Wirtschaft von oben #146 – Sanktionen gegen Russland Problem für Lieferketten: Hier baute Russland seinen Luftfracht-Joker auf

Fünf AirBridgeCargo-Boeings am Frachtdrehkreuz Moskau-Scheremetjewo. Quelle: LiveEO/Maxar

Beim Transport von Luftfracht zwischen Europa und China spielen Russland und die Volga-Dnepr Airlines inzwischen eine zentrale Rolle. Transitflughäfen wurden massiv ausgebaut. Der Ukrainekrieg und Sanktionen dürften den ohnehin gebeutelten Lieferketten nun erneute Probleme bringen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Es ist eine deutliche Reaktion nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine: Deutschland und die EU sperren ihren Luftraum für russische Flugzeuge. Mit dem Schritt trifft Europa aber nicht nur den Aggressor, sondern auch sich selbst – mit wohl spürbaren Auswirkungen auf hiesige Lieferketten. Nicht nur beim Gas, auch in der Logistik zwischen Europa und Asien spielt Russland inzwischen eine gewichtige Rolle. Das zeigen eindrücklich unter anderem Satellitenaufnahmen von den Transitflughäfen Krasnojarsk und Moskau-Scheremetjewo. Immerhin fünf Prozent der deutschen Luftfrachterlandungen stammen derzeit von russischen Flughäfen. Hinzu kommt nun auch noch die Reaktion aus Moskau: Flugzeuge aus Deutschland und 35 weiteren Staaten dürfen künftig nicht mehr über Russland fliegen. Das teilte die russische Luftfahrtbehörde Rosawiazija am Montag mit.

Eine zentrale Rolle im Frachtgeschäft haben Russlands größte private Frachtline Volga-Dnepr Airlines und deren Tochter AirBridgeCargo. Sie transportieren inzwischen signifikante Mengen Luftfracht zwischen Asien und Europa. In Frankfurt gilt AirBridgeCargo als Nummer zwei hinter Lufthansa Cargo. Und am Drehkreuz Leipzig/Halle, wo neben mehreren riesigen Antonov-Flugzeugen von Volga-Dnepr auch 17 Boeing-747-Frachter und ein neuer Boeing-777-Frachter von AirBridgeCargo landen, ist das von diesen Linien transportierte Volumen einem Flughafensprecher zufolge sehr bedeutend. Die Airline betreibt in Leipzig sogar eine eigene Wartungstochter, die die Boeing- und Antonov-Jets in Stand hält.

Zudem flog AirBridgeCargo im Frachtlinienverkehr bisher auch nach London, Amsterdam, ins belgische Lüttich, nach Mailand und nach Madrid. Die europäischen Städte verbindet das Unternehmen vor allem mit großen Metropolen in China sowie Zielen wie Seoul und Singapur. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, Lieferketten auf beiden Seiten am Laufen zu halten.

Weil AirBridgeCargo keine EU-Airline ist, ist sie im Linienbetrieb auf russische Flugrechte angewiesen. Die Jets müssen Zwischenstopps in Russland einlegen, erklärt ein Brancheninsider, der das Unternehmen gut kennt. Zentrale Hubs sind dabei der Moskauer Flughafen Scheremetjewo und der Airport der sibirischen Stadt Krasnojarsk. „In Moskau sind heute wahrscheinlich 90 Prozent des Frachtvolumens Transit“, sagt der Insider. Der Rest sei Inlandsverkehr.

Tatsächlich zeigen neue Satellitenbilder von LiveEO, dass auf dem Moskauer Flughafen in den vergangenen Jahren die Kapazitäten durch ein riesiges neues Frachtterminal deutlich ausgebaut wurden, an dem den Aufnahmen zufolge besonders die AirBridgeCargo-Flieger abgefertigt und betankt werden.


Von zunehmender Bedeutung war bis zuletzt auch der Hub in Krasnojarsk. Im vergangenen März hatten Volga-Dnepr Airlines und die Region einen Vertrag unterschrieben, den Flughafen weiter zu einem internationalen Drehkreuz auszubauen. Getrieben unter anderem durch die Coronapandemie hatte sich auf dem Flughafen das Frachtvolumen von 2019 auf 2020 verfünffacht.

Satellitenaufnahmen zeigen nun, dass der Airport in den vergangenen Monaten eine nagelneue Rollbahn bekommen hat. Dadurch müssen etwa landende Flugzeuge nicht mehr auf der Startbahn wenden, um zu ihrer Parkposition zu fahren. Maschinen können so in kürzeren Abständen starten und landen.


Krasnojarsk profitierte dabei auch von der Null-Covid-Strategie der chinesischen Regierung. Die Piloten dürfen die Maschinen in China nicht verlassen, weil sie sonst in eine mehrtägige Quarantäne müssten. Zugleich ist die Entfernung deutlich geringer als nach Moskau. So können die Piloten schneller Ruhezeiten antreten, sind entsprechend schneller wieder einsetzbar, erklärt ein Brancheninsider.

Durch einen Trick ist es Volga-Dnepr gar gelungen, eine deutsche Fluglinie namens Cargologic zu gründen, die 2019 ein europäisches Luftverkehrsbetreiberzeugnis (AOC) bekam. Einer der zwei Gründer von Volga-Dnepr, Alexey Isaikin, der ursprünglich aus der russischen Flugzeugbauerstadt Uljanowsk stammt, besitzt heute laut dem britischen Unternehmerregister die zypriotische Staatsbürgerschaft. Er persönlich ist bei Cargologic Mehrheitseigner, Volga-Dnepr Minderheitseigner.

Mehrere europäische Airlines hatten dies kritisiert, darunter auch die Lufthansa. Der Hauptgeschäftsführer des deutschen Airline-Verbandes BDF sagte damals: “Die deutsche Regierung würde zum Steigbügelhalter russischer Expansionspläne im europäischen Luftverkehr, wenn sie Cargologic ein deutsches AOC erteilen würde“. Allen Widerständen zum Trotz, erhielt die Line die Zulassung.

Isaikin und sein Partner Sergey Shklyanik hatten in den 1990er-Jahren zahlreiche Antonov-Transportmaschinen gekauft und sie zivil registriert. Schon vor der Zerstörung mehrere ukrainischer Antonov vergangene Woche durch russische Angriffe war es die größte zivile Antonov-Flotte der Welt. 2004 kauften die Männer auch zwei Boeing-747-Frachter von Alitalia und gründeten AirBridgeCargo.

Russland wird als Erwiderung zu den Sanktionen seinen Luftraum wohl auch für europäische Frachtlinien wie der Luxemburger Cargolux oder die Lufthansa Cargo sperren. Die müssen somit künftig eine südlich von Russland gelegene Route nach China nehmen, über die Türkei, Aserbaidschan und Turkmenistan. Besonders der Flughafen Baku in Aserbaidschan könnte davon profitieren. Schon vor dem Kriegsausbruch sind einige CargoLux-Flieger diese Strecke geflogen, wenn die Linie nicht genug russische Überflugrechte hatte. Diese Route allerdings kostet einem Insider zufolge je Strecke etwa 35.000 Euro mehr.


Hinzu kommt, dass aus Sicherheitsgründen nur vierstrahlige Maschinen den mehr als 8000 Meter hohen Himalaja überfliegen dürfen. Denn sollte ein Triebwerk ausfallen, wären dann immer noch drei vorhanden, um die Höhe zu halten. Landemöglichkeiten gibt es kaum. Die Flotte von Lufthansa Cargo etwa, besteht ausschließlich aus zweistrahligen Boeing 777 – und die müssten das Hochgebirge umfliegen. All das könnte die ohnehin durch Corona verursachten hohen Frachtraten weiter nach oben treiben.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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