angaben bereits Kooperationen mit 100 Apotheken eingegangen, ähnlich viele sind es bei First A. Das Versprechen: „Wir bauen ein Bollwerk gegen Docmorris auf“, sagt First-A-Gründerin Nissen.

Besonders enge Verbindungen mit den Partnern strebt Mayd an. Das Start-up, das Kunden auch spät abends sowie an Sonn- und Feiertagen beliefert, hat mehrere Stellen für Apotheker ausgeschrieben. Angestellt werden sollen diese aber von den Vor-Ort-Apotheken. „Wir nutzen unsere Recruiting-Erfahrung, um unseren Partnern zu helfen“, sagt Lukas Pieczonka, der mit seinem Mitgründer Hanno Heintzenberg zuvor das Immobilienportal McMakler aufgebaut hatte.

Streit um die Definition von Botendiensten

Für den Kooperationskurs gibt es rechtliche Gründe. Expresslieferdienste auf eigene Faust wären für die Start-ups nicht realisierbar. Versenden dürfen Medikamente in Deutschland nur lizensierte Präsenzapotheker. Anbieter wie Docmorris und Shop Apotheke umgehen die restriktiven Regeln, indem sie ihre Ware aus den Niederlanden verschicken – können so aber keine minutenschnelle Zustellung erreichen. Um zum Start des E-Rezepts Expresslieferungen anzubieten, umwerben auch die Digitalanbieter neuerdings Vor-Ort-Apotheken als Partner.

Die Start-ups gehen dabei unterschiedlich vor: Die Phaster-Gründer lassen durchklingen, dass sie vor allem mit Apotheken mit Versandlizenz zusammenarbeiten. Deutschlandweit gibt es davon laut ABDA mehr als 3000. Bringt Phaster auf seiner Plattform mehrere zusammen, kann das Start-up schon ein dichtes Netz knüpfen. „Wir werden auch die Logistik nicht selbst erbringen, sondern mit Partnern zusammenarbeiten“, sagt Pfaffernoschke.

First A und Mayd stellen die Kuriere dagegen selbst an. Die Lieferungen deklarieren sie als Botendienst, den auch Apotheken ohne Versanderlaubnis erbringen dürfen. Seit der Coronakrise fördert das Bundesgesundheitsministerium diese Botendienste sogar. Aktuell erhalten sie pro Auslieferung verschreibungspflichtiger Medikamente von gesetzlichen Krankenkassen 2,50 Euro. Strittig ist aber, ob die Zustellung an Dritte ausgelagert werden darf. „Der Einsatz externen Personals ist apothekenrechtlich unzulässig“, teilt die ABDA mit Verweis auf die Apothekenbetriebsordnung mit.

Zurückhaltend mit einer Bewertung ist das Bundesgesundheitsministerium. Dort heißt es, der Botendienst dürfe nicht durch „willkürlich eingesetztes“ Personal erfolgen. Die Boten müssten der Weisungsbefugnis der Apothekenleitung unterstehen. „Somit ist die konkrete Ausgestaltung des Botenverhältnisses relevant“, teilt eine Sprecherin mit. Die Auslegung der Vorschriften obliege aber den zuständigen Behörden der Länder. Die Start-ups beteuern, dass ihre Modelle rechtlich wasserdicht sind – denn ihre Kuriere seien an die Anweisungen der Apotheker gebunden.

Den Start-ups bläst Gegenwind entgegen

Pillentaxi-Manager Blass glaubt nicht, dass die Start-ups damit durchkommen. Er verweist auf die Apothekenaufseher: „Die Pharmazieräte haben eine sehr konservative Rechtsauffassung“, sagt Blass. Frühere Versuche seien reihenweise gescheitert. Pillentaxi war einst selbst mit dem Anspruch angetreten, ein „Lieferheld für Apotheken“ aufzubauen. Seit der Gründung 2012 hat das Unternehmen mehrmals den Besitzer gewechselt und gehört nun zum Maschinenbauer KLS Pharma Robotics aus Weiskirchen im Saarland.

Blass will die Plattform nun wiederbeleben. Die Idee: Er will Apotheken mit Botendienst dazu bewegen, mit ihrem Personal auch Lieferungen für Konkurrenten in der Region zu übernehmen. Vernetzt sein sollen sie über die Software von Pillentaxi. Der Dienstleister bündelt außerdem Fahrzeugbestellungen für die Autos mit einer auffälligen Riesenpille am Heck. „Die Apotheken geben bisher im Mittel sieben Euro pro Zustellung aus“, sagt Blass. Die Marge beim Medikamentenverkauf sei deswegen viel geringer als vor Ort. „Nur durch eine Bündelung wird das wirtschaftlich.“

Ein Vorteil aus Apothekersicht: Anders als bei den Start-ups zahlen sie zwar monatlich für die Software, müssen Pillentaxi aber nicht am Umsatz beteiligen. Zudem bleiben sie deutlich als Anbieter sichtbar. Bei den Plattformen der Start-ups bekommen die Kunden nur am Rande mit, wer ihre Bestellung überhaupt ausführt. Aus Sicht von First A kein Problem: „Viele junge Menschen sind ohnehin nicht markentreu, was Apotheken angeht“, sagt Gründerin Nissen. „Wichtig ist ihnen vor allem eine schnelle und zuverlässige Lieferung und die pharmazeutische Beratung.“

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Gegenwind bläst First A wenige Monate nach dem Start aber bereits entgegen. Wie die Deutsche Apotheker Zeitung berichtete, hat das Unternehmen gerade eine einstweilige Verfügung kassiert. Demnach darf das Start-up nicht den Eindruck erwecken, es betreibe selbst eine Apotheke – und es muss deutlich machen, von welchem Partner die Lieferung kommt. Man habe die geforderten Änderungen bereits umgesetzt, sagt Nissen. Sie betont: „Unser Geschäftsmodell wurde damit nicht angegriffen.“

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