Nach monatelangen, oft zähen Verhandlungen soll die umstrittene unterirdische Speicherung von Kohlendioxid (CO2) in Deutschland erlaubt werden. Im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat haben sich Bund und Länder auf einen Kompromiss geeinigt. Laut der neuen Regelung soll die verpresste CO2-Menge auf 1,3 Millionen pro Jahr und Speicher begrenzt werden - zunächst waren drei Millionen Tonnen geplant. Zudem enthält der Kompromiss eine Klausel, nach der Bundesländer unter bestimmten Bedingungen Speicher in ihrem Gebiet verhindern können. Vor allem Schleswig-Holstein und Niedersachsen hatten auf eine solche Option gedrungen.
Vertreter der Energiebranche haben allerdings wenig Hoffnung, dass sich die sogenannte CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) in Deutschland durchsetzen wird - wegen der Bedenken von Umweltschützern und Wissenschaftler einerseits aber auch wegen der Proteste gegen die unterirdischen CO2-Lagerstätten. Sie fürchten, das unterirdisch gelagerte Gas könne nach Jahrzehnten unkontrolliert entweichen.
Bisher gibt es in Deutschland überhaupt nur eine Pilotanlage in Brandenburg. In dem Bundesland mit einem hohen Braunkohleanteil wollte der Energiekonzern Vattenfall für 1,5 Milliarden Euro ein CCS-Demonstrationskraftwerk bauen - nahm aber wegen des langen Gezerres um eine Regelung zunächst Abstand davon.
Zum Wegsperren zu wertvoll
Einfangen, in die Erde pressen und versiegeln - das CCS-Prinzip gilt unter einer wachsenden Zahl von Forschern ohnehin als Irrweg. Nicht nur, weil die Speichertechnik umstritten ist. Vor allem, so ihre Überzeugung, sei Kohlendioxid zu wertvoll, um es unter die Erde zu verbannen. Denn neue Technologien machen CO2 zu einem kostbaren Rohstoff für weite Teile der Industrie.
Die Palette der Einsatzmöglichkeiten reicht von Folien über Tupperboxen bis hin zu Zement. Schon heute wird CO2 zu Harnstoff für die Kunstdüngerherstellung und zu Aspirin verarbeitet. Schon bald könnte es auch - in einem mehrstufigen Verfahren mit Wasserstoff zu Sprit verarbeitet - Autos und Flugzeuge antreiben. Daher fordert mittlerweile auch ein Expertengremium der EU: Kohlendioxid dürfe nicht vergraben, sondern müsse recycelt werden.
Unterschätzter Rohstoff
Das ist neu. Bislang trauten Forscher der Idee, Kohlendioxid als Rohstoff zu nutzen, nicht viel zu. Das Recycling könne lediglich einen "geringen Beitrag von einem Prozent zur Reduktion der CO2 -Emissionen leisten", hieß es beim Verband der Chemischen Industrie noch vor wenigen Jahren. Nach Weltretten klang das nicht gerade - wäre aber dringend nötig. Schließlich summierte sich der Ausstoß von Kohlendioxid als Abgas zuletzt auf die kaum vorstellbare Menge von gut 30 Gigatonnen im Jahr.
Alessandra Quadrelli glaubt, dass die Wissenschaft die Möglichkeiten des Kohlendioxids bei Weitem unterschätzt. Die Leiterin des Lehrstuhls für Nachhaltigkeit forscht an der Universität Lyon - auch im Auftrag der EU - an Verwertungskonzepten: CO2 könnte in den nächsten Jahren zu einem der wichtigsten Grundstoffe der Chemieindustrie werden.
Quadrelli spricht daher von einer beginnenden Kohlendioxidwirtschaft - einer Wirtschaft, die den Stoff nicht nur ausstößt, sondern ihn zugleich produktiv zu nutzen weiß. Sie kalkuliert, dass sich mithilfe innovativer CO2 -Recycling-Technologien ein Zehntel der global erforderlichen Treibhausgasreduktion erzielen ließe. Das wäre etwa so viel, wie Unternehmen und Staaten mithilfe der strittigen CCS-Technik unterirdisch einlagern wollen.
Es ist ein plötzlicher Imagewandel, der dem Klimakiller den Schrecken nehmen könnte: Kohlendioxidrecycling sei ein "heißes Zukunftsthema", sagt auch CO2 -Expertin Martina Peters vom Chemiekonzern Bayer. Die Nobelpreisträger George Olah und Josef Stiglitz würdigen das Gas gar als künftigen Kraftstoff der Chemieindustrie.
Die Experten des US-Energieministeriums wollen diese Chancen nutzen. Sie haben seit 2010 rund 106 Millionen Dollar in die Vision einer Kohlendioxidwirtschaft gesteckt. Das Bundesforschungsministerium stellt ebenfalls seit 2010 100 Millionen Euro bereit. Nun steigen auch Chemieunternehmen in das Geschäft ein, darunter Evonik, BASF und Bayer - und mit ihnen Technologie- und Energiekonzerne wie Siemens, RWE und EnBW.