
Wirtschaft von oben #350 – Blühende Wüsten: Wieso Ägypten die Wüste begrünt
Balady ist von einem ägyptischen Esstisch kaum wegzudenken. Das traditionelle Fladenbrot ist Bestandteil der täglichen Ernährung von 100 Millionen Menschen. Die Hauptzutat: Weizen. Allein in der Erntesaison 2025/2026 wird der Wüstenstaat Schätzungen des US-Landwirtschaftsministeriums zufolge 12,7 Millionen Tonnen importieren müssen.
Ein Beispiel von vielen: Insgesamt ist Ägypten einer der größten Nahrungsmittelimporteure der Welt – und somit hochgradig abhängig. Letzteres wurde dem Land spätestens im Frühjahr 2022 nach Kriegsausbruch in der Ukraine bewusst. In der Erntesaison 2021/2022 kamen laut dem World-Trade-Institut noch mehr als 80 Prozent der ägyptischen Weizenimporte aus Russland und der Ukraine.
Die von Experten befürchtete Lebensmittelknappheit und damit verbundenen Unruhen blieben zwar aus. Die Lebensmittelpreise aber stiegen sprunghaft: Im Oktober 2023 war die reale Lebensmittelinflation in Ägypten laut Weltbank mit über 70 Prozent die höchste der Welt.
Seinen Ursprung hat das Problem im Inland: In Ägypten fehlt es an Agrarfläche. Über 90 Prozent des Landes bestehen aus Wüste. Um die verbleibenden Prozent des Landes entlang des Nil konkurrieren Menschen, Industrie und Landwirtschaft. Auf Satellitenbildern lässt sich das Nildelta gut erkennen: Es gehört zu den dicht bebautesten Regionen der Welt. Für den Nahrungsmittelanbau bleiben nur vier Prozent der Landfläche übrig.

Ein milliardenschweres Agrarprojekt der Regierung soll das ändern. Schon kurz nach seiner Machtübernahme im Jahr 2014 kündigte Präsident Abd al-Fattah as-Sisi an, bis 2027 rund 17.000 Quadratkilometer karge Wüste in blühendes Ackerland verwandeln zu wollen. Ein Großteil davon im sogenannten „New Delta“.
Das Projektgelände erstreckt sich unweit der nordwestlichen Küste über 10.000 Quadratkilometer. Auf Satellitenbildern lässt sich erkennen, wie in der Region in den letzten fünf Jahren jede Menge neue Felder angelegt wurden. Aus dem All betrachtet sehen die Anbauflächen aus wie grüne Punkte. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man ihre wahre Dimension: Die kreisrunden Felder haben einen Durchmesser von über 600 Metern.
Bilder: LiveEO/Sentinel
Ihre Form verdanken sie den rotierenden Bewässerungsanlagen, die sich wie Uhrzeiger übers Feld bewegen. Denn damit im Sand Weizen, Zuckerrohr, Obst und Gemüse überhaupt wachsen können, braucht es ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem.
Der Wassertransport in die Region ist aufwendig, energieintensiv und somit teuer. 5,3 Milliarden Euro soll das New-Delta-Projekt die Regierung laut dem ägyptischen Magazin „Egypt today“ insgesamt kosten. Ein Großteil davon dürfte in die Wasserversorgung der Agrarflächen fließen.
New Delta, Al Dabaa, Matruh, Ägypten
22.06.2025: Mithilfe solcher Pumpstationen wird Grundwasser an die Oberfläche befördert.
Bild: LiveEO/Maxar
Wasser schöpft man in der Wüstenregion aus drei Quellen. Die wichtigste befindet sich viele hundert Meter unter dem Boden: Das Nubische-Sandstein-Aquifersystem ist einer der größten natürlichen Grundwasserspeicher der Welt. Um an das Reservoir zu gelangen, hat die Regierung zahlreiche Pumpstationen gebaut, die das Wasser an die Oberfläche befördern.
Satellitenbilder zeigen außerdem oberirdische Kanäle, die dem Wasser den Weg durch den Wüstensand bahnen. Aus dem Osten schlängelt sich Wasser aus einem Seitenarm des Nils in die Wüste. Aus dem Süden liefert ein weiterer Kanal Wasser aus dem Mariout See in der Nähe der Stadt Alexandria.
Bevor das Wasser auf den Feldern landet, hat es ein anderes gemeinsames Ziel: El Hammam. Die Wasseraufbereitungsanlage ist mit ihrer Fläche von über 320 Quadratmetern die größte der Welt. In 15 Becken können täglich 7,5 Millionen Kubikmeter durch Industrie und Landwirtschaft verunreinigtes Wasser gereinigt werden.
Bilder: LiveEO/SPOT, LiveEO/Airbus/Pléiades Neo
Der hohe Wasserverbrauch ist einer der zentralen Kritikpunkte an dem Agrarprojekt. Um aus dem trockenen, nährstoffarmen Wüstensand fruchtbaren Boden zu machen, braucht es enorme Mengen. Wasser, das sich nicht zurückgewinnen lässt. Dabei ist es in Ägypten ohnehin knapp.
Schon 2023 ergab eine Untersuchung der ägyptischen Grundwasserressourcen anhand von Satellitenbildern, dass sich die Wasserknappheit unter der westlichen Wüste seit as-Sisis Amtsantritt verdoppelt hat. Nach Prognosen der Vereinten Nationen hat das Land in diesem Jahr die Marke zur absoluten Wasserknappheit überschritten.
Bilder: LiveEO/Airbus, LiveEO/Maxar, LiveEO/Airbus/Pléiades Neo
Zudem wird befürchtet, dass nicht nur der Klimawandel, sondern auch Äthiopiens neuer Nil-Staudamm an der Grenze zum Sudan die Wasserknappheit in den kommenden Jahren weiter verstärken könnte. In Äthiopien wird das Bauprojekt gefeiert, weil der Staudamm das Land mit Strom versorgt. In Ägypten dagegen wird es als Bedrohung angesehen. Dort fürchtet man, dass am Ende des Nils künftig weniger Wasser für Industrie und Landwirtschaft ankommt.
Auch Robin Walter, Agrarexperte des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, sorgt sich um den hohen Wasserverbrauch in der Region: „Das kann unvorhersehbare Folgen haben“, warnt er. Das Grundwasser, das für die Bewässerung der Felder genutzt werde, sei „die nächsten tausend Jahre erstmal weg“. Die Frage sei deshalb, inwieweit die Flächen langfristig bewirtschaftbar seien. Aus ägyptischer Sicht müsse man dieses Risiko jedoch eingehen: „Mit Effizienzsteigerung allein, lässt sich das Problem nicht lösen“, sagt der Experte: „Wenn das Land weniger abhängig werden will, muss es in der Wüste anbauen.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Ägypten versucht, die Wüste zu begrünen. Laut dem amerikanischen Ökonomen David Sims handle es sich beim New Delta um einen weiteren Versuch ohne großen Erfolg. In seinem Buch „Egypt’s Desert Dreams“ zieht er eine vernichtende Bilanz: Im Nordsinai seien die geplanten Kanäle und Pumpstationen nie fertig gebaut worden. In Toshka, im Süden des Landes, seien die Investoren abgesprungen, und nur ein Bruchteil der anvisierten Fläche sei heute erschlossen.
Immerhin: Nach Angaben der Regierung exportiert Ägypten inzwischen über 400 landwirtschaftliche Produkte in 167 Länder. Im ersten Halbjahr 2025 waren es Lebensmittel im Wert von 3,4 Milliarden US-Dollar – ein neuer Rekord.
Jirian City, Al-Dschiza Ägypten
10.10.2024: Bislang ist hier weder von Wohnhäusern, noch von einem Fluss etwas zu sehen: Die Bauarbeiten scheinen noch nicht begonnen zu haben.
Bild: LiveEO
„Bei früheren Projekten lag der Fokus stärker auf Exportprodukten“, erklärt Agrarexperte Walter die Verschiebung. Im ersten Anlauf sei es der Regierung darum gegangen, die Deviseneinnahmen durch Agrarexporte aufzustocken. In Toshka sei deshalb hauptsächlich Obst und Gemüse produziert worden. „Billiges Getreide gab es schließlich aus Russland“, erinnert der Agrarexperte. Das änderte sich erst 2022 mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs. Im neuen Delta soll verstärkt Getreide für das Inland gepflanzt werden.
Das Ergebnis aber ist für Ägypterinnen und Ägypter bislang unbefriedigend: Das Land ist noch immer stark verschuldet und die Verbraucher leiden noch immer unter horrend hohen Lebensmittelpreisen.
Vergangenes Jahr versprach as-Sisi, die Ausgaben für teure Projekte künftig zu kürzen, um die Schuldenlast des Landes zu senken. Trotzdem kündigte er vor wenigen Wochen ein neues Mega-Projekt an: Am Rande des New Deltas soll an einem der künstlich angelegten Flüsse eine neue Stadt entstehen. Jirian - was auf Arabisch „Fluss“ bedeutet - soll aus einem ausgedehntem Stadtzentrum bestehen, das Industrie, Logistikzentren und Wohnraum für „zwischen 2,5 und 3 Millionen Familien“ vereint.
Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 9. Oktober 2025. Wir zeigen ihn aufgrund des Leserinteresses erneut.
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