Energiepartnerschaft So soll Kanada Deutschlands Durst nach Wasserstoff stillen

Begehrt: Grüner Wasserstoff aus Kanada. Quelle: imago images

Die Pläne für Wasserstoffimporte aus Kanada werden konkret: E.On und Uniper wollen ab 2025 grünes Ammoniak importieren. In Zukunft will Kanada mehr grünen Wasserstoff produzieren als Katar heute Gas. 

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Auf der Suche nach neuen Rohstoffquellen haben die Energiekonzerne Uniper und E.On einen neuen Anbieter gefunden:  Die kanadische Entwicklungsgesellschaft Everwind Fuels will ab dem Jahr 2025 je 500.000 Tonnen grünes Ammoniak an die beiden Konzerne liefern. Hergestellt wird die Chemikalie aus Wasserstoff – per Schiff nach Deutschland transportiert, kann aus ihr auch wieder Wasserstoff gewonnen werden.

In Point Tupper in der kanadischen Provinz Nova Scotia soll dazu eine Produktionsanlage entstehen. Der Strom für die Elektrolyseanlagen, die grünen Wasserstoff herstellen, soll unter anderem aus Windkraftanlagen an Land gewonnen werden. Mit Hilfe von Offshore-Windkraft soll die Anlage später sogar zehn Millionen Tonnen Ammoniak pro Jahr produzieren.

Es ist die erste konkrete Vereinbarung im Rahmen einer neuen Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und Kanada, die Bundeskanzler Olaf Scholz und Premierminister Justin Trudeau am Dienstag besiegelt haben.

Und die Pläne für Wasserstoff-Projekte in Kanada reichen noch erheblich weiter: Das Unternehmen Green Hydrogen International hat am Mittwoch eine Wasserstoffproduktionsanlage in Nova Scotia angekündigt, die im letzten Ausbauschritt gigantische 500 Gigawatt Leistung bringen soll. Damit sollen 43 Milliarden Kilogramm Wasserstoff pro Jahr produziert werden – eine Energiemenge, die 73 Prozent des deutschen Strombedarfs oder den  Gasexporten Katars entsprechen soll.

Wasserstoff gilt als Schlüssel zum grünen Umbau unter anderem von Stahlerzeugung, Chemieindustrie, Luftfahrt und Schiffsverkehr. Und angesichts der Erdgaskrise wird der Umstieg auf Wasserstoff für Deutschland dringender denn je. Kanada, so die Hoffnung, soll bald große Mengen davon liefern. Was macht das Land so interessant – und wie schnell kann es wirklich Wasserstoff exportieren?

Großes Potenzial für grüne Energie

Kanada ist heute schon Vorreiter in der Wasserstofftechnologie. Das Land zählt zu den zehn größten Produzenten weltweit. Jährliche Erzeugung: drei Millionen Tonnen, allerdings noch so genannter grauer Wasserstoff aus Erdgas. Spitzenreiter China produziert davon 33 Millionen Tonnen pro Jahr. Mehr als 100 kanadische Wasserstoffunternehmen arbeiten an der grünen Zukunft des Gases, darunter die weltweit führenden Brennstoffzellenhersteller Ballard und Loop Energy und der Elektrolyseurproduzent Hydrogenics.

von Florian Güßgen, Stefan Hajek

Zudem ist das Potenzial für die Wasserstoffproduktion in Kanada enorm: Das Land, 28 mal so groß wie Deutschlands, hat guten Bedingunge für Solarenergie und Windstromerzeugung. Aktuell hat Kanada mit 14 Gigawatt installierter Leistung die achtgrößte Windkraftflotte der Welt. Obendrein laufen in Kanada 560 Wasserkraftwerke mit einer Leistung von 81 Gigawatt, so eine Studie des Energieberatungsunternehmens Adelphi. Auch hier gibt es noch großes Ausbaupotenzial.

Hinzu kommen ausgedehnte Küsten für die Offshore-Windkraft. Laut dem Verband Global Wind Energy Council kann Kanada auf dem Meer 9321 Gigawatt Kraftwerksleistung installieren (Deutschlands Ziel bis zum Jahr 2045: 70 Gigawatt). Laut Daten der US-Energiebehörde National Renewable Energy Laboratory dürfte das Potential der Windkraft an Land sogar noch größer sein.

Schon heute ist Kanada bei grünen Wasserstoffprojekten weit vorne. Seit 2021 ist in der Region Quebec eine der weltweit größten Elektrolyseanlagen mit 20 Megawatt Leistung in Betrieb, Projekte mit mehr als fünf Gigawatt Leistung sind in Planung, heißt es in dem Adelphi-Bericht. Die Berater schätzen das Exportpotenzial Kanadas auf 25 bis 35 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Zum Vergleich: Im Jahr 2030 will die EU zehn Millionen Tonnen Wasserstoff importieren.

In Neufundland, wo sich Trudeau und Scholz treffen, plant das Unternehmen World Energy GH2 eine der größten Anlagen für grünen Wasserstoff weltweit. Geplant ist eine Windfarm mit drei Gigawatt Leistung und eine Elektrolyseanlage mit 1,5 Gigawatt - was deutlich mehr Kapazität wäre, als weltweit heute insgesamt in Betrieb ist.

Hoffnung auf Milliardengeschäft 

Die Ambitionen der kanadischen Regierung sind groß: Bis 2050 will das Land einer der drei größten Produzenten von grünem Wasserstoff weltweit werden. Der Sektor soll dann umgerechnet 32 Milliarden Euro Umsatz machen und rund 360.000 Jobs schaffen. Steuererleichterungen und Fördergelder für die Dekarbonisierung in Höhe von 9,1 Milliarden Dollar für CO2-arme Treibstoffe sollen den Unternehmen helfen.

Soweit die Vision. Doch es gibt auch noch manche Hürde. So droht Streit mit Umweltschützern, die gegen neue Windparks und Pipelines protestieren. Auch gegen die 164 geplanten Windräder des Projekts in Neufundland äußern Anwohner Bedenken.

Zudem muss Kanada eine Exportinfrastruktur für grünen Wasserstoff aufbauen. Am praktikabelsten erscheint den Adelphi-Experten zunächst die Bindung des Gases in Ammoniak oder chemischen Trägerflüssigkeiten (LOHC), wofür eigene Anlagen geschaffen werden müssen. Ammoniakterminals sind an Kanadas Ostküste bereits vorhanden, Transportschiffe weltweit verfügbar.

Kanadas Öl- und Gasindustrie hat zudem Interesse, so genannten blauen Wasserstoff aus fossilen Rohstoffen zu produzieren, bei dem CO2 abgeschieden und unter der Erde gelagert wird. Doch es ist umstritten, wie sauber die Technologie wirklich ist – und bei den aktuell hohen Gaspreisen ist grüner Wasserstoff aus Ökostrom sogar heute schon billiger.

Im Jahr 2030 könnte Wasserstoff aus Kanada aufgrund niedrigerer Transportkosten preiswerter sein als aus dem entfernten Australien oder Argentinien, haben die Adelphi-Experten berechnet, aber teilweise teurer als aus Saudi-Arabien oder Marokko, wo reichlich Sonnenschein noch geringere Produktionskosten möglich macht.

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Über den nächsten Winter werden Lieferungen aus Kanada Deutschland jedenfalls nicht bringen. Der Aufbau der Projekte dauert Zeit, laut Adelphi sind die ersten größeren Anlagen in Kanada für die 2026 und 2027 avisiert. World Energy GH2 will immerhin schon 2024 mit ersten Exporten beginnen. Bis dahin ist noch viel zu tun.

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