Wirtschaft von oben #174 – Russische Fischfangflotte So finanzieren deutsche Fischstäbchen Putins Kriegsmaschine mit

Fischereischiffe von Russian Fishing in der auf U-Boote spezialisierten Admiralitätswerft. Quelle: LiveEO/Pléiades Neo

Die EU hat unter anderem aufgrund von Lobbydruck Kabeljau und Seelachs aus Russland bisher nicht sanktioniert. Nun belegen Satellitenfotos, dass die russische Fischfangindustrie die Kriegswirtschaft des Landes unterstützt. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Nicht viele Dinge wirken weniger bedrohlich als eine Portion Fischstäbchen auf dem Teller. Um die zwei Milliarden Stück sollen die Deutschen davon jedes Jahr verzehren. Ein Blick aus dem All zeigt nun, wie die meist aus Alaskaseelachs bestehenden Spezialitäten, aber auch andere Weißfischsorten wie Kabeljau und Schellfisch, die Kriegsmaschine von Russlands Präsident Wladimir Putin direkt mitfinanzieren. Anders als bei Krustentieren und Kaviar haben die EU und Deutschland bisher keine Sanktionen auf Weißfisch aus russischer Produktion verhängt. Auch, so berichten Insider, weil die Branche gute Lobbyarbeit geleistet hat. 

Eine Analyse aktueller von LiveEO bereitgestellter Satellitenbilder durch die WirtschaftsWoche zeigt, dass beispielsweise die neueste Generation industrieller russischer Superfischtrawler genau in jener staatseigenen Werft gebaut wird, die auch Putins neueste Vorzeigekriegsschiffe fertigt: Die Tarnkappenfregatten der Admiral-Gorschkow-Klasse.

Sie sollen künftig auch Russlands Superwaffe, ultraschnelle und lenkbare Zirkon-Hyperschallraketen, abfeuern.


Erst vor wenigen Tagen hatte die WirtschaftsWoche berichtet, dass russische Fischereischiffe unvermindert große Mengen Fisch in norwegischen Häfen anlanden. Von dort gehen die Fänge überwiegend nach Westeuropa und in die EU.

Allein in den ersten Monaten des Jahres war es Branchendiensten zufolge Fisch im Wert von mehr als 150 Millionen Euro. Zugleich importiert Deutschland eine deutlich steigende Menge gefrorenen Weißfisches per Container direkt aus Russland. 72 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Alaskaseelachses etwa kommt derzeit von russischen Schiffen. 



Hinter den riesigen Fischlieferungen nach Europa steckt oft das russische Fischfangkonglomerat Norebo. Es betreibt heute über ein Netz an Tochterfirmen eine der größten Fangflotten der Welt – mit mehr als 40 mittleren und großen Schiffen. Hierzu zählen etwa die 65 Meter lange „Mys Slepikovskogo“ oder die „Kapitan Dolgikh“.

Sie und andere Norebo-Schiffe hatten dem Seefahrtsüberwachungsportal MarineTraffic zufolge in den vergangenen Monaten in norwegischen Häfen Fisch angelandet. Eigentümer von Norebo ist der russische Oligarch Vitaly Orlov, dessen Vermögen die US-Zeitschrift „Forbes“ auf knapp zwei Milliarden Dollar schätzt.

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Um sein in der nördlichen Hafenstadt Murmansk beheimatetes Imperium auszubauen, lässt Orlov zurzeit zehn neue 82 Meter lange Supertrawler bauen, die den Fisch direkt an Bord filetieren, verpacken und tiefkühlen können. Die schwimmenden Fabriken mit der Projektbezeichnung 170701 haben einen markanten abgerundeten Bug, der an einen Killerwahl erinnert. Ihre auffällige Form macht die Schiffe leicht aus dem Weltall erkennbar. Jeder der Supertrawler soll laut Norebo pro Tag 100 Tonnen verarbeiteten Fisch produzieren können.


Aktuelle Satellitenaufnahmen zeigen nun, wie diese neuen Norebo-Trawler in der St. Petersburger Sewernaja Werft entstehen, und das unmittelbar neben Fregatten der Admiral-Gorschkow-Klasse. Auf den Bildern sind die Kriegsschiffe durch ihre Aufbauten gut identifizierbar. Zwei hat die russische Marine bereits in Dienst gestellt, mindestens 20 will das russische Militär insgesamt von der Werft bauen lassen.

Der Betrieb gehört zur Vereinigten Schiffsbaukooperation, einer von Putin 2007 per Präsidentendekret geschaffenen strategischen Werftengruppe. Die steht seit 2014 auf der Sanktionsliste der USA, seit Februar diesen Jahres auf der von Großbritannien und seit März auch auf der Liste der EU.


Norebos Trawlerauftrag hat dem Branchendienst „Intrafish“ zufolge einen Wert von immerhin 653 Millionen Euro. Besonders pikant: Er ist laut Vereinigter Schiffsbaukooperation Teil eines Programms der russischen Regierung, das Fangquoten im Gegenzug dafür vergibt, dass die Fischfangunternehmen statt im Ausland ihre Schiffe in jenen russischen Marinewerften bauen lassen und sie damit finanziell stützen. Um die 20 Prozent der Fangquoten, die Russland verteilt, sollen zuletzt durch das Programm vergeben worden sein.

Aber nicht nur Norebo lässt dank dieses lukrativen Angebots zurzeit in St. Petersburg bauen. Die unter anderem auf U-Boote spezialisierte Admiralitätswerft, fünf Kilometer nordöstlich, fertigt gerade zehn 108 Meter lange Supertrawler für den Konzern Russian Fishery (RFC). Auch der Bau dieser Fischereischiffe, die zu den größten der Welt gehören, ist auf den Satellitenbildern deutlich zu erkennen. Ihr kolportierter Gesamtwert: 1,3 Milliarden Euro. Die Admiralitätswerft gehört wie die Sewernaja Werft zu der von Putin geschaffenen staatlichen Marinewerftengruppe.


Die in Wladiwostok beheimatete RFC ist besonders in der Beringsee zwischen Kamtschatka und Alaska aktiv. Die riesigen neuen Fischfabrikschiffe sollen „Intrafish“ zufolge vor allem Alaskaseelachs, aus dem unter anderem Fischstäbchen gemacht werden, sowie pazifischen Hering fangen und verarbeiten.

Weil die USA zurzeit aus verschiedenen Gründen weniger Alaskaseelachs liefern, steigt die aus Russland importierte Menge seit Monaten stark an, sagt Matthias Keller, Geschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Fischindustrie und des Fischgroßhandels.


Bei der Übergabezeremonie des Trawlers „Kapitan Vdovichenko“, der wie die anderen neun RFC-Exemplare zum Typ ST-192 gehört, nahm im Juli dieses Jahres sogar Putin selbst teil. Dabei nannte er dem staatlichen Werftenverbund zufolge den Fischfang eine von Russlands „wichtigsten Schlüsselindustrien“.


Hinter dem Fischereiunternehmen RFC stand bis vor kurzem Gleb Frank, Schwiegersohn von Oligarch Gennadi Timtschenko, der als enger Vertrauter von Putin und sechstreichster Russe gilt. Ende März trat Frank von seiner Position als Chef zurück, verkaufte seine Anteile am Unternehmen angeblich an mehrere untergebene Manager, nachdem die USA ihn auf die Sanktionsliste gesetzt hatten.

Die Erkenntnisse könnten zwar die Sanktionsdebatte hierzulande neu beleben. Das Bundeswirtschaftsministerium allerdings scheint daran wenig Interesse zu haben, verweist auf Anfrage an die Zuständigen in Brüssel. „Die Verordnung, die Änderungsverordnungen und die zugehörigen Anhänge sind Ergebnisse intensiver Erörterungen innerhalb der EU-Kommission und mit den Mitgliedsstaaten“, teilte ein Sprecher lediglich mit. Sowohl Norebo als auch RFC reagierten nicht auf die Anfragen der WirtschaftsWoche.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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