Wirtschaft von oben #137 – Japan Warum Japan so viele neue Kohlekraftwerke baut

An der Küste von Yokosuka, rund 100 Kilometer südlich von Tokio, entsteht ein gigantisches Kohlekraftwerk. Quelle: LiveEO/Skywatch

Deutschland hat den Ausstieg aus der Kohle für das Jahr 2038 beschlossen. Währenddessen baut Japan gerade zahlreiche riesige Kohlemeiler, wie exklusive Satellitenaufnahmen zeigen. Ist das irre angesichts der weltweiten Klimaziele? Die Regierung in Tokio begründet ihren Sonderweg – mit eher schwachen Argumenten. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Anfang November auf der Klimakonferenz in Glasgow versprach Premierminister Fumio Kishida eine Verringerung der japanischen Treibhausgase bis 2030 um fast die Hälfte. Doch das Wort „Kohle“ kam in seiner Rede kein einziges Mal vor. Auch den Aufruf von 40 Staaten zum Verzicht auf Kohleenergie ab den 2030er-Jahren wollte Kishida nicht unterschreiben.

Denn die Regierung in Tokio verfolgt einen Sonderweg. Statt aus der Kohle auszusteigen, will man sie zunächst effizienter verstromen und dann schrittweise durch Ammoniak und Wasserstoff ersetzen. Die Strategie präsentiert der mächtigste Strommanager Satoshi Onoda als Wortspiel: „Wir unterscheiden zwischen einer kohlefreien und einer kohlenstoffarmen Gesellschaft.“ Onoda ist Präsident von JERA, ein Gemeinschaftsunternehmen der beiden Stromriesen Tokyo Electric Power, bekannt als Tepco, und Chubu Electric Power.

Die irre Konsequenz dieser Energiepolitik: Japan baut gerade riesige Kohlekraftwerke in Serie. Laut „Japan Beyond Coal“, einem Verband von Bürgergruppen, befinden sich derzeit acht große Meiler im Bau. Das größte Projekt entsteht in Yokosuka am südwestlichen Rand der Bucht von Tokio. Auf exklusiven Satellitenbildern von LiveEO sind die zwei Kraftwerksblöcke zu sehen. Die Blöcke mit einer Gesamtleistung von 1,3 Gigawatt werden 7,3 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen. Alle acht kommenden Meiler mit insgesamt 5,5 Gigawatt blasen knapp 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre – das entspricht knapp drei Prozent aller japanischen Emissionen im Jahr 2020.


Japan ist der fünftgrößte Treibhausgas-Produzent weltweit. Durch die Atomkatastrophe von Fukushima 2011 war der Ausstoß stark angestiegen. Alle Atomkraftwerke wurden für eine Sicherheitsüberprüfung abgeschaltet, erst jeder vierte Meiler darf wieder laufen. Den fehlenden Atomstrom ersetzen die Energieunternehmen vor allem durch Elektrizität aus fossilen Quellen, in der Regel Öl und Gas. Zuletzt stammte Japans Strom zu mehr als 76 Prozent aus Öl, Kohle und Flüssiggas.

Die Kohle erzeugt rund ein Viertel der Elektrizität, nahezu unverändert gegenüber vor der Fukushima-Katastrophe. Eigentlich hätte sich an diesem hohen Kohlenanteil bis 2030 nichts ändern sollen, das schwarze Gold definierte man als wichtige Quelle für die Grundlast. Doch im Herbst 2020 beugte sich die Regierung dem internationalen Druck und versprach eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050. Im ersten Schritt will Japan seine Emissionen bis 2030 um 46 Prozent gegenüber 2013 verringern. Zuvor strebte man nur ein Minus von 26 Prozent an.


Bis zum Ende des Jahrzehnts will Japan daher auch den Anteil der Kohle an der Stromproduktion verringern. Aber auf ein genaues Ziel verzichtet die Regierung. Stattdessen ordnete sie an, dass der Wirkungsgrad jedes Kohlekraftwerks bis 2030 auf 43 Prozent steigen muss, damit der Ausstoß an Treibhausgas je generierter Strom- und Wärmeleistung sinkt. Der Verband der Stromversorger nannte diese Vorgabe ein „unglaublich hohes Ziel“.

Die Betreiber sind dadurch gezwungen, jüngere Kraftwerke zu modernisieren. Die neuesten Brennkammern und Turbinen arbeiten mit Vergasung und extrem hohen Drücken – und japanische Kraftwerksbauer gehören zu den führenden Produzenten dieser Technologien.

Zugleich müssen voraussichtlich etwa 100 der aktuell 162 Kohlekraftwerke ganz abgeschaltet werden. Eine Modernisierung ist entweder nicht möglich oder sie rechnet sich nicht. Einen Teil dieser Kapazität wollen die Betreiber jedoch durch hocheffiziente Kohlemeiler ersetzen – hier liegt ein treibender Faktor für den aktuellen Bauboom.


Doch die Neubauten lassen Japan wie einen großen Klimasünder aussehen. Daher zog Premier Kishida in Glasgow das Zauberwort von den „Null-Emissions-Wärmekraftwerken“ aus dem Hut. Gemeint ist: Japans Kohlemeiler sollen irgendwann einmal Ammoniak und Wasserstoff statt Kohle verfeuern. Diese Gase will man klimaneutral gewinnen, um die CO2-Bilanz zu verbessern – entweder mit Hilfe von Grünstrom oder aus australischer Braunkohle inklusive der Speicherung von Kohlendioxid im Boden.

Doch bei näherem Hinsehen überzeugt diese Zukunftsperspektive nicht. Denn selbst die Brennkammern der modernsten Kohlekraftwerke erlauben aus technischen Gründen derzeit nur eine Beimischung von Ammoniak und Wasserstoff. Daher bezeichnete Greenpeace Japan die Mitverbrennung von Ammoniak als „experimentell“ und „im technologischen Anfangsstadium“. Nach Ansicht von Greenpeace setzt die Regierung nur auf diesen Weg, um die Lebensdauer der Kohlekraftwerke zu verlängern und die Stromversorger und Turbinenbauer wirtschaftlich zu unterstützen. Der aktuelle Energieplan für 2030 sieht bisher jedenfalls nur einen Anteil von Ammoniak und Wasserstoff von einem Prozent vor.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im Dezember 2021. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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