Autoexperte Stefan Bratzel „Den Wandel werden maximal fünf bis zehn Konzerne schaffen“

Daimler und BMW, VW und Ford: Die neuen Auto-Allianzen Quelle: Daimler AG

BMW und Daimler wollen offenbar enger kooperieren. Es ist nicht die erste Allianz konventioneller Autohersteller, um den Angriff auf ihr Geschäftsmodell zu parieren.

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Erst Volkswagen und Ford, nun Daimler und BMW: Geht es um die Zukunft des Autofahrens, setzen die deutschen Autokonzerne neuerdings auf Allianzen. Sie wollen die Milliardeninvestitionen in Elektromobilität und autonomes Fahren nicht allein schultern – und teilen somit auch das Risiko, im Wettstreit mit den Angreifern aus dem Silicon Valley und China zu verlieren.

Vergangene Woche gingen zunächst VW und Ford auf der Automesse in Detroit an die Öffentlichkeit. Der größte Autobauer der Welt und der zweitgrößte Hersteller aus den Vereinigten Staaten arbeiten zunächst bei den Nutzfahrzeugen zusammen, wollen die Kooperation aber auf Aktivitäten im autonomen und elektrischen Fahren ausweiten. Ähnliches streben offenbar Daimler und BMW an, wie am Montag bekannt wurde. Und das ist nur der Auftakt, glaubt Stefan Bratzel, einer von Deutschlands führenden Autoexperten.

Herr Bratzel, sind die deutschen Autobauer allein dem Untergang geweiht?
Soweit würde ich nicht gehen, aber es wird ein Kampf der Welten. Denn die Autokonzerne konkurrieren nicht länger nur untereinander, sondern auch mit Digitalunternehmen, die auf Daten spezialisiert sind: Die Google-Tochter Waymo aus dem Silicon Valley, aber auch Alibaba, Tencent, Baidu und Didi Chuxing …

Stefan Bratzel ist Gründungsdirektor des Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Soeben hat das CAM die Branchenstudie Elektromobilität 2019 vorgelegt. Quelle: dpa

… also die drei großen Internetkonzerne aus China und der dort intensiv genutzte Fahrdienstleister. Warum sind andere voraus?
Wichtig ist nicht nur sehr viel Geld, um das autonome Fahren zu entwickeln, sondern auch Know-how. Autonom fahrende Autos müssen auch in kritischen Situationen, die aber nicht häufig vorkommen, richtig reagieren. Dafür benötigt man Simulatoren. Denn um die dafür nötigen Kilometerzahlen abzuspulen, reicht fahren allein nicht. Man muss die Fahrten durch entsprechende Daten simulieren. Google hat damit begonnen.

Daimler will 20 Milliarden Euro für Batteriezellen investieren, VW 44 Milliarden für selbstfahrende Autos und E-Mobilität. Sind die deutschen Hersteller rechtzeitig aufgewacht, wenn es um die Zukunft der Autobranche geht?
Auch für das Elektroauto braucht es neue Kompetenzen, aber am Ende „nur“ einen neuen Motor, das Geschäftsmodell bleibt gleich. Das lässt sich in den Griff kriegen. Für viel gefährlicher halte ich das autonome Fahren, weil es ein anderes Geschäftsmodell ist.

Inwiefern?
Die entscheidende Ebene wird die Plattform sein, über die Kunden künftig Dienste wie Entertainment und Shopping im Auto buchen. Wer stellt das Fahrzeug her, wer wartet es, wer bietet Entertainment und Shopping im Auto an: Das wird alles nicht so wichtig sein. Denn wer genug Kunden auf seiner Plattform hat, der bestimmt darüber, von wem er die Fahrzeuge kauft, wie sie auszusehen haben und welche Features sie haben.

Wird Waymo die deutschen Hersteller eines Tages zu Hardware-Lieferanten degradieren?
Das ist das große Risiko hinter den Wertschöpfungsebenen beim autonomen Fahren. Wenn Unternehmen aus dem Silicon Valley oder China diese Plattformen bestimmen, sitzen die deutschen Hersteller nicht mehr selbst am Steuer.

Wie können sie das verhindern?
Sie müssen sich Kompetenzen aneignen. Das wird über Beteiligungen an und Übernahmen von Start-ups gehen. Es wird auch weiter einen großen Drang zu Kooperationen und eine weitere Konsolidierung geben. Ich erwarte, dass fünf bis zehn der 30 größten Autokonzerne mit vielen Milliarden probieren werden, ihr Geschäftsmodell umzustellen. Aber davon ist noch nicht gesagt, wie viele es tatsächlich schaffen, eine notwendige kritische Masse auf ihrer Plattform zu erzeugen.

2021 soll ein Mercedes auf dem Markt sein, der allein auf der Autobahn fahren kann. Realistisch?
Diese dritte von fünf Stufen des autonomen Fahrens hat man früher viel optimistischer gesehen. Beim Autopilot ist der kritische Punkt, wie man den Menschen dazu bekommt, binnen weniger Sekunden wieder das Steuer zu übernehmen. Schlafen kann er in dem Fall nämlich nicht, und dann stellt sich die Frage nach dem Mehrwert. Genehmigungen dafür gibt es in Deutschland noch nicht.

Bei E-Autos hinken die deutschen Hersteller hinsichtlich der Marktanteile nicht nur Tesla, sondern vor allem China hinterher. Wann schlägt die Stunde der Deutschen?
Ende dieses Jahres soll der modulare Elektro-Baukasten in die Volkswagen-Werke kommen. Der ist speziell auf die E-Mobilität ausgerichtet, aber die Fabriken darauf umzustellen ist eine Milliardenwette. Werden die Autos nachgefragt, kann VW enorme Kostenvorteile erzielen, aber wenn die Nachfrage geringer ist, gibt es ein Problem.

Bei der Batterieproduktion setzen deutsche Hersteller auf chinesische Zulieferer wie CATL. Bosch will gar nicht erst in die Entwicklung von Batterien einsteigen, weil die Entwicklungskosten zu hoch sind. Ein Fehler?
Ich halte das für einen Fehler. Die Wertschöpfung liegt bei etwa 40 Prozent am Gesamtwert eines E-Autos, und bei dieser Komponente finden die Innovationen statt. Tesla soll in der mit Panasonic betriebenen Gigafactory mit halb so viel Kobalt auskommen wie die Konkurrenz. Dadurch sinken die Kosten pro Kilowattstunde – ein ganz wichtiger Faktor.

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