Patentrechtsreform Das Verschrottungsurteil zu Ford ist kein Einzelfall

Ford ist nicht das einzige Opfer des Deutschen Patentrechts - das eigentlich Innovationen der Unternehmen schützen soll. Quelle: imago images

Die richterlich angeordnete Ford-Verschrottung löst eine erneute Debatte um die Patentrechtsreform aus. Darf die Strafe das Ausmaß des Schadens um den Faktor tausend übersteigen?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Der Kurs der Ford-Aktie an der New Yorker Börse reagiert auf die Nachricht: minus drei Prozent. In einem Augenblick sind 1,5 Milliarden Dollar Börsenwert ausgelöscht. Auslöser der Panik ist ein deutsches Gericht: Es verfügte, dass Ford wegen einer Patentverletzung in Deutschland keine Autos mehr verkaufen darf, die bereits an Händler ausgelieferten Wagen sollen gar zurückgerufen und vernichtet werden.

Die Reaktion der Anleger ist nachvollziehbar. Ford verkauft in Deutschland jährlich 127.000 Fahrzeuge, die Entscheidung kann eine Umsatzeinbuße im Milliardenbereich bedeuten.

Ford droht ein großer Schaden. Dem gegenüber stand im Prozess in München eine Rechtsverletzung des Blue Oval viel geringeren Ausmaßes: Es nahm keine Lizenz auf eines von tausenden Patenten, das für den Betrieb des im Auto verbauten Mikrochips nötig wäre. Kostenpunkt: wohl ein paar Cent je Auto.

Ist das verhältnismäßig? Der aktuelle Fall löst eine neuerliche Debatte um das deutsche Patentrecht aus, das im internationalen Vergleich sehr scharf ausfällt  – und in Scharen ausländische Kläger ins Land holt. Inzwischen werden schon weit über die Hälfte aller europaweiten Patentverletzungsprozesse in Deutschland geführt – Tendenz steigend.


Die Sorge: durch die scharfe Gesetzgebung können in Deutschland Arbeitsplätze wie etwa bei Ford gefährdet sein, auch verliert Deutschland als Standort und Markt an Attraktivität.

Das Ford-Urteil ist die Spitze des Eisbergs. Heute sind vor dem Münchner Landgericht von Richter Matthias Zigann gleich in zwei weitere Fällen Unterlassungen ausgesprochen worden. HMD, die aufgrund einer Markenlizenz Nokia-Telefone herstellen, muss den Verkauf einstellen.  

Auch gegen Ormed, einen Hersteller von Gehhilfen, sprach Zigann heute eine Unterlassung aus. Dabei fordert die Patentrechtsnovelle vom vergangenen Sommer explizit, dass auch Interessen Dritter bei Patenturteilen eine Rolle spielen sollten. Bei wenigen Produkten kann man sich das Interesse Dritter plastischer vorstellen, als wenn Gehhilfen knapp werden sollten. Was ist bei der Umsetzung schiefgelaufen?

Die Reform geht nicht weit genug

Die vorige Bundesregierung erkannte das Problem des scharfen deutschen Patentrechts schon 2018 und versuchte die Schieflage im vergangenen Sommer mit dem „2. Patentrechtsmodernisierungsgesetz“ (2. PatMoG) aus der Welt zu schaffen. Erklärtes Ziel ist es, die Wahrung der Proportionalität zwischen Vergehen und Strafe sicherzustellen. Zudem soll die Reform verhindern, dass Patente, die viel später in einem gesonderten Prozess für nichtig erklärt werden, eine Unterlassung auslösen können.

Doch vielen Beobachtern geht die Reform nicht weit genug. „Das Ford-Urteil ist ein Indiz dafür, dass die Reform des Patentrechts von 2021 nicht ausreicht, um die deutsche Wirtschaft besser vor aggressiven Patentverwertern zu schützen“, sagt Ludwig von Reiche, Sprecher der deutschen Gruppe von IP2Innovate, einem Zusammenschluss von Unternehmen, der sich europaweit um ein faireres Patentrecht bemüht. „Ein baldiges Nachsteuern durch den Gesetzgeber könnte nötig werden.“

Die Industrie rund um die Patentprozesse blüht hierzulande – gerade in München haben sich rund ums Patentgericht und ums Landgericht 1 viele Experten für Patent- und Patentverletzungsklagen angesiedelt. Das Münchener Landgericht schaffte sogar noch nach der Verabschiedung der Novelle, die das Patentrecht einschränken sollte, eine dritte Kammer für Patentfälle, um der Flut an Klagen Herr zu werden.

Rechtsabteilungen oft innovativer als Erfinder

Die neue Blütezeit der Patentjustiz geht auf Kosten der deutschen Wirtschaft. Das Patentrecht sollte eigentlich Erfindungen der Unternehmen schützen. Stattdessen aber gefährden viele Urteile deutsche Arbeitsplätze. So musste der Zigarettenpapierfabrikant Julius Glatz aus Neidenfels an der Weinstraße etwa 60 Mitarbeiter entlassen, weil er von seinem direkten Konkurrenten mit Hilfe eines Patentstreits für vier Jahre aus seinem lukrativsten Markt verbannt wurde. Der Grund dafür war ein Patent, das am Ende vom Bundesgerichtshof für nichtig erklärt wurde.

Der Autozulieferer Conti, der in dem Münchner Prozess als Streithelfer an der Seite von Ford mitgefochten hat, sieht den Umgang des Gerichts mit der Gesetzesnovelle kritisch: „Münchens sehr innovative Art der Rechtsbildung ist vielleicht nicht ganz das, was dem Gesetzgeber vorschwebte“, sagt Roman Bonn, Patentexperte von Conti. „Es ist bestürzend, dass ein Landgericht mit diesem Urteil die Bemühungen, auf europäischer Ebene einen einheitlichen und fairen Rechtsrahmen zu schaffen, konterkariert. Europas Innovationstreiber zahlen dafür die Zeche.“

Hinter den Kulissen läuft ein Tauziehen verschiedener Industrien: Dass das deutsche Gesetz in seiner Härte so bleibt, wie es ist, fordern die, die davon profitieren: Die Pharmakonzerne, die ihre Patente durchsetzen wollen. Die Mobilfunkkonzerne Nokia und Ericsson, die zunehmend mehr Geld mit ihrem Patentportfolio verdienen als durch ihr operatives Geschäft. Und natürlich die Anwälte, die mit den Patentfällen ihren Lebensunterhalt bestreiten.


Weniger Prozesse würden auch weniger Arbeit sie bedeuten. Entsprechend erpicht sind im Patentrecht aktive Anwälte darauf, den Status Quo zu wahren: Die Berliner Patentanwältin Renate Weisse ruft offen auf Linkedin ihre Berufskollegen auf den Plan: Ich hoffe, dass meine Kolleg*innen aus der Patentanwaltschaft sich diesmal früher und deutlicher wehren als bei der letzten Patentrechtsreform.“  Sie warnt davor, das Patentrecht aufzuweichen, weil gerade kleine und mittlere Unternehmen auf ein funktionierendes Patentsystem angewiesen seien: „Es gab und gibt jede Menge Reformbedarf, aber nicht am Unterlassungsanspruch.“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%