Deutscher Innovationspreis Leisere Züge, schnellere Solaranlagen: Diese Ideen werden Deutschland verändern

Diese Ideen gehören zu den Finalisten beim Innovationspreis 2023: Neue Ausbildung für Solarinstallateuere, neue Testverfahren für Medizintechnik und Implantate, und die Neuerfindung des Gießens. Quelle: imago images

Die innovativsten Unternehmen Deutschlands im Jahr 2023 stehen fest. Diese Erfindungen von Start-ups, Mittelständlern und Konzernen machen die Welt ein Stück besser. Wir stellen die Finalisten vor.

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Krisen sind die Zeiten großer Innovationen. Insofern lohnt es sich in turbulenten Zeiten wie jetzt besonders, einen genauen Blick auf das zu werfen, was in den Entwicklungsabteilungen deutscher Konzerne so passiert, wenn gerade mal keine Lieferketten abreißen, Banken gerettet werden oder die Inflation die Planung ruiniert. Dann nämlich werden dort die Technologien entwickelt, die in ein paar Jahren unsere Industrie und unseren Alltag prägen dürften.

Die WirtschaftsWoche verleiht deshalb gemeinsam mit den Partnern Accenture, O2 Telefónica und EnBW einmal jährlich den Deutschen Innovationspreis. In diesem Jahr bereits zum 14. Mal. Neun Firmen sind nominiert, jeweils drei in den Kategorien Großunternehmen, Mittelstand und Start-Up. Aus ihnen wird eine hochkarätige Jury die zukunftsweisendsten auswählen – und Ende April die jeweiligen Sieger verkünden.

1. BMW: Neuerfindung des Gießens

Auch in Jahrtausende alten Technologien steckt noch Innovationspotenzial. Bereits seit über 4000 Jahren gießen Menschen Werkzeuge, Waffen oder Schmuck aus Metall. Traditionell gießt man Metall mittels Schwerkraftguss: das heiße, flüssige Metall, auch Schmelze genannt, wird von oben in die Gussform geschüttet und füllt diese langsam von unten nach oben aus. Bei komplexen Bauteilen, etwa mit teils dünnen Wänden, komplizierten Querschnitten oder Strukturen ergeben sich aber beim traditionellen Guss Probleme: Beim Gießen aus größerer Höhe etwa treten Turbulenzen auf; die Schmelze oxidiert, es kann zu Luft- und Schlackeneinschlüssen kommen, was die Festigkeit der Teile korrumpiert.

„Die Gehäuse für die Elektroantriebe in E-Autos bei BMW sind besonders komplex“, erklärt Karl Bauer, der bei BMW in Landshut zuständig für die Produktion verschiedenster Bauteile mittel Gusstechnik ist. Sie enthalten neben dem Elektromotor selbst unter anderem das Getriebe, die Wasserkühlung und die Leistungselektronik. Die Gehäuse müssen einerseits leicht sein, andererseits den großen Kräften des Elektroantriebs mit über 300 Kilowatt standhalten: „Es dürfen keine Lufteinschlüsse enthalten sein und die Gehäuse müssen zu 100 Prozent wasserdicht sein, sonst könnte Feuchtigkeit in die empfindliche Elektronik eindringen“, sagt Bauer. „Solche Gehäuse haben daher recht komplexe Geometrien mit unterschiedlichen Wandstärken; gusstechnisch sind sie eine Herausforderung“, sagt Bauer. 

Daher mussten die BMW-Techniker die traditionellen Gussverfahren optimieren. Seit 2014 experimentierten die Niederbayern mit alternativen Verfahren zum Schwerkraftguss, etwa Druckguss, fanden aber keines, das ihren Ansprüchen genügte. Die Lösung brachte schließlich ein in Landshut eigens entwickeltes, völlig neues Gussverfahren, das sie bei BMW „Injector Casting“ genannt haben; es ist inzwischen patentiert und wird für alle E-Auto-Motorengehäuse bei BMW angewendet. Dabei wird ein Injektor aus Keramik als permanenter Anguss verwendet. Der Injektor wird in die Gussform eingeführt, die Füllung wird durch Ziehen eines Verschlussstopfens gestartet und der Injektor wird während des Gusses nach oben aus dem Gussteil gezogen. „An Stellen, an denen mehr Material benötigt wird, kann der Injektor entsprechend länger verharren und so eine optimale Formfüllung sichergestellt werden", so Bauer.

Ein weiterer Vorteil der neuen Gießtechnik ist, dass „der heißeste Teil der Schmelze mit dem Injektor mitwandert und die Erstarrung entsprechend gelenkt werden kann“, erklärt Karl Bauer. Dadurch erstarrt das Bauteil gleichmäßiger von unten nach oben, "es entstehen weniger Lufteinschlüsse oder Erstarrungsfehler und man bekommt insgesamt bessere mechanische Eigenschaften“, erklärt Bauer. Das Tüfteln hat sich ausgezahlt. Bauer schätzt den Effizienzvorteil gegenüber anderen Gießverfahren auf zehn Prozent, an Material spare es sogar 40 Prozent ein. Weil die Gusstemperatur zudem niedriger ist als im traditionellen Verfahren, sparen die Landshuter auch noch Energie und CO2 ein. 

Auch, wenn Gießen ein sehr physischer Prozess ist: „Ohne die Digitalisierung wäre es nicht gegangen“, ergänzt Thomas Nöth, der in Bauers Team zuständig für die Prozessoptimierung ist. Mehr als 8000 Gussparamater wie Temperatur oder Erstarrungszeit überwacht Nöth ständig, perfektioniert dabei das Verfahren immer weiter. 

2. Siemens Mobility: Den Zug ohne Luft bremsen

Seit ungefähr 150 Jahren werden Eisenbahnbremsen mit Druckluft betrieben. Dafür braucht es im Wagon jede Menge schwere Technik. Einen Druckluftbehälter etwa, Schläuche, Rohre. Wenn der Lockführer dann zu bremsen beginnt, können je nach Länge des Zuges schon mal drei Sekunden vergehen, bis die Bremsen des letzten Wagons greifen. Doch das könnte in Zukunft schneller gehen, dank einer Erfindung aus der Eisenbahnsparte von Siemens Mobility.

Es sind Bremsen, die ganz ohne Druckluft funktionieren. Gesteuert werden sie durch ein elektronisches Signal, das nahezu mit Lichtgeschwindigkeit durch ein Kabel rast, von Waggon zu Waggon. Eine Art Motor sorgt am Rad dafür, dass die Bremszangen gut dosiert zupacken. Das sei nicht nur sicherer, insbesondere bei schlechten Schienenverhältnissen, sondern spare auch Geld, verspricht Andrea Estrada-Hein, die den Bereich der Eisenbahnkomponenten bei Siemens Mobility leitet. Wenn ein Zug losfahren will, muss erst einmal Druckluft abgelassen werden. Das dauert eine bis anderthalb Sekunden. Besonders bei eng getakteten U-Bahnen mit vielen Stopps summiert sich das über den Tag.

Zudem spart die neue Technik Zeit, bevor der Zug morgens in den Einsatz geht. Dann nämlich müssen Techniker die Bremsen überprüfen, den Druck in der Druckluftbremse messen. Das dauere rund zwölf Minuten. Bei den neuen elektronischen Bremsen sei der morgendliche Check ein Drittel der Zeit. Schließlich kann hier auch weniger kaputt gehen, sagt Estrada-Hein. Und wenn doch, sei die Reparatur billiger.

Als weltweit erster Betreiber werden die Wiener Verkehrsbetriebe das System in ihren U-Bahnen der neuen Linie U5 einführen. Im April dieses Jahres soll es losgehen. Jahrelang haben sie zusammen mit Siemens getestet und zertifiziert, um sicherzugehen, dass nichts passieren kann. Inzwischen hat sich Siemens mit der neuen Bremse auch auf Ausschreibungen von S-Bahnen beworben. Und womöglich kommt die Technik auch irgendwann im ICE zum Einsatz.

3. Siemens Mobility: Weniger Pfeifen, mehr Effizienz für Züge und Straßenbahnen

Halbleiterbausteine regieren die Welt – das gilt im Zuge der wachsenden Elektrifizierung vieler Industrien auch für die Bahnbranche. Eines der wichtigsten Bauteile von Elektrozügen und Straßenbahnen ist der sogenannte Traktionsstromrichter, auch Umrichter genannt. Er wandelt den von der Oberleitung kommenden Strom auf die für den Antriebsmotor passende Spannung um. „Der Umrichter ist gewissermaßen das Herz eines Zuges“, sagt Andrea Estrada-Hein, Leiterin des Bereichs Rail Components bei Siemens Mobility und gleich zweimal für den deutschen Innovationspreis nominiert. „Je energieeffizienter der Traktionsstromrichter und das Antriebssystem sind, desto weniger Strom muss aus der Oberleitung abgenommen werden.“

Genau hier hat Siemens Mobility angesetzt – und erstmals einen Umrichter aus dem neuen Halbleiterwerkstoff Siliziumkarbid (SiC) konzipiert und gebaut. Denn Chips aus herkömmlichem Silizium stoßen vor allem bei Kombinationen aus hohen Schaltfrequenzen und Strömen an ihre Grenzen. Siliziumkarbid kann größere Ströme und Frequenzen bewältigen, die daraus gefertigten Chips funktionieren auch bei höheren Temperaturen noch reibungslos. Das macht sie zur idealen Grundlage für sogenannte Leistungshalbleiter, die in Traktionsstromrichtern eingesetzt werden.

„Durch Siliziumkarbid sind unsere Antriebssysteme circa zehn Prozent effizienter als die früheren Siliziumchips“, sagt Estrada-Hein. „Zudem benötigen wir dadurch kleinere Transformatoren und kleinere Kühlsysteme.“  Getestet wurden die neuen Chips bereits im Jahr 2021 mit einer Straßenbahn bei den Stadtwerken München; ab Ende dieses Jahres steuern die Umrichter von Siemens Mobility 27 Batteriezüge in Baden-Württemberg. Neben der höheren Energieeffizienz sorgen die neuen SiC-Chips aber noch für eine weitere Verbesserung: Durch die höhere Taktfrequenz sinkt der Geräuschpegel der beim Anfahren deutlich, erläutert Estrada-Hein: „Das typische Pfeifen der Züge ist nur noch halb so laut wie früher.“

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