Wirtschaft von oben #265 – Grüner Stahl: Hier entsteht das erste grüne Stahlwerk der Welt

Bei der nordschwedischen Stadt Boden baut H2 Green Steel ein hochmodernes Stahlwerk.
Von dem nordschwedischen Städtchen Boden aus sind es nur noch 80 Kilometer bis zum Polarkreis. Die riesige Baustelle am Rand Europas aber, auf der hunderte Arbeiter seit mehr als einem Jahr beschäftigt sind, ist zentral für den ganzen Kontinent: Das Unternehmen H2 Green Steel baut das weltweit erste grüne Stahlwerk – die erste Stahlproduktion, die kaum noch Kohlendioxid in die Atmosphäre pusten soll.
Noch gehen etwa acht Prozent der CO2-Emissionen weltweit auf das Konto der Stahlindustrie. Doch die Branche will den grünen Umbau starten – um den staatlichen Klimazielen zu entsprechen, steigende CO2-Steuern zu vermeiden und die wachsende Nachfrage nach nachhaltigen Rohstoffen zu bedienen. Weltweit planen Stahlkonzerne darum, ihre Werke für eine klimaneutrale Produktion umzubauen.
Das Werk von H2 Green Steel hat besonderen Vorbildcharakter. Denn kein Projekt ist so weit gediehen wie das im Norden Schwedens. Schon Ende des Jahres 2025 soll das Werk in Betrieb gehen. Exklusive Satellitenbilder zeigen, dass die Bauarbeiten seit gut einem Jahr stetig vorangehen: Auf einer Fläche von der Größe Monacos ist der Boden bearbeitet, erste Fundamente und Stahlkonstruktionen wachsen aus dem Boden.
Bilder: LiveEO/Sentinel
Gut sechs Milliarden Dollar hat H2 Green Steel eingesammelt, um sein Leuchtturmprojekt umzusetzen. Fünf Millionen Tonnen Stahl pro Jahr soll das Werk in voller Ausbaustufe herstellen. Autobauer wie BMW, Mercedes-Benz und Porsche haben schon zehntausende Tonnen vorbestellt. Hat das Milliardenprojekt Erfolg, wäre es der Beweis, dass grüner Stahl aus europäischer Fertigung eine Chance auf dem Markt hat.
Nach Angaben des Unternehmens ist es das erste neue Stahlwerk in Europa seit Jahrzehnten. In Deutschland haben Konkurrenten wie ThyssenKrupp oder Salzgitter stattdessen beschlossen, ihre bestehenden Werke umzubauen, der deutsche Staat hat dazu sieben Milliarden Euro finanzielle Hilfen zugesichert.
Sowohl die Umbauten in Deutschland als auch der Neubau in Schweden krempeln die bisherige Bauweise eine Stahlwerks deutlich um. Denn statt fossiler Kohle sollen die Anlagen grünen Wasserstoff nutzen. Dazu brauchen sie keinen Hochofen mehr, an seine Stelle tritt eine so genannte Direktreduktionsanlage. In Boden ist das ein 145 Meter hoher Schacht, der auf Satellitenbildern schon in Ansätzen erkennbar ist.
In dem Turm werden oben Pellets aus Eisenerz eingefüllt, die stetig nach unten sacken. Von unten strömt Wasserstoffgas hinauf. Das Gas stibitzt sich Sauerstoffatome aus dem Eisenerz und verwandelt den Rohstoff so in Eisenschwamm, einen stark eisenhaltigen Stoff. Der wird im nächsten Schritt zu Stahl legiert.

Bisher wird die Methode in einigen Stahlwerken allenfalls mit Erdgas umgesetzt, nun soll in Boden erstmals Wasserstoff das Eisenerz reduzieren. Heraus kommt dabei nur Wasserdampf – die Stahlproduktion verursacht dadurch insgesamt kaum noch klimaschädliche Emissionen.
Doch bisher wurde die Methode weltweit noch nicht im großen Stil umgesetzt. Und es gibt nirgends auf der Welt annähernd eine so große Produktionsanlage, um den nötigen grünen Wasserstoff herzustellen. In Boden soll jetzt eine solche entstehen: Eine Elektrolyse-Anlage mit rund 800 Megawatt Leistung, hergestellt vom deutschen Anbieter Thyssenkrupp Nucera.
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Es gibt besser angebundene Orte als Nordschweden, um eine Industrieanlage zu bauen. Boden hat 17.000 Einwohner, bisher ist das Militär der größte Arbeitgeber. Erst Mitte Mai ist hier der Schnee geschmolzen, im Winter dauert der Tag nur wenige Stunden, dann wird es dunkel.
Doch H2 Green Steel hat einen guten Grund, genau hier das erste grüne Stahlwerk zu bauen: Es gibt grüne Energie zu Billigpreisen. Denn an den Flüssen in der Region sind zahlreiche Wasserkraftwerke in Betrieb, deren Strom für wenige Cent pro Kilowattstunde zu haben ist. Der Energiepreis ist der große Kostenblock für die Wasserstoffproduktion. Je billiger der Strom, desto preiswerter der Stahl.

Schon vor zwei Jahren hat H2 Green Steel darum ein Stromlieferabkommen mit dem norwegischen Energiekonzern Statkraft abgeschlossen.
Im vergangenen Herbst kam eine Absichtserklärung mit dem Windparkentwickler Svea Vind Offshore hinzu. Der plant im Bottnischen Meerbusen vor der Küste der Hafenstadt Piteå einen Offshore-Windpark mit 128 Turbinen, jede 350 Meter hoch.
Im Hinterland von Piteå ist heute schon Europas größter Windpark in Betrieb. Markbygden, so der Name der Anlage, zieht sich über eine Fläche, die größer ist als Frankfurt am Main. Der erste Teil ging im Jahr 2015 in Betrieb und es sind immer noch weitere Abschnitte in Planung.
Voll ausgebaut soll der Park aus 1101 Turbinen bestehen und vier Gigawatt Leistung bereitstellen. Eine Stromleitung nach Boden ist in Planung.

Auch wenn noch kein Liefervertrag mit Markbygden besteht – potenziell bietet Nordschweden massenhaft saubere Energie. Darum ist schon ein zweites grünes Rohstoffwerk in der Region in Planung: Hybrit, so sein Name, soll 1,35 Millionen Tonnen grünen Eisenschwamm pro Jahr herstellen.
Hinter dem Projekt stehen der schwedische Minenkonzern LKAB, der Stahlhersteller SSAB und der Energiekonzern Vattenfall. Im Hafen von Luleå, gut 40 nordöstlich von Piteå gelegen, haben die Unternehmen schon im Jahr 2021 eine kleine Pilotanlage in Betrieb genommen. Im August 2021 hat diese den ersten fossilfreien Stahl der Welt hergestellt.
Das große Hybrit-Werk soll dann weiter nördlich, im lappländischen Ort Gällivare, entstehen – und Schwedens CO2-Emissionen um zehn Prozent senken. Bei Gällivare baut LKAB Eisenerz ab. Die üppigen Rohstoffvorkommen sind neben dem billigen Ökostrom der zweite Grund, der Nordschweden so attraktiv für die grüne Stahlproduktion macht.
H2 Green Steel allerdings hat keinen lokalen Erzanbieter beauftragt, sondern bezieht Eisenerzpellets unter anderem von Rio Tinto in Kanada. Darum hat das Unternehmen schon eine Logistikvereinbarung mit dem Hafen Luleå getroffen. Der plant nun neue Kaianlagen und will die Hafenzufahrt tiefer ausbaggern, damit größere Schiffe dort anlanden können.
2000 Arbeiter sollen bis zum Jahr 2030 im Stahlwerk von H2 Green Steel beschäftigt sein. So viele Fachkräfte in den hohen Norden zu bekommen, Wohnungen, Kindergartenplätze und andere Infrastruktur für sie zu entwickeln, dürfte eine Herausforderung für sich sein.
Auch muss sich zeigen, zu welchen Preisen das neue Werk Wasserstoff und grünen Stahl erzeugen kann und wie sich mittelfristig die Nachfrage dafür entwickelt. Haben die Stahlkocher im hohen Norden Erfolg, könnte das ein Signal für die Branche in ganz Europa sein.
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