Alternative zur E-Mobilität? „Unser Verfahren hat das Potenzial, zum neuen Standard in der E-Fuels-Produktion zu werden“

Flüssiges Gold? Immer mehr Start-ups treiben die Produktion von E-Fuels voran – und werden von Investoren mit viel Geld unterstützt. Quelle: PR

Während die Politik über das Für und Wider synthetischer Kraftstoffe diskutiert, treiben junge Technologiefirmen die Produktion voran – und werden mit Wagniskapital überschüttet. Ihre Zielmärkte sehen sie abseits des Automobilsektors.

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Etwa so groß wie eine Trinkflasche ist die transparente, auf einer Palette montierte Röhre. Ein Countdown läuft herunter, dann leuchtet sie lila auf. Im Hintergrund ertönen Jubelschreie. Ein Handyvideo zeigt, wie die Gründer von Refuel Green den ersten Prototyp ihres Reaktors in Betrieb nehmen. Was noch stark nach einer Spielerei im Chemielabor aussieht, soll schon bald helfen, in großem Stil E-Fuels herzustellen – synthetische Kraftstoffe, die ohne fossile Rohstoffe auskommen. „Mit unserem Verfahren werden wir die Herstellungskosten mehr als halbieren“, verspricht Mitgründer Sebastian Becker.

Seit Wochen wird in der Politik heftig um E-Fuels gestritten. Befürwortern gelten sie als Treiber der Verkehrswende: Autos, Schiffe und Flugzeuge könnten damit auch mit den herkömmlichen Antrieben klimaneutral unterwegs sein. Doch im aufwendigen Produktionsprozess geht bisher etwa die Hälfte der Energie, die der eingesetzte Ökostrom liefert, verloren. Per Elektrolyse muss zunächst Wasserstoff aus Wasser gewonnen werden, aus der Luft oder in Biogasanlagen wird CO2 eingefangen. Daraus wird dann ein „Synthesegas“ hergestellt und zu Kraftstoff umgewandelt.

Für die beiden letzten Schritte seien bisher komplexe Anlagen und hohe Temperaturen nötig, sagt Becker. Mit der sogenannten Plasmakatalyse will das Start-up ein alternatives Verfahren zur Marktreife bringen, das mit vergleichsweise simplen und günstigen Bauteilen auskommt. Das Gemisch aus Wasserstoff und CO2 werde in der Röhre ionisiert und mit Elektronen beschossen, das setze chemische Reaktionen in Gang, erklärt Becker. „Die Funktionsweise ist ähnlich wie bei einer Leuchtstoffröhre im Büro.“ Das Grundprinzip ist lange bekannt, doch der erreichbare Wirkungsgrad in chemischen Prozessen galt bisher als nicht konkurrenzfähig.

Becker und seine Partner nehmen jetzt für sich in Anspruch, das geändert zu haben. Freimütig zeigt der Gründer Fotos von Versuchsaufbauten im Labor. Eine Raffinerie hat eine Demonstrationsanlage bestellt, jüngst sind erste Investoren an Bord gekommen – darunter der High-Tech-Gründerfonds. 1,2 Millionen Euro sind ins Unternehmen geflossen. „Man muss niemandem mehr erklären, was E-Fuels sind – das hilft bei der Suche nach Geldgebern sehr“, sagt Becker.

„Pkws sollten nicht mit synthetischen Kraftstoffen fahren“

Damit geht es Sebastian Becker wie fast allen Gründern, die derzeit an synthetischen Kraftstoffen arbeiten. Scheinbar mühelos gelingt es ihnen, Industriepartner und Wagniskapitalgeber von sich zu überzeugen. Carbon One etwa will „grünes“ Methanol herstellen – und hat seit der Gründung 2022 schon insgesamt 13 Millionen Euro eingesammelt. Ineratec, eine Ausgründung des Karlsruher Instituts für Technologie, hatte im Januar vergangenen Jahres 22 Millionen Euro bekommen. In diesem Jahr folgte eine weitere Finanzierungsrunde. Das auf Elektrolyse-Anlagen spezialisierte Unternehmen Sunfire hatte 2022 gar knapp 195 Millionen Euro eingesammelt. Nun könnte das 2010 gegründete Unternehmen in einer neuen Runde erneut eine ähnliche Summe einsammeln.

Die Zuversicht der Geldgeber überrascht angesichts der ungewissen Zukunft von Autos mit Verbrennungsmotoren. Die EU plant ein Neuzulassungsverbot ab 2035 – die FDP um Verkehrsminister Volker Wissing will eine Ausnahme für E-Fuels durchsetzen

Doch ausgerechnet bei den Start-ups, die den synthetischen Kraftstoffen zum Durchbruch verhelfen wollen, sorgt die Debatte für Achselzucken. „Ich halte es ökonomisch für sinnvoll, auch im Automobilsektor technologieneutral vorzugehen“, sagt Ineratec-Mitgründer Philipp Engelkamp. Ein Verbrenner-Aus würde ihm als Unternehmer aber keine schlaflosen Nächte bereiten.



Klar gegen E-Fuels positioniert sich Carbon-One-Mitgründer Christian Vollmann, selbst FDP-Mitglied: „Pkws sollten nicht mit synthetischen Kraftstoffen fahren, da diese viel dringender in schwer zu elektrifizierenden Sektoren wie zum Beispiel der Schifffahrt gebraucht werden.“ Batteriebetriebene E-Autos seien aufgrund des wesentlich höheren Wirkungsgrades die bessere Alternative. Studien zufolge setzen sie 70 bis 80 Prozent der eingesetzten Energie in Bewegung um – bei mit E-Fuels betriebenen Verbrennern sind es nur um die 15 Prozent.

Durch ein Verbrenner-Aus würde der Markt für E-Fuels zwar kleiner. Doch in den Planungen der Gründer spielen Pkws ohnehin eine Nebenrolle: „Schon die Nachfrage aus der Schiff- und Luftfahrt ist gigantisch“, sagt Ineratec-Gründer Engelkamp. Zumindest für lange Strecken kommen batterieelektrische Antriebe dort nicht in Frage. Zugleich wächst auch in diesen Branchen der Druck, endlich den Weg Richtung Klimaneutralität einzuschlagen. So wird auf EU-Ebene derzeit über verbindliche Beimischungsquoten von biobasierten und synthetischen Kraftstoffen in der Luftfahrt verhandelt. Schon geringe Pflichtanteile würden einen riesigen Markt eröffnen: Alleine in Deutschland liegt der jährliche Kerosinverbrauch bei rund zehn Millionen Tonnen.

Abkehr vom konventionellen Anlagen-Design

Die Technologiefirmen versprechen, die Produktion von E-Fuels günstiger und effizienter machen. Dabei spezialisieren sie sich auf verschiedene Prozessschritte. Gemeinsam ist ihnen: Sie stellen die Logik der Chemiebranche auf den Kopf. Klassischerweise kommen dort riesige Anlagen zum Einsatz, die auf einen hohen Durchlauf ausgelegt sind. Die Start-ups setzen dagegen auf Produktionseinheiten, die auch in einen Container passen. „Um die Produktion von E-Fuels nach und nach hochzufahren, braucht man günstige, kleine Anlagen, die sich modular erweitern lassen“, sagt Refuel-Green-Chef Becker, der vor der Gründung in leitender Funktion bei Sunfire gearbeitet hat.

Sunfire rühmt sich dafür, den Elektrolyse-Prozess verbessert zu haben – und dadurch mehr Wasserstoff aus derselben Strommenge erzeugen zu können. Sowohl Interatec als auch Refuel Green und Carbon One setzen mit ihren Innovationen nach der Elektrolyse an: Sie kümmern sich also um die Umwandlung von Wasserstoff und CO2 in Kraftstoff. Während Refuel Green mit seinen Plasma-Röhren den ganzen Prozess verändern will, nutzt Ineratec die etablierte Fischer-Tropsch-Synthese: In den Reaktoren des Start-ups werden langkettige Kohlenwasserstoffe gebildet, die in weiteren Schritten zu E-Fuels umgewandelt werden.

Investitionen in E-Fuel-Forschung: Allein Ineratec hat bereits 13 Forschungsanlagen gebaut, hinzu kommen zwei industrielle Pilotanlagen im Emsland und in Hamburg.

Carbon One wiederum stellt aus Synthesegas nicht Diesel, Benzin oder Kerosin her, sondern Methanol. Als Kraftstoff gilt der Alkohol besonders in der Schifffahrt als zukunftsträchtig. Unter anderem die dänische Reederei Maersk setzt darauf – und unterstützt das Berliner Start-up als Investor. Mitgründer Vollmann betont, dass sich Carbon One aber nicht als reiner Treibstoffhersteller sieht: „Methanol dient in der Chemiebranche als Ausgangsstoff für unzählige Produkte, die mit unserer Hilfe klimaneutral produziert werden könnten.“ Die erste Pilotanlage soll in diesem Jahr in einem Chemiepark gebaut werden.

Ineratec hat bereits 13 Forschungsanlagen gebaut, hinzu kommen zwei industrielle Pilotanlagen im Emsland und in Hamburg. Im Bau ist eine Anlage im Industriepark Frankfurt Höchst, die jährlich 2.500 Tonnen oder 3,5 Millionen Liter E-Fuels produzieren soll.

Produktionsstandorte im Ausland sind attraktiver

Doch auch wenn die ersten Anlagen der deutschen Start-ups in der Heimat entstehen: Die Gründer sind überzeugt davon, dass ihre Zielmärkte auf Dauer im Ausland liegen. Sunfire etwa gehört dem Industriekonsortium Norsk E-Fuel an. Das will im Ökostrom-Land Norwegen eine Kraftstoff-Fabrik mit einem jährlichen Ausstoß von 12,5 Millionen Litern bauen.

„In Europa sind wir im Moment in der Lage, E-Fuels-Technologien mit einem Vorsprung anzubieten“, sagt Ineratec-Gründer Engelkamp. „Mit dem Vertrieb müssen wir aber dahin, wo die Bedingungen für Windkraft und Photovoltaik am besten sind.“ An diesen „Sweetspots“ sei es möglich, dasselbe Preisniveau wie für fossile Kraftstoffe zu erreichen. Mit einer Wirtschaftsdelegation will er bald nach Chile reisen – im windreichen Süden des Landes hat auch Porsche seine erste E-Fuels-Anlage gebaut. Bei der jüngsten Finanzierungsrunde hat sich mit Honda zudem ein einflussreicher asiatischer Konzern an Ineratec beteiligt. Der Expansionsdrang des Start-ups ist groß: „Wir wollen dauerhaft der weltweit größte E-Fuel-Produzent sein“, sagt Engelkamp.

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Auch Sebastian Becker vom Konkurrenten Refuel Green will sich nicht mit einer Marktnische zufriedengeben. „Unser Verfahren hat das Potenzial, zum neuen Standard in der E-Fuels-Produktion zu werden“, sagt der Gründer. Noch aber arbeitet das zehnköpfige Team daran, die Reaktor-Technologie zu verfeinern – und will im Sommer den Sprung aus dem Labor wagen. Dann soll die Pilotanlage beim ersten Raffinerie-Kunden in Betrieb gehen.

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