Wirtschaft von oben #279 – Russlands Amur-Gasprojekt: Pipeline gen Peking: Hier baut Russland gigantische Gaswerke

Rohre, Tanks und Kompressoren, so weit das Auge reicht: Es ist eine gigantische Baustelle, auf der tausende Arbeiter im Osten Russlands seit Jahren schweißen, schrauben und buddeln. Im Bezirk Amur, nahe der Grenze zu China, baut Russland das Gasverarbeitungswerk Amur: das größte Werk dieser Art im Land und eines der größten weltweit.
Teile der Anlage sind schon in Betrieb. Der Staatskonzern Gazprom verarbeitet hier Roherdgas aus mehreren Feldern in Ostsibirien zu Reingas. Als Nebenprodukte erzeugt die Anlage auch Helium, Ethan, Propan und andere Gase. Durch die Pipeline „Kraft Sibiriens“, die im Jahr 2019 fertig geworden ist, strömt das Erdgas zum wichtigsten Kunden des Werks: China.
Gleich neben dem Gasverarbeitungskomplex entsteht ein riesiges Chemiewerk. Amur GCC, so sein Name, soll die Gase weiter zu Kunststoffen verarbeiten, vor allem Polyethylen. Auch davon will Russland den größten Anteil nach China exportieren. Hinter dem Projekt steckt der russische Chemiekonzern Sibur.
Das Amur-Projekt ist der wichtigste Baustein für einen geopolitischen und energiestrategischen Schwenk, den Russland vollzieht. „Der russische Gassektor hat in den vergangenen zwei Jahren einen signifikanten Aufruhr erlebt“, sagt Swapnil Babele, Energieexperte beim norwegischen Energiemarktforschungsunternehmen Rystad Energy.
Weil Europa nach Russlands Angriff auf die Ukraine als Abnehmer weitgehend ausfällt, stärkt der Petrostaat seine Exporte nach China. Mit ersten Resultaten: „Die Gaslieferungen haben sich teilweise erholt in den ersten sechs Monaten des Jahres 2024“, sagt Energieexperte Babele. Gründe seien eine starke inländische Nachfrage – und steigende Exporte nach China.
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Die Amur-Werke sind eine gewaltige Investition, allein der Chemiekomplex soll laut „Financial Times“ elf Milliarden Dollar kosten. Gestützt wurden die Investitionen laut Sibur auch durch deutsche Exportbürgschafen. Der deutsche Gasekonzern Linde war am Bau der Amur-Anlagen beteiligt, stieg im Jahr 2022 aber aus.
Im Gaswerk verbauen die Arbeiter laut Gazprom insgesamt 430.000 Kubikmeter Beton. Und eine Menge Stahl, 23-mal schwerer als der Eiffelturm. Damit das Material und Menschen an Ort und Stelle gelangen, ziehen sich 27 Kilometer an neuen Straßen durch das Areal. Obendrein ist ein kleiner Logistikhafen am Ufer des Flusses Seja entstanden.
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Auch ein Bahnhof und 40 Kilometer Schienen sind auf dem Gaskomplex neu entstanden. In speziellen Waggons oder Trucks soll Helium abtransportiert werden, von dem hier pro Jahr 60 Millionen Kubikmeter erzeugt werden sollen. 1500 Kilometer weiter, am Hafen Wladiwostok, ist ein Helium-Transporthub gebaut worden, um das Gas weltweit exportieren zu können.
Die wichtigste Transportader der Region ist aber die Pipeline „Kraft Sibiriens“. Im Jahr 2019 fertiggestellt, transportiert sie Gas aus ostsibirischen Feldern in Jakutien und Irkutsk zum Amur-Werk und von dort weiter nach China. 2200 Kilometer lang ist die Rohrleitung, die für Russland asiatische Exportmärkte erschließen soll. Kostenpunkt: angeblich 55 Milliarden Dollar.
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Mehrere Brände haben die Arbeiten am Gasverarbeitungswerk Amur aufgehalten, im Juni 2021 ging der erste Teil in Betrieb. Trotz westlicher Sanktionen ging der Bau weiter. „Russland konnte drei Produktionslinien eigenständig bauen und will dieses Jahr zwei weitere fertigstellen“, sagt Rystad-Energy-Experte Babele. „Aktuell erwarten wir, dass alle sechs Linien bis zum Jahr 2025 online gehen.“
Anders beim anliegenden Chemiewerk: „Durch den Ausstieg von Linde und mangelnder Finanzierung wegen westlicher Sanktionen war der Chemiekomplex von Verspätungen betroffen“, sagt Babele. Rystad Energy schätzt, dass sich das Projekt vier bis fünf Jahre verzögern und erst 2027 oder 2028 fertiggestellt wird.
42 Milliarden Kubikmeter Rohgas soll das Werk in Amur ab kommendem Jahr jährlich aufarbeiten. Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert das Projekt wegen massiver CO₂-Emissionen. Russland dagegen hofft, dadurch die Exporte nach China weiter steigern zu können. Die Pipeline „Kraft Sibiriens“ soll dann voll ausgelastet sein.
Die weggefallenen Exporte nach Europa gleicht das nicht aus. Darum will Russland eine zweite Pipeline, „Kraft Sibiriens 2“, vorantreiben, die Gas auch aus dem Westen Russlands bis nach China liefern soll.
Doch so schnell dürfte es nicht dazu kommen. „Wir erwarten, dass die Pipeline Kraft Sibiriens 2 sich weiter verzögert“, sagt Energieexperte Babele, „da Russland und China die Bedingungen nicht endgültig festlegen können.“ Rystad Energy erwartet, dass die neue Leitung Mitte der 2030er-Jahre an den Start geht.
China ist sich seiner Machtposition bewusst. „China hat verschiedene Optionen, Gas aus verschiedenen Ländern zu importieren“, sagt Babele. Unter anderem bezieht das Land Gas per Pipeline aus Turkmenistan und verfügt über zahlreiche LNG-Terminals, an denen Gastanker etwa aus Australien andocken.
Laut einem Bericht der „Financial Times“ will China das russische Gas nur zu stark reduzierten Preisen kaufen. Energieexperten am Center on Global Energy Policy an der Columbia University erwarten, dass Russland künftig sein Gas nur mit geringeren Margen als früher loswird.
Dadurch werde das Land im Jahr 2030 nur 55 bis 80 Prozent so viel Geld mit Gasexporten einnehmen wie im Jahr 2022. Wie lukrativ Russlands Gasprojekte im Osten werden – darüber entscheidet vor allem China.
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