VW-Strategie 2025 Was Matthias Müller mit Volkswagen vor hat

Vom größten Autobauer der Welt zum größten Verlust der Konzerngeschichte: VW-Chef Mattias Müller muss den Konzern neu ausrichten. Was in seiner „Strategie 2025“ wirklich steht.

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Volkswagen will wieder nach vorne blicken. Quelle: dpa

Nein, es ist nicht nur wegen des Abgasskandals. Eine neue Strategie für die kommenden Jahre stand bei Volkswagen ohnehin an. Die „Strategie 2018“, die der damalige VW-Chef Martin Winterkorn im Jahr 2008 ausgerufen hatte, läuft bald aus – die meisten Ziele hatte der Konzern ohnehin früher als geplant erreicht.

Trotz des Erfolgs, Toyota als weltgrößten Autobauer zu überholen, waren die Probleme im Mehr-Marken-Reich der Wolfsburger unübersehbar. Die Produktion ist inzwischen zu komplex, der Konzern zu träge und ineffizient, die Rendite gerade bei der wichtigen Kernmarke VW-Pkw viel zu niedrig.

All das mündete in dem Machtkampf zwischen Konzernpatriarch und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch und Vorstandsboss Winterkorn im Frühjahr 2015 – mit bekanntem Ergebnis. Piëch zog sich zurück, Winterkorns Vertrag wurde verlängert. Der Schwabe sollte VWs Weg in die Zukunft ausarbeiten – bis ihn im September der Dieselskandal aus dem Amt fegte.

Der neue VW-Chef Matthias Müller konnte seine neue Strategie also auf ein Fundament bauen. Die größte Krise des Konzerns mit Milliardenverlust und hohen Rechtsrisiken in den USA ermöglichte Müller vermutlich sogar größere Änderungen, als sie ohne Dieselgate möglich gewesen wären.

Die wichtigsten Eckpunkte aus „TOGETHER – Strategie 2025“ im Überblick:

Was ist das Ziel der neuen Strategie?

Volkswagen selbst spricht vom größten Veränderungsprozess in der Geschichte des Unternehmens. Im Kern zielt die Strategie auf eine „nachhaltige Zukunftssicherung und profitables Wachstum“ – sprich: Die Grundlagen dessen, womit VW in einer sich schnell verändernden Welt der Digitalisierung und der umweltfreundlichen Mobilität künftig Geld verdienen will.

Was sagt VW-Chef Matthias Müller?

„Mit dem Zukunftsprogramm wird der Volkswagen-Konzern fokussierter, effizienter, innovativer, kundennäher, nachhaltiger – und konsequent auf profitables Wachstum ausgerichtet“, sagte der Vorstandschef bei der Vorstellung der neuen strategischen Ausrichtung in Wolfsburg. „Das Volkswagen der Zukunft wird seine Kunden mit faszinierenden Fahrzeugen, bedarfsgerechten Finanzdienstleistungen und smarten Mobilitätslösungen begeistern. Wir werden technologisch führend und ein Vorbild bei Umwelt, Sicherheit und Integrität sein. Der Konzern wird eine wettbewerbsfähige Ertragskraft haben. Volkswagen wird ein Unternehmen sein, auf das wir alle gemeinsam stolz sein können.“

Wie VW im ersten Quartal abgeschnitten hat

Müller will die langjährige VW-Erfolgsgeschichte fortsetzen und die Auto-Mobilität für künftige Generationen maßgeblich mitgestalten. Neben diesen ambitionierten Zielen zeigt sich der VW-Chef aber auch selbstkritisch. „Voraussetzung dafür ist, dass wir – nach dem schweren Schlag durch die Dieselthematik – aus den gemachten Fehlern lernen, Defizite beheben und eine offene, werteorientierte, auf Integrität aufbauende Unternehmenskultur bei uns etablieren“, so Müller.

Ist Müllers Strategie eine Abkehr von dem Kurs seines Vorgängers Winterkorn?

Bei der Strategie 2018 wurden vier Ziele definiert, um VW zum „erfolgreichsten, faszinierendsten und nachhaltigsten Automobilunternehmen der Welt“ zu machen: führend bei Qualität und Kundenzufriedenheit; mehr als zehn Millionen verkaufte Fahrzeuge pro Jahr; eine Umsatzrendite von acht Prozent und der attraktivste Arbeitgeber der Autobranche zu sein.

von Florian Willershausen, Lea Deuber, Rebecca Eisert, Karin Finkenzeller, Martin Fritz, Tim Rahmann, Martin Seiwert

Müllers Strategie soll Volkswagen zu einem „weltweit führenden Anbieter nachhaltiger Mobilität“ machen. Unter Winterkorn schwebte über allem die große Marke von zehn Millionen Autos – zur Erinnerung: 2008 verkaufte VW lediglich 6,3 Millionen Fahrzeuge. Diesem Ziel wurde viel untergeordnet, was bis heute Auswirkungen auf Konzernstruktur, Marken und Personal hat.

Ein solches Absatzziel nennt Müller ausdrücklich nicht. Stattdessen sollen das Kerngeschäft umgestellt und neue Geschäftsfelder erschlossen werden. Sprich: Solange Kennzahlen wie Ebit, Rendite und Aktienkurs stimmen, ist Müller auch bereit, weniger Fahrzeuge zu verkaufen. Wenn junge Großstädter kein Auto mehr besitzen wollen, VW aber immer noch mit Gett als Mobilitätsdienstleister daran verdienen kann, will Müller dieses Potenzial erschließen. Er sieht darin ein nachhaltigeres Geschäft, als um jeden Preis vor Toyota bleiben zu wollen. Winterkorn hätte das wohl anders gesehen.

Die drei Eckpfeiler der Strategie

Wie soll das alles erreicht werden?

Die Strategie fußt auf drei Pfeilern:

  • Das Kerngeschäft – Autos bauen – soll mit einem tiefgreifenden Umbau für „das neue Zeitalter der Mobilität“ fit gemacht werden.
  • Neue Kompetenzfelder wie das autonome Fahren, Batterietechnologie und künstliche Intelligenz will Volkswagen selbst entwickeln.
  • Das unternehmerische Denken und Handeln innerhalb des Konzerns soll konsequent gefördert werden – also der lange beschworene und von Müller geforderte Kulturwandel.

Alle drei für sich sind für ein Unternehmen mit 600.000 Mitarbeitern eine enorme Herausforderung. Besonders der erste Punkt hat es in sich: Das auf rund 340 Modellvarianten angewachsene Produktportfolio soll gestrafft, die Trennschärfe zwischen den Marken wiederhergestellt werden. Wo und wie gespart werden soll und welche Folgen das auf Entwicklung, Produktion und die Mitarbeiter hat, sagt Müller aber noch nicht.

Mit den anderen beiden Punkten folgt VW eher dem Branchentrend: Selbstfahrende Autos, die jederzeit mit dem Internet kommunizieren, entwickelt gerade jeder Autobauer. Auch über Jahrzehnte etablierte Hierarchien zu durchbrechen, steht in Stuttgart und München ganz oben auf der Agenda. Die schnelllebige digitale Welt mit den agilen Unternehmen aus dem Silicon Valley macht auch vor der deutschen Autoindustrie nicht Halt.

Dass Müller diese drei Punkte so plakativ auf die Agenda setzt, erscheint in Anbetracht der speziellen VW-Geschichte und der nahezu unaufhaltsamen Entwicklungen in der Branche logisch. Diese Anforderungen jetzt mit Leben zu füllen und zum Erfolg zu bringen ist aber eine ungleich größere Aufgabe, als sie erst einmal aufzulisten.

Welche Finanzziele peilt VW mit der neuen Strategie an?

In der Strategie 2018 wurde eine Rendite von acht Prozent angepeilt, die zumindest die VW-Kernmarke konsequent verpasst hat. Die neuen Ziele liegen etwas tiefer. „Gemäß der konsequenten Ausrichtung auf profitables Wachstum liegt der Fokus klar auf der Ertragskraft“, sagt Finanzvorstand Frank Witter. „Wir werden auch in den kommenden Jahren alles daran setzen, auf der Basis einer soliden Finanzlage nachhaltig Wert für unsere Aktionäre zu schaffen.“

Der VW-Konzernvorstand

Für die operative Rendite des Konzerns, die 2015 vor Sondereinflüssen bei 6,0 Prozent (mit den Milliarden-Rückstellungen waren es -1,9 Prozent) lag, wird laut der neuen Strategie bis zum Jahr 2025 eine Steigerung auf sieben bis acht Prozent angestrebt. Die Kapitalrendite im Automobilbereich soll dann bei mehr als 15 Prozent liegen. Die Ausschüttungsquote an die Aktionäre soll nachhaltig rund 30 Prozent des Nettogewinns betragen.

Baut Volkswagen jetzt nur noch selbstfahrende Elektroautos?

Nicht nur, aber immer mehr. Geplant ist eine umfassende Elektro-Offensive: In den kommenden zehn Jahren sollen mehr als 30 Elektroautos auf den Markt kommen. Bereits in den vergangenen Wochen hatte VW durchblicken lassen, dass man 2025 von einem Marktanteil der E-Autos von bis zu 25 Prozent ausgeht. Auf den Konzern übertragen wäre das ein Volumen von zwei bis drei Millionen pro Jahr oder 20 bis 25 Prozent des gesamten VW-Absatzes. Aktuell ist es nur ein Bruchteil dessen.

Da der Konzern auch laut Müllers Ankündigung eigene Batterietechnologien entwickeln will, bleibt auch bei der geplanten Elektro-Offensive ein großer Teil der Wertschöpfung im Konzern – bei einem Elektroauto macht die Batterie etwa ein Drittel des Werts aus. Ob VW aber nur Batterien entwickeln oder auch wirklich in einer oder mehreren eigenen Fabriken selbst fertigen will, sagt Müller noch nicht.

Die Zahlen bedeuten aber auch: 75 bis 80 Prozent der Konzernfahrzeuge werden auch 2025 noch von einem Benzin- oder Dieselmotor angetrieben. Die modularen Baukästen des Konzerns, bislang eher Fehlerquelle als die angedachte Effizienzsteigerung, sollen überarbeitet und gestrafft werden. „Wir waren dabei, uns zu verzetteln“, sagt Müller. Statt zwölf Varianten wird es künftig nur noch vier große Baukästen geben: Economy-Fahrzeuge, Volumenmodelle, Premium und Sport.

Müller stellt Konzernmarken infrage

Was bedeutet die neue Strategie für die Volumenmarken wie VW, Skoda und Seat?

Welche Änderungen sich im Detail ergeben, ist noch nicht bekannt. Ohne Folgen werden das gestutzte Produktportfolio und die erhöhte Trennschärfe der Marken aber nicht bleiben. Unter Perfektionist Winterkorn sind vor allem die VW-Modelle immer aufwändiger und höherwertiger geworden und hat sich vom Kern des bezahlbaren Familienautos ein Stück entfernt. Ein Golf des Jahrgangs 2015 bietet mehr als sich die meisten noch vor wenigen Jahren erträumen konnten – nur hat das auch seinen Preis.

Zur selben Zeit ist Skoda sehr nahe an das herangekommen, wofür VW lange stand: bezahlbare und gute Autos. Die Tschechen haben sich aus denselben Baukästen wie die Muttermarke bedient und ähnlich gute Autos gebaut. Auch wenn Seat an einigen Stellen mit etwas mehr Hartplastik im Innenraum auskommen oder auf das neueste Assistenzsystem verzichten muss, in vielen Punkten stehen die Spanier VW in kaum etwas nach.

Was ändert sich für die Premiummarken?

In der Strategie sind die Premiummarken wie Audi, Porsche und Bentley nicht ausdrücklich erwähnt. Aus gutem Grund, denn sie werfen im Gegensatz zur Kernmarke fette Gewinne ab und finanzieren sich selbst. Gerade Porsche ist eine der profitabelsten Automarken überhaupt – ohne die Gewinne aus Zuffenhausen und Ingolstadt sähe es in Wolfsburg düster aus.

Von den angestoßenen Entwicklungen bei Batterien, selbstfahrenden Autos und weiteren Innovationen werden natürlich auch die Premiummarken profitieren. Einen so ausführlichen Umbau wie Volkswagen selbst brauchen sie aber – vorerst – nicht.

Was kostet die ganze Neuausrichtung?

Insgesamt will der Konzern einen zweistelligen Milliardenbetrag in die Zukunftsthemen investieren. Um das zu finanzieren, will Müller konzernweit die Effizienz steigern – von der Entwicklung über den Einkauf und die Produktion bis hin zum Vertrieb.

Aktionärsverteilung der Volkswagen AG

Die Sachinvestitionen sollen bis 2025 auf sechs Prozent des Auto-Umsatzes steigen, die Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf sechs Prozent sinken. Die in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Vertriebs- und Verwaltungskosten will Müller auf unter zwölf Prozent senken. Was das auf Konzern-, Marken- und Bereichsebene für Änderungen nach sich zieht, will der Vorstand in den kommenden Monaten erarbeiten.

Brisant ist noch folgender Satz: „Zusätzliche Mittel für Zukunftsinvestitionen können auch durch eine Optimierung des bestehenden Marken- und Beteiligungsportfolios generiert werden.“ Soll heißen: Eine oder mehrere der zwölf Marken stehen auf dem Prüfstand. Zuletzt gab es Gerüchte, der Konzern wolle sich von Bugatti oder Ducati trennen. Beides wäre verständlich: Eine Motorradmarke sorgt bei Autos und Lkw für keine Synergien, ein sündhaft teurer Sportwagen mit weit über 1000 PS passt nicht zu dem nachhaltigen Image, das Müller dem Konzern verpassen will. Entschieden sei aber noch nichts, betont Müller. „Spekulationen sind nicht zielführend“.

Ist nur das Autogeschäft betroffen?

Nein, die Änderungen ziehen sich durch den gesamten Konzern. Die Autokomponenten, bislang auf Markenebene organisiert, sollen konzernweit zu einer eigenen Einheit zusammengefasst werden. 67.000 Mitarbeiter fertigen an 26 Standorten Bauteile für die Fahrzeuge des Konzerns – ohne dass genau Buch darüber geführt wird.

Werden die Komponentenwerke – in Deutschland sind das etwa Braunschweig und Salzgitter – in einer eigenen Einheit zusammengefasst, entsteht eine Art VW-eigener Zulieferer. Der Konzern erwartet sich davon eine gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit, mehr Effizienz und „maßgebliche Beiträge für Zukunftsthemen wie die Elektromobilitätsoffensive“. Neu ist die Idee in der Branche nicht: Aus den ehemaligen Komponentensparten von Ford und General Motors sind mit Visteon und Delphi inzwischen eigenständige Unternehmen geworden, die mehrere Autobauer beliefern.

Das neue Geschäftsfeld der Mobilitätsdienstleistungen wird sich personell und organisatorisch erst etablieren müssen. Mit Beteiligungen wie an dem Fahrtenvermittler Gett wollen die Wolfsburger bei Digitalprojekten auch vermehrt auf Partnerschaften, Zukäufe und Venture-Captial-Investments konzentrieren.



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