Dieselskandal Was wusste Müller?

Seite 2/4

1995–2007: Produktmanager bei Audi

Als Werkzeugmacher hatte Müller in den Siebzigerjahren bei Audi angefangen; nach einem Informatik-Studium kehrte er zu dem Autobauer zurück und wurde 1995 Leiter des gesamten Produktmanagements.

Knapp zehn Jahre später, so schildern es US-Staatsanwälte, hatten Techniker der Audi-Motorentwicklung eine verhängnisvolle Idee. Sie wollten der nagelnden Geräusche von Dieselmotoren Herr werden: Mit zusätzlichen Einspritzungen von Diesel ging das Geräusch zurück. Bloß stiegen dadurch die Emissionen.

Was taten die findigen Ingenieure? Sie schrieben ein Mogelprogramm: Im Normalbetrieb waren die derart manipulierten Autos leise und die Abgase dreckig; bei Emissionsmessungen gingen sie in den lauteren Modus, hielten dafür aber die Grenzwerte ein.

Der Ausstieg Ferdinand Piëchs bei VW zeichnet sich ab – und sein Bruch mit Konzern und Familie hinterlässt viele offene Fragen. Was den Hauptinvestor von Volkswagen in den kommenden Tagen beschäftigen wird.
von Sebastian Schaal, Martin Seiwert

Hatte Informatiker Müller die Finger im Spiel? Eher unwahrscheinlich. „Es gab damals wenig Gründe für die Motorenbauer, ihr Handeln intern an die große Glocke zu hängen“, sagt ein Audi-Insider, daher müsse Müller davon nicht zwingend erfahren haben. Offiziell heißt es bei VW: Als Produktmanager hatte Müller nichts mit dem Schreiben von Motorsteuersoftware zu tun.

Ganz anders könnte es aber bei Vertrauten Müllers, etwa den Verantwortlichen für Motorenbau, Elektronik oder Forschung und Entwicklung sein. Wollten sie nicht wissen, warum die Motoren auf der Straße so leise wurden? Und warum sie auf dem Prüfstand bei Emissionsmessungen lauter waren?

Vier Jahre lang kam das Programm mit der internen Bezeichnung „Akustikfunktion“ bei 3-Liter-Motoren von Audi zum Einsatz, so die Erkenntnis von US-Fahndern. Müller, Hatz und Hackenberg machten sich unterdessen auf zu neuen Herausforderungen: Als ihr damaliger Chef Winterkorn 2007 zum neuen Chef des VW-Konzerns aufstieg, nahm er das Triumvirat nach Wolfsburg mit. Müller wurde Leiter des Produktmanagements im Konzern, Hatz der Konzern-Motorenchef, Hackenberg Entwicklungschef der Marke VW.

Der Fall Volkswagen vor Gericht

2007–2010: Produktstratege des Konzerns

Winterkorn stellte seine Getreuen alsbald vor eine große Aufgabe: Sie sollten Dieselfahrzeuge fit für den US-Markt machen. Dort vermutete er große Absatzpotenziale. VW-Techniker loteten aus, wie die strengen NOx-Grenzwerte mit dem Diesel erreichbar wären, und entschieden sich für einen simplen Katalysator. Deren Speicher aber hielt nicht lange. Doch zum Glück gab es die Edel-Tochter in Ingolstadt und ihre „Akustikfunktion“ – sie konnte helfen. Das Programm sorgte fortan dafür, dass der Katalysator vor allem bei Emissionsmessungen zum Einsatz kam, ansonsten aber geschont wurde, was im Normalbetrieb zu 10- bis 40-fachen Überschreitungen des amerikanischen NOx-Grenzwertes führte.

Das ereignete sich, kurz nachdem Müller und Co. in Wolfsburg angetreten waren. Wie die „Akustikfunktion“ von Ingolstadt nach Wolfsburg gelangte, ist nicht bekannt.

Mit dem Vergleich ist der Skandal für die Firma VW fast abgeschlossen. Doch für einige Manager fängt es jetzt richtig an: Die US-Justiz hat detailliert aufgelistet, wie sie die Behörden in die Irre geführt haben sollen.
von Sebastian Schaal

Unterdessen bahnte sich neues Unheil an, für Audi und VW. Bei Tests mit dem VW-Geländewagen Touareg und dem Audi Q7 im Jahr 2007 sollen AdBlue-Verbräuche von bis zu acht Litern pro 1000 Kilometer festgestellt worden sein, berichtete der „Spiegel“. Weil der AdBlue-Tank nur 16 Liter fasste, wäre alle 2000 Kilometer Nachtanken des Harnstoffs in der Werkstatt angesagt gewesen. Das galt als nicht haltbarer Zustand. Die Lösung: die „Akustikfunktion“, diesmal eingesetzt als AdBlue-Dosierungsstrategie – viel AdBlue im Emissionstest, wenig im Normalbetrieb.

Millionenfach sollte die Schummeltechnik in den kommenden Jahren zur Anwendung kommen. Die Strategie gipfelte ausgerechnet in dem Modell, das die große Renaissance der Marke VW in den USA einläuten sollte, dem amerikanischen Passat. Der Mittelklassewagen bekam 2009 eine verfeinerte Variante der Software, die auch erkennen konnte, ob ein Fahrzeug gelenkt wird oder gänzlich ohne Lenken beschleunigt wird, was auf einen Test schließen ließ.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%