Anklage gegen VW-Chef Diess Was in den VW-Ermittlungsakten der Staatsanwälte steht

Anklage gegen VW-Chef Herbert Diess: Was in den Ermittlungsunterlagen der Staatsanwaltschaft steht Quelle: imago images

Vertrauliche Unterlagen und Aussagen von Zeugen bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig belasten VW-Chef Herbert Diess schwer. Er könnte schon drei Monate vor der offiziellen Bekanntgabe vom Dieselskandal gewusst haben. Womöglich wusste er sogar schon in seiner Zeit als BMW-Vorstand von den VW-Betrügereien in den USA.

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Eigentlich läuft es ziemlich rund für Herbert Diess in Wolfsburg. Der einstige BMW-Vorstand, der 2015 als Chef der Marke VW nach Niedersachsen kam und der 2018 zum Vorstandschef des gesamten Volkswagen-Konzerns aufstieg, hat beim weltgrößten Autobauer Fuß gefasst. Er führt ihn mit harter Hand und zunehmend mit wirtschaftlichem Erfolg in die elektrische Zukunft.

Laut Aussagen, die nach Informationen der WirtschaftsWoche mehrere Zeugen bei Ermittlern des VW-Abgasskandals machten, wurde Diess bereits Wochen vor Bekanntwerden des Abgasskandals am 18. September 2015 von mehreren Personen konkret vorgerechnet, welche Milliardenstrafen VW drohen könnten.

Wann die späteren Milliardenschäden für VW absehbar waren, ist der Kern des nun abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens. Außerdem steht die Frage steht im Mittelpunkt von Schadensersatzverfahren in Braunschweig und Stuttgart, bei denen mehr als 2000 Kläger über zehn Milliarden Euro von VW fordern.

So drohen VW nicht nur neue Milliardenschäden, die den Konzern bei der teuren Umstellung auf elektrische und selbstfahrende Autos belasten könnten. Diess könnte wegen der Anklage auf Dauer als VW-Chef nicht mehr tragbar sein und vom Aufsichtsrat abgesetzt werden. VW müsste nach dem Abgang von Martin Winterkorn (2015) und Matthias Müller (2018) dann schon wieder auf Chefsuche gehen.

Laut VW waren die Milliardenstrafen vor dem 18. September 2015 nicht absehbar. Die Aussagen von hochrangigen Managern gegenüber den Ermittlern zeichnen jedoch ein anderes Bild. Bei einer streng vertraulichen Besprechung am 27. Juli 2015 soll ihm ein Manager vorgerechnet haben, dass in den USA maximal eine Strafe von „37.500 Dollar pro Fahrzeug mal 600.000 (Autos, Anm. d. Red.)“ drohe – also eine Strafe von 22,5 Milliarden Dollar. Das erklärte ein hoher VW-Manager, den Diess später mit der Aufklärung des Skandals betraute, gegenüber Ermittlern. Auf die Frage, ob damals „auch konkret über Zahlen in Milliardenhöhe“ gesprochen worden sei, sagte der Zeuge: „Ja, ja, ja, ja, ja. (…) Also das weiß ich noch.“

Ein anderer Teilnehmer der Runde erklärte, er habe von einer drohenden Fahrzeugrücknahme gesprochen, wodurch „500.000 Fahrzeuge mal 20.000 Euro Schaden“ entstehen könnten. Die Ermittler führen noch einen weiteren Zeugen für diese Aussagen an.

VW betont dagegen, dass bei dem Treffen „nicht mitgeteilt wurde, dass in Täuschungsabsicht ein Gesetzesverstoß nach US-Recht begangen wurde“. Darüber hinaus wollen sich VW und Diess wegen laufender Ermittlungen nicht äußern. Die Position des Konzerns lässt sich aber einer Klageerwiderung entnehmen, die der WirtschaftsWoche vorliegt. Darin schildern die VW-Anwälte die „informelle Besprechung“, die sich „nicht mehr vollständig rekonstruieren“ lasse, „da die diesbezüglichen Erinnerungen der anwesenden Personen teilweise voneinander abweichen.“

Was VW aber zu wissen scheint: Den anwesenden Topmanagern wie etwa Diess sei „nicht vermittelt“ worden, „dass ein konkretes Strafzahlungsrisiko bestand sowie sonstige erhebliche finanzielle Belastungen (…) drohen könnten.“

Doch auch ein vierter Zeuge hat bei den Ermittlern ausgesagt, dass Diess das Schadenrisiko konkret geschildert wurde. So soll bei einer Besprechung am 24. August die Rede von „35.000 Dollar“ Strafe „pro verkauftem Auto“ gewesen sein. Danach habe er, so der Zeuge, Diess persönlich von den „Strafzahlungen, die maximal auf das Unternehmen zukommen“, berichtet.

Diess sah sich aber offenbar nicht veranlasst, auf eine Warnung des Kapitalmarkts durch eine Ad-hoc-Meldung oder eine Pressemitteilung zu drängen. Darauf angesprochen, dass die US-Behörden mit dem Skandal an die Öffentlichkeit gehen könnten, gab er am 24. August 2015 laut Aussage eines weiteren Zeugen „ganz klar die Anweisung, dass wir (die Pressestelle von VW, Anm. d. Red.) erst einmal nichts zu unternehmen hatten“.

Dabei hätte Diess womöglich schon vor seinem Wechsel zu VW überlegen können, wie mit einem Abgasskandal richtig umzugehen wäre. Das zeigen Unterlagen der Ermittler, die die WirtschaftsWoche einsehen konnte. Aus den Dokumenten geht hervor, dass Diess nach seinem Antritt bei VW im Sommer 2015, seine Kollegen mit einer heiklen Information überrascht haben soll. Seinem früheren Arbeitgeber BMW, so soll Diess berichtet haben, sei schon länger bekannt gewesen, „dass Volkswagen in den USA etwas türkt, etwas Verbotenes tut“.

So zumindest hat es ein Teilnehmer des Treffens später in einer Zeugenvernehmung berichtet. Laut seiner Aussage soll Diess gesagt haben, dass BMW die Manipulationen nicht nur „geahnt“, sondern von ihnen „gewusst“ habe. Der Autobauer habe „oft überlegt, das mal kundzutun“, sich letztlich aber dagegen entschieden. Denn es habe, so soll es Diess weiter ausgeführt haben, „so einen Ehrenkodex gegeben, dass man sich nicht gegenseitig verpetzt bei den Behörden“. An den habe sich BMW gehalten, obwohl die Information für den BMW, VW wollte sich wegen der laufenden Ermittlungen nicht dazu äußern. BMW dementierte gegenüber der WirtschaftsWoche die Aussagen, die Diess nach Angaben des Zeugen bei VW gemacht haben soll: BMW habe nicht gewusst, dass Volkswagen in den USA etwas Verbotenes tut. Auch den angeblichen Ehrenkodex habe es nicht gegeben.

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