Wirtschaft von oben #109 – Flughäfen Luftfahrt im kollektiven Aufschwung? Diese 5 Beispiele sprechen eine andere Sprache

Auf dem Flugzeugfriedhof in Alice Springs in der australischen Wüste stehen derzeit sogar mehr Flieger als noch zum vorläufigen Höhepunkt der Krise im Dezember. Quelle: LiveEO/UP42

Mit dem nahenden Sommer schalten die Airlines wieder auf Expansion und holen ihre Maschinen von den Abstellplätzen. Exklusive Satellitenbilder zeigen jedoch, dass nicht auf allen Parkplätzen die Zahl der Jets abnimmt. Und dahinter stehen fünf zumindest teilweise tragische Geschichten. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Wenn Carsten Spohr über die Aussichten seiner Lufthansa spricht, ist seine Stimmung viel positiver als noch zu Ostern. „Wir rechnen mit einer deutlichen Erholung im zweiten Halbjahr“, so der Manager. Dafür will er im Sommer wieder mehr als die Hälfte seiner Flotte in der Luft haben. Der konzerneigene Billigflieger Eurowings will im Sommer sogar 80 Prozent seiner Maschinen betreiben.

Diese positive Einstellung teilen derzeit viele Airline-Chefs. Laut einer aktuellen Übersicht des Schweizer Datendienstleisters CH-Aviation haben viele der großen Fluglinien einen beträchtlichen Teil ihres monatelang stillgelegten Maschinenparks entmottet. Bei den drei chinesischen Marktführer Air China, China Eastern und China Southern liegt der aktive Anteil gar bei bis zu 98 Prozent. Darum ist die Zahl der angebotenen Flugsitze auf dem höchsten Stand seit Beginn der Coronakrise.

Doch ein genauer Blick auf die Flugzeugparkplätze weltweit zeigt: Der Aufschwung ist extrem ungleich verteilt. Exklusive Satellitenbilder von LiveEO belegen, dass vielerorts die Zahl der ruhenden Jets zurückgeht (siehe auch Tabelle „Friedhof statt Parkplatz“). Das gilt vor allem auf den weltgrößten Abstell-Airports im wüstenartigen Südwesten der USA wie Marana. Andere Aufnahmen wiederum zeigen, dass an Flugzeugfriedhöfen wie Alice Springs in der australischen Wüste sogar mehr Gerät steht als noch zum vorläufigen Höhepunkt der Krise im Dezember.



Von Teruel in Spanien über Victorville bei Los Angeles bis nach Alice Springs ist allen eines gemeinsam. Das Klima ist ideal für das Warten auf die Rückkehr in den Liniendienst oder die Zerlegung. „Weil die Luft warm und trocken ist, leiden die Flugzeuge kaum unter Korrosion“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Dazu gibt es anders als in den Wüsten von Afrika oder der arabischen Halbinsel weniger Sand, der in die empfindlichen Teile der Maschinen dringen könnte und vor einer neuerlichen Nutzung mühsam entfernt werden müsste.

Doch an praktisch jedem der „Boneyards“ genannten Orte gibt es auch eine mehr oder weniger tragische Geschichte.

Roswell


Fallbeispiel Roswell International Air Center im US-Bundesstaat New Mexico: An dem vermeintlichen UFO-Hotspot sowie in Kingman und Tucson im nahen Arizona stellen vor allem die großen Linien American Airlines, Delta Airlines und Southwest ihre Jets ab. Für die geht es eigentlich bereits bergauf. Insgesamt haben sie bereits mehr als 80 Prozent ihrer Flieger zurück in den Dienst geholt. Doch die Stellplätze in Roswell, Kingman und Tucson leeren sich deutlich langsamer.
Das rührt zum einen daher, dass viele Airlines nun endlich in größeren Stückzahlen die lange mit einem Flugverbot belegte Boeing 737 Max bekommen haben. Der Problemflieger, der seinen Hersteller an den Rand des Ruins trieb, parkte oft an anderen Orten, darunter auch der Angestellten-Parkplatz von Boeing in Seattle. Viele ihrer älteren Maschinen ließen die US-Riesen darum erstmal in der Wüste.

Gleich daneben bleiben auch Flieger aus dem benachbarten Kanada stehen. Obwohl das Land größer ist als die USA und Inlandsreisen weitgehend möglich sind, ist der Flugverkehr dort noch nicht wieder in Gang gekommen. Die lokalen Linien leben vor allem von Verbindungen in die USA und nach Übersee. Und in diese Richtungen sind die Grenzen zumindest für Flugreisende noch weitgehend verschlossen. Darum haben Air Canada und andere im Schnitt mehr als die Hälfte ihrer Jets geparkt – und mangels eigener, ganzjährlich trockener Plätze eben in den US-Wüsten.

Alice Springs


Im rund ein Dutzend Flugstunden entfernten Alice Springs sind die Stellplätze aus einem ähnlichen Grund voller als im Winter. Der Asia Pacific Aircraft Storage (APAS) ziemlich genau am wüsten Mittelpunkt Australiens beherbergt vor allem Großraumjets der heimischen Qantas, von Singapore Airlines und von Cathay Pacific aus Hongkong. Alle drei haben vor der Coronakrise davon gelebt, Reisende aus dem asiatischen Ausland nach Down Under und zurück zu fliegen. Doch seit der fünfte Kontinent und viele Länder die Grenzen fast komplett geschlossen haben, stellen sie die Mehrzahl ihrer großen Maschinen in die Outback genannte Wildnis.

Das soll noch nicht das Ende sein. In weiser Voraussicht hat APAS-Chef Tom Vincent bereits vor der Pandemie mit einem Ausbau begonnen und kann nun bis zu 150 Flieger im roten Staub verteilen. Und weil die Coronakrise zwar in China vorbei zu sein scheint, aber nicht in anderen Ländern wie Indonesien oder Vietnam, könnte APAS vom Leid der Region profitieren und bald voll werden. Anders als deutsche Flughäfen ist in der Einöde ein Ausbau kein Problem, zumal jeder neue Jet rein rechnerisch mindestens ein halbes Dutzend neue Jobs bringt.

Teruel


Der traurigste Ort für Flugfans in Europa ist Teruel in Spanien. Das gilt vor allem für die Freunde des Airbus-Super-Jumbo A380 – und alle, die über Anlagegesellschaften in ihn investiert haben. Denn für Dutzende Exemplare des europäischen Vorzeigejets wird die Piste auf etwa halbem Weg zwischen Madrid und Barcelona wahrscheinlich zur letzten Ruhestätte. Die Lufthansa hat dort derzeit knapp ein Dutzend Exemplare ihres Flaggschiffs abgestellt. Andere ziehen nach. Sie werden wohl fast alle ebenso wenig in den Liniendienst zurückkehren wie viele der Airbus A340.

Dahinter steht die wohl größte Veränderung des Flugverkehrs in der Coronazeit. Zum einen werden die Riesen nicht mehr gebraucht, weil der Langstreckenverkehr noch bis mindestens 2026 geringer ausfallen wird als vor der Krise. Dazu sind die Maschinen technisch überholt. Sie verbrauchen pro Passagier bis zu 30 Prozent mehr Sprit und sind deutlich lauter als neue Modelle wie der Airbus A350 oder der Boeing Dreamliner 787. „So sehr die Kunden auch die A380 lieben, ist das angesichts des in Zukunft noch höheren Stellenwerts von Nachhaltigkeit nicht mehr zu vermitteln“, so ein führender Lufthanseat.

Berlin


Den größten Fortschritt in Richtung Normalität erlebt Engelbert Lütke Daldrup. Der Chef des Berliner Flughafens (BER) hatte lange Zeit mehr oder weniger die meisten geparkten Jets aller deutschen Airports auf seinem Gelände. Doch nicht zuletzt weil seine Hauslinien Easyjet und mehr noch die Lufthansa-Tochter Eurowings in der deutschen Hauptstadt um den Rang des Marktführers wetteifern, fahren beide ihre Flugpläne wieder hoch. Auch deshalb sank die Zahl der geparkten Jets seit Januar von gut 70 auf derzeit nur noch knapp 50 – und damit rein prozentual deutlich stärker als anderswo.

Doch so richtig freuen kann das Lütke Daldrup nicht und erst recht nicht Aletta von Massenbach, die heutige Finanzgeschäftsführerin und designierte Chefin des BER. Denn ohne die geparkten Flieger entgehen dem Airport jeden Tag laut Schätzungen zigtausende Euro Parkgebühren. Und die kann die finanziell angeschlagene Betreibergesellschaft dringend brauchen nach den jahrelangen Verspätungen beim Bau und den dadurch extrem hohen Schulden. Zumal ungewiss ist, was der steigende Flugbetrieb an Geld wieder einspielt. Denn den Neustart befördert der Airport auch durch Marketingbeihilfen für neue Strecken. „Darum bleibt der BER von schwarzen Zahlen weit entfernt“, so ein Kenner des Unternehmens.

Twente


Wenn ein Flughafen etwas wissen sollte, dann wer bei ihm landen und wieder starten darf. Der Enschede Airport Twente im Südosten der Niederlande hat das offenbar vergessen. Um sein betriebliches Minus von zuletzt bis zu 350.000 Euro pro Jahr zu drücken, erlaubte er der Lufthansa für bis zu zwei Jahre mindestens ein halbes Dutzend ihrer, in der Coronazeit überzähligen, Großraumflieger abzustellen. Doch kaum waren die Jumbojets vom Typ Boeing 747 gelandet, ging der Ärger los. Offenbar hatte der in der Branche als ENS abgekürzte Platz kein Sicherheitszertifikat, um so schwere Maschinen parken zu lassen.

Auch zum Start für einen Flug zu einem anderen Platz fehlte dem ENS die Zulassung. Schließlich gab sich die zuständige niederländische Aufsichtsbehörde für menschliche Umwelt und Verkehr (ILT) einen Ruck und erlaubte den Start der Jumbos bis Ende Juni. Doch nun wollte die Lufthansa nicht mehr als drei der Jets abziehen. Sie drohte dem Airport bei einem zwangsweisen Abflug mit einer Klage. Wahrscheinlich weil sie anderswo mehr für das Abstellen zahlen müsste.


Der Ausgang ist noch ungewiss, außer dass es für den Airport ein schlechtes Ende nehmen dürfte. Denn statt der erhofften Mehreinnahmen drohen ihm nun zusätzliche Kosten von geschätzt bis zu einer Million Euro.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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